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Politik

Der Migrant und die Hotline

Nastassja Shtrauchler
25. August 2017

Integration am Telefon: Ali Can versucht mit einer Hotline, "besorgten Bürgern" die Angst vor Flüchtlingen zu nehmen. Kritik ist erlaubt, Hetze nicht. Auslöser war der Besuch einer Pegida-Demonstration.

Deutschland Pegida-Demo in Dresden
Bild: picture-alliance/dpa/O. Killing

"Kommen Sie doch zu uns in die AfD. Einen quotenschwarzen Vorzeigemigranten wie Sie können wir immer gebrauchen." Herr Wengert, von dem dieser Satz stammt, hat Ali Can nachhaltig beeindruckt. Mehr als anderthalb Stunden nahm er sich für das Telefonat mit dem ehemaligen CDU-Mitglied Zeit, hörte sich an, wie dieser über die Zusammenhänge zwischen Flüchtlingen und Gefährdern und die Abschaffung von Waffengesetzen sprach und ihm seine eigene Doppelmoral aufzeigte. Wie ein verbaler Kampf sei das zwischendurch gewesen, an dessen Ende für ihn aber trotzdem die Erkenntnis stand: "Nicht alle AfD-Wähler sind Rassisten, und nicht alle sind böswillige Menschen, die die Politik unterwandern", so Can im DW-Interview.

Der Migrant mit dem Schokohasen

Ali Can: "Sorgen wollen ernst genommen werden"Bild: Manfred Esser

Die Idee, eine Hotline für "besorgte Bürger" einzurichten, hatte der Student, der als Kind türkischer Eltern nach Deutschland kam, nach einer Reise in den Osten der Bundesrepublik. Mit einem Schokohasen in der Hand mischte er sich im März 2016 in Dresden auf einer Pegida-Demonstration unter die Leute und gab den - wie er es nennt - "Migranten ihres Vertrauens". Can diskutierte mit jenen, die Minuten zuvor im Chor "abschieben, abschieben" gebrüllt hatten, und versuchte konstruktive Gespräche zu führen. Meist erntete er am Ende ein Lächeln. Entscheidend war aber der Anruf einer Frau, die ihn wenige Wochen nach seiner Tour anrief. Sie hatte ihm zuvor von ihren Ängsten vor ausländischen Männern seit der Kölner Silvesternacht erzählt. Nun wollte sie ihm von einer positiven Begegnung mit einem Flüchtling berichten. Die Hotline war geboren.

Einfach nur reden

Am Anfang waren es zwei Stunden pro Woche, an denen die Menschen völlig umsonst mit Can sprechen konnten. Dann explodierte das Ganze regelrecht. Die Leute riefen auch außerhalb seiner "Sprechstunde" an, schickten unzählige E-Mails. "Es hat mich auch mit der Zeit mitgenommen", erzählt Can. Ab 6. September hat er deswegen Unterstützung, das Studium ist vorerst auf Eis gelegt. 40 bis 50 Prozent der Anrufer seien weltoffene Menschen. Die habe er eigentlich nie erreichen wollen, weil er sie für liberal gehalten habe, so der 23-Jährige. Doch es gibt offenbar Redebedarf.

"Und was ist mit diesen Salafisten?" Ali Can musste sich in den Telefonaten vielen Fragen stellen.Bild: Bastei Lübbe

Manche fragten ihn nach seiner Meinung, andere schilderten ihre Bedenken. Einer habe neulich angerufen und gesagt, dass es doch nicht sein könne, dass man in Deutschland versuche, säkular zu leben, und nun verhüllte Frauen in Staatsgebäuden herumliefen. Andere wollten einfach nur mal was loswerden. "Man kann sich das so vorstellen: Man sitzt auf einer Bank. Dann kommt jemand und sagt, was ihn bewegt, weil er gerade Zeitung gelesen hat, und steht dann wieder auf und geht."

Besorgte Menschen in einer Drehtür

"Ich habe nichts gegen Asylanten, aber ich habe ein Problem mit dem Islam, wissen Sie?" Ein geradezu prototypischer Satz für den Schlag Mensch, den Ali Can erreichen will. In seinem Buch "Hotline für besorgte Bürger" hat er Auszüge aus mehreren Gesprächen zusammengetragen. Er will, so sagt er, dass andere lernten, wie man mit nach rechts tendierenden Menschen "wertschätzende Diskussionen führe", Menschen, die wie in einer Drehtür stünden. "Die können nach rechts drehen. Die können aber auch weiterhin nur konservativ oder liberal-konservativ bleiben, wenn man mit ihnen redet", so Can im Gespräch mit der DW. Stemple man sie direkt als Rassisten und Rechte ab, würden sie sich am Ende eben an jene wenden, die ihre Bedenken und Zweifel politisch instrumentalisierten. 

Lachen ist ein guter Zugang

In seinen Vorträgen und Workshops analysiert Ali Can gemeinsam mit den Teilnehmern die deutsche Kultur.Bild: Frank Gerhold

Can will Grautöne in das Schwarzweißbild bringen. Gutmenschen versus Rassisten, Willkommenheisser gegen Flüchtling-Gegner: So einfach ließe sich die Gesellschaft eben nicht aufteilen. "Selbst Menschen, die Zuwanderung kritisieren -  selbst da sind Menschen dabei, die Mitgefühl haben und die was gegen das Ertrinken der Menschen im Mittelmeer haben." Zuhören ohne Belehrung und hinter die Parolen blicken - das ist es, was Can mit seiner Hotline, seinem Buch und auch seinen Workshops und Vorträgen erreichen will. Die hält er an Schulen und Universitäten und versucht dort, die "Einheimischen" zu sensibilisieren, um sie von Pauschalurteilen abzubringen. Das macht er mit Rollenspielen und ein wenig Theater, "weil Lachen ein guter Zugang ist". Teil des Programms ist auch ein von Ali Can eigens entworfener Integrationstest. Wer mit dem Prädikat "musterintegriert" abschneidet, hat's geschafft: "Sie dürfen nun offiziell Sandalen und weiße Socken tragen."

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