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Algerischer Rebellen-Pop

Sebastian Ertinger16. November 2004

Vom Untergroundsound zum gefeierten Poprhythmus: Die algerische Raï-Musik eroberte mit Interpreten wie Khaled die internationalen Charts. DW-WORLD wirft einen Blick auf die Ursprünge und Wandlungen dieses Musikstils.

Khaled auf Europa-TourneeBild: AP

Nach rund fünf Jahren Pause hat der algerisch-französische Raï-Sänger Khaled, der mit dem Lied "Aïcha" weltberühmt wurde, sein neues Album herausgebracht. Nun tourt er durch Europa und spielt auch in deutschen Städten. Doch was versteckt sich überhaupt hinter "Raï"?

"Der Raï-Musik haftete im arabsichen Raum immer etwas Anrüchiges an", sagt Henner Kirchner vom Institut für Orientalistik der Universität Gießen im Gespräch mit DW-WORLD. "Immer da, wo es um Alkohol und Prostitution ging, spielte auch Raï eine Rolle." In Algerien war die Musik bis in die 1980er-Jahre hinein verboten. Zu deutlich waren die Anspielungen auf Alkohol, Drogen, Liebe und Sexualität. In der traditionellen Gesellschaft war für solche Themen kein Platz. Der Raï blieb eine Untergrundbewegung. Mitten in der Nacht trafen sich die Musiker und nahmen ihre Lieder heimlich in Hinterzimmern auf. Entsprechend miserabel war wohl die Klangqualität der Kassetten, doch die Texte trafen den Nerv der Menschen.

Von Hirtenliedern zu Träumen vom Fremdgehen

Auch aus Algerien: Raï-Sänger Cheb Mami

Schließlich änderte sich jedoch die Lage. 1983 durfte das Radio erstmals ein - wenn auch noch recht züchtiges - Lied von Khaled senden. Nicht nur in Algerien, sondern auch in anderen arabischen Ländern ist diese Musikrichtung inzwischen sehr populär geworden. Khaled, inzwischen nach Paris übergesiedelt, verschaffte dem Raï mit seinem Hit "Aïcha" auch im Westen den Durchbruch. "Nur in Libyen ist diese Musik eigentlich nicht erlaubt", sagt Kirchner. "In den Städten kann man aber an fast jeder Straßenecke Raï-Kassetten oder CDs kaufen." Im libyschen Radio seien die Lieder allerdings nach wie vor tabu.

Die Anrüchigkeit dieses Musikstils kommt nicht von ungefähr. Die Ursprünge liegen – eigentlich ganz harmlos – in der traditionellen Beduinenmusik. Doch in der internationalen, weltoffenen Atmosphäre der algerischen Hafenstadt Oran entwickelte sich ein ganz neuer Stil. Ehemalige Prostituierte dichteten die seichten Reime der Schäfer kess in herbe Klagen über Machos, unerfüllter Liebe und den Suff um. Später, in den 1950er-Jahren, kamen noch die modernen Elemente von Blues, Rock und Pop hinzu.

Sprachrohr der Jugend

Damit avancierte der Raï zur Jugendmusik. Alle Sängerinnen und Sänger geben sich den Beinamen "Chaba" oder "Cheb", was für "jung" steht. "Raï ist ein Ausdruck des Protests der Jugend gegen die erstarrte Gesellschaft", erklärt Kirchner. Khaled prangere in seinen Liedern beispielsweise die Korruption in seinem Heimatland an. "'Raï' heißt übersetzt 'Meinung'." Die Lieder sollten also das Lebensgefühl der Jugend ausdrücken und etwas bewegen, sagt der Islamwissenschaftler.

Außerhalb Algeriens konnte der Popstil zunächst in Frankreich Fuß fassen. Die Kinder der arabischen Einwanderer fanden mit dem Raï ein Sprachrohr für ihre Probleme. Diesmal wurde die Musik zum Ausdruck der Unzufriedenheit gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Gesellschaft. Gleichzeitig kam damit die Chance zum weltweiten Durchbruch. "Sänger wie Khaled sind auch deswegen so erfolgreich, weil ihre Lieder auf Französisch und Arabisch sind", sagt Kirchner.

Doch auch heute noch sind die aufrührerischen Texte manch einem strenggläubigen oder radikalen Moslem ein Dorn im Auge. So trat der "König des Raï" bis vor wenigen Jahren nicht in seinem Heimatland Algerien auf. "Khaled stand auf einer schwarzen Liste der Islamisten", sagt Kirchner. "Das hätte sehr unangenehm für ihn werden können." Angenehm für den erfolgverwöhnten Musiker dürften dagegen wieder die Konzerte seiner aktuellen Europa-Tour sein.

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