Alice Schwarzers Kampf für Frauenrechte hat in Deutschland viel bewegt. Doch heute ist der Feminismus global orientiert und wird vielerorts von People of Colour weitergetragen - in Uganda, den USA und in Deutschland.
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Früher prägten einzelne Ikonen den Feminismus im Westen: In den USA kannte jedes Mädchen den Namen Gloria Steinem, in Frankreich war Simone de Beauvoir besonders wichtig, in Deutschland sprach jede und jeder über Alice Schwarzer.
Auch wenn ihre Ansichten, etwa dazu, wie sich Deutschland zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine positionieren sollte, auch heute noch polarisieren: Die Bedeutung von Alice Schwarzer, die am 3. Dezember ihren 80. Geburtstag feiert, ist in Deutschland gewaltig. Das erkennt auch die jüngere Generation von Feministinnen an.
Meet the Germans: Voll emanzipiert?! Frauen in Deutschland
06:23
"Sie war die Chefredakteurin eines der ersten wichtigen feministischen Magazine", erinnert sich Ciani-Sophia Hoeder, Journalistin, Feministin und Gründerin des afrodeutschen Magazins "RosaMag". "Sie hat mich politisiert, zum Thema Abtreibungsgesetz, dem Bezug von Körper und Weiblichkeit und wie weibliche Körper sexistisch politisiert werden."
Meilenstein der Frauenrechte: "Wir haben abgetrieben"
Mit ihrem Kampf gegen das Abtreibungsverbot hat sich Alice Schwarzer in die deutschen Geschichtsbücher eingeschrieben: Dank ihr erschien im deutschen Wochenmagazin "Stern" am 6. Juni 1971 einer der wichtigsten Artikel in der Geschichte der Bundesrepublik. "Wir haben abgetrieben" bekannten 374 mutige Frauen in Deutschland - was damals noch unter Strafe stand. Sie forderten, dass Abtreibungen legalisiert werden müssten.
Die Initiatorin der Aktion war Alice Schwarzer. "Ich lebte damals in Frankreich, wo ich als freie Korrespondentin arbeitete und in der Pariser Frauenbewegung aktiv war", erinnert sie sich in einem Artikel, den sie 2011 in ihrer Zeitschrift "Emma" publizierte. "Doch während in der ganzen westlichen Welt die Frauen auf die Barrikaden gingen, hielten die deutschen Gretchen still."
Das änderte Schwarzer mit ihrem "Stern"-Artikel. Zum Vorbild nahm sie sich einen Artikel, der bereits im April 1971 im Pariser "Nouvel Observateur" erschienen war. Auch darin hatten sich 376 Frauen zu ihren Abtreibungen bekannt und damit international Schlagzeilen gemacht.
In Deutschland folgte auf den Artikel eine Gesetzesreform: Frauen konnten für eine Abtreibung unter gewissen Bedingungen nicht mehr bestraft werden, innerhalb von drei Monaten sind Abbrüche generell möglich.
Vom Wahlrecht bis #MeToo: Die lange Geschichte der Frauenbewegung
Seit gut 180 Jahren kämpfen Frauen in Deutschland für ihre Rechte. Anfangs ging es um Bildung und Wahlrecht, später um sexuelle Selbstbestimmtheit. Heute zeigen Frauen mit #MeToo, dass ihr Kampf noch nicht zu Ende ist.
Bild: Der Stern
Die "Lerche des Völkerfrühlings"
Louise Otto-Peters (1819 - 1895) gilt als die Pionierin der deutschen Frauenbewegung. Mit knapp 24 Jahren trat sie an die Öffentlichkeit und forderte Mitbestimmung. Zusammen mit weiteren Frauen gründete sie den ADF, den Allgemeinen Deutschen Frauenverein. Vor dem Hintergrund der 1848er Revolution in Deutschland war dies möglich - denn alle Zeichen standen auf gesellschaftliche Veränderung.
Bild: dpa/picture alliance
Helene Lange kämpfte für Chancengleichheit
Mädchen und Schulbildung - das war Ende des 19. Jahrhunderts nicht vorgesehen. Eher bestand die Funktion der Frau darin, ihrem Gatten Freude zu bereiten, ihn zu erheitern und natürlich ihn zu betüddeln und zu bekochen. Die bürgerliche Frauenbewegung der späten 1890er Jahre wollte damit aufräumen und forderte vor allem bessere Schulbildung für Mädchen. An ihrer Spitze stand damals Helene Lange.
Bild: picture-alliance/dpa/Bifab
Mutter der "proletarischen" Frauenbewegung
Es ging den Frauenrechtlerinnen jener Zeit nicht nur um Bildung, das war eher ein bürgerliches Thema. Auch die Fabrikarbeiterinnen brauchten ein Sprachrohr. Clara Zetkin setzte sich für die gewerkschaftliche Organisierung für Frauen ein. Zudem kämpfte sie für das Frauenwahlrecht und (schon damals) für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 218. Und sie initiierte den Internationalen Frauentag.
Bild: picture-alliance/dpa
Anita Augspurg und ihre Frauengruppe
Es gab noch radikalere Frauenrechtlerinnen. Anita Augspurg (links) und ihre Kämpferinnen scherten sich nicht um Konventionen. Augspurg lebte mit ihrer Freundin zusammen, sie trugen Herrenkleidung und kurze Haare. Sie war Juristin und engagierte sich für das Frauenstimmrecht und schließlich auch für Prostituierte. Sie und ihre Mitstreiterinnen pflegten enge Kontakte zu ausländischen Frauengruppen.
Bild: gemeinfrei
Überregionale Zusammenarbeit
In London hat sich die Suffragettenbewegung längt in das Gesellschaftsbild eingegraben. 1909 trafen sich Frauenrechtlerinnen aus ganz Europa in London zu einem Kongress, unter ihnen auch Anita Augspurg (unten rechts). Der beharrlichen Arbeit dieser Frauen und weiteren Kämpferinnen ist es zu verdanken, dass immer mehr Länder das Frauenwahlrecht einführten. 1918 schließlich auch Deutschland.
Bild: National Library of Norway Lenke
Gleichschaltung im Nationalsozialismus
Die Nationalsozialisten mochten keine emanzipatorischen Bestrebungen. Frauen gehörten auch nicht in Führungspositionen. Sie sollten zurück zu Herd und Familie. Die NSDAP propagierte ein Frauenbild, das in den Jahrzehnten vor ihrer Machtergreifung mühsam weggekämpft wurde. Frauengruppen waren aber in den Augen der Nazis jüdische und kommunistische Erfindungen, die es zu unterbinden galt.
Bild: picture-alliance/akg-images
Vom Hausmütterchen zur Kriegshelferin
Viele Jahre schien der einzige Existenzgrund der Frau darin zu liegen, als sorgende und liebevolle Mutter die zukünftige Generation der deutschen, "arischen" Rasse zu gebären und nach nationalsozialistischer Gesinnung aufzuziehen. Zur Belohnung gab es das "Mutterkreuz". In den Kriegsjahren jedoch war damit Schluss. Plötzlich waren die Frauen als Arbeiterinnen - auch in Männerjobs - sehr gefragt.
Bild: picture-alliance/akg-images
Neuaufbau
1945 endete der Zweite Weltkrieg und damit der Nationalsozialismus mit all seinen Weltanschauungen und Institutionen. Von Anfang an mischten Frauen im Wiederaufbau Deutschlands mit - nicht nur in den Trümmern zerstörter Städte sondern auch in der Politik. Neue Frauenausschüsse nahmen die Arbeit von vor 1933 wieder auf. Ihr Ziel: Gleichberechtigung der Frauen als selbstverständliches Menschenrecht.
Bild: picture-alliance/dpa
Die Pille: ein neues Stück Freiheit
Hormone, die eine Schwangerschaft verhindern - einfach in Form einer winzigen Tablette schlucken. 1961 kam die "Pille" nach Deutschland und wurde von Moralisten argwöhnisch beäugt. Zunächst wurde sie nur verheirateten Frauen verschrieben, offiziell "gegen Menstruationsbeschwerden". Aufzuhalten war sie aber nicht mehr und feuerte die sexuelle Emanzipation der Frauen in den späteren 68ern an.
Bild: Everett Collection/picture alliance
Kampf gegen Autoritäten
Die Studentenbewegung der 1968er kämpfte nicht nur für Hochschulreformen, sondern auch für sexuelle Freiheit, gegen autoritäre Strukturen. Eigentlich hätte alles im Sinne der weiblichen Mitstreiter sein können. Doch die Studentinnen stellten fest, dass ihre Kommilitonen nach außen hin zwar Antiautorität forderten, aber im Inneren noch nicht aus ihren autoritären Verhaltensmustern herauskamen.
Bild: picture-alliance/dpa/Bildarchiv
Geschlechterkampf unter den Studenten
Frauen sahen darin ein Spiegelbild der patriarchalischen Gesellschaft. Der frisch gegründete "Aktionsrat zur Befreiung der Frau" forderte auf einer Veranstaltung des Sozialistischen Studentenbundes, dass das "Ausbeutungsverhältnis, unter dem die Frauen stehen" aufgehoben wird. Die Männer hörten nicht zu - und so flogen schließlich Tomaten. Die Initialzündung für die spätere "Neue Frauenbewegung".
Bild: Manfred Rhem/dpa/picture alliance
1971: "Wir haben abgetrieben!"
Mit der sexuellen Revolution der 68er Bewegung kam die Forderung, den uralten Paragrafen 218 aus dem Jahr 1871 abzuschaffen, nach dem ein Schwangerschaftsabbruch strafbar ist. Höhepunkt der damaligen Debatte: Die Abtreibungs-"Beichte" von 374 teils prominenten Frauen im "Stern". Sie war extrem mutig und trieb die Frauen auf die Straße. Die "Neue Frauenbewegung" war nicht mehr zu stoppen.
Bild: STERN/Gruner + Jahr/dpa/picture alliance
Ein langer Kampf in Etappen
1976 schließlich reagierten die Gerichte. Der §218 wurde modifiziert: Frauen durften innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate abtreiben. Inzwischen wurde der Paragraf mehrmals erweitert und verändert, so dürfen Frauen heute unter anderem aus gesundheitlichen und sozialen Gründen ihre Schwangerschaft abbrechen. Straffrei ist eine Abtreibung jedoch bis heute nicht.
Bild: picture-alliance/dpa
Nicht ohne die Erlaubnis des Gatten
Heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass eine verheiratete Frau in Deutschland erst ab 1969 als geschäftsfähig galt. Zudem war es Frauen in Deutschland nicht gestattet, ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten zu gehen. Der Mann hatte das Recht, den Arbeitsvertrag seiner Frau ohne ihre Einwilligung zu kündigen. Erst 1977 wurden diese Regelungen abgeschafft.
Bild: picture-alliance/Presse-Bild-Poss/O. Poss
Freiheit in lila Latzhose
Die Neue Frauenbewegung bekam Mitte der 70er ihr Erkennungszeichen. Ein unweiblicheres Kleidungsstück gibt es wohl kaum: Die Arbeitskleidung von Männern, vornehmlich Handwerkern. Eine unförmige Latzhose, die die Figur versteckt. Ein Statement in Lila. Böse Zungen sagten: "Lila schützt vor Schwangerschaft". Doch gerade diese Unweiblichkeit war ein Zeichen der Befreiung.
Bild: Steinach/IMAGO
Alice Schwarzer: wortgewaltig, kämpferisch
1977 gründete Alice Schwarzer die erste feministische Frauenzeitschrift. Die EMMA war komplett glamourfrei und bot frauenpolitische Themen. Zur Empfängnisverhütung sollten sich Männer sterilisieren lassen und Frauen lernen, wie man verstopfte Abflüsse freimachte. Die erste Auflage von 200.000 war sofort vergriffen. Schwarzer ist bis heute eine höchst streitbare und auch umstrittene Person.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Scheidemann
Unbeschreiblich weiblich!
Als Punk-Lady Nina Hagen 1978 ihr Debütalbum auf Deutschland losließ, überschlugen sich Kritik und Begeisterung gleichermaßen. Eine Frau an der Spitze einer Rockband? Gesellschaftskritische Texte, vulgäre Sprache? Eine, die in einer TV-Talkshow vor den Kameras masturbiert? Nina verkörperte die weibliche Freiheit und Freizügigkeit wie keine andere in Deutschland. Und wurde schnell zur Ikone.
Bild: CBD
#MeToo: eine neue Dimension
Die Frauenbewegung hat viel erreicht - dennoch ist die Geschlechtergleichheit noch nicht hergestellt. Immer noch verdienen Männer mehr Geld für die gleiche Arbeit. Immer noch nutzen Männer ihre Positionen zur Machtausübung. Im Oktober 2017 startete die #MeToo-Bewegung gegen Sexismus und Missbrauch. Frauen packen aus - und sind noch lange nicht fertig damit.
Bild: Imago/Bildgehege
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Abtreibungen noch immer umstrittenes Thema
Das Thema Abtreibung ist auch 50 Jahre später noch umkämpft. Das bewies nicht zuletzt der Supreme Court in den USA, als er im Juni 2022 das bundesweit festgeschriebene Recht auf Abtreibungen kippte, ein Urteil, das als "Roe vs Wade" bekannt geworden war. Für die Frauenrechte war der Urteilsspruch katastrophal.
Auch in Deutschland schuf der Bundestag erst im Sommer 2022 das sogenannte Werbungsverbot ab: Ärztinnen und Ärzte dürfen in Deutschland nun über Abtreibungen informieren, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen. Dabei wurden Forderungen laut, Abtreibungen ganz aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen - noch immer eine kontroverse Haltung.
Wie aktuell Schwarzers Anliegen weiterhin sind und wie dringend die Wut von Frauen gebraucht wird, unterstreicht auch Ciani-Sophia Hoeder: "Aufgrund der Arbeit von Feministinnen wie Alice Schwarzer fühlen wir uns so, als wären wir relativ gleichberechtigt. Aber wenn wir genauer hinschauen, merken wir: Manches davon ist nur Symbolpolitik."
Als Beispiel nennt sie die Kanzlerschaft Angela Merkels: "Wir hatten zwar lange eine Bundeskanzlerin, aber trotzdem sind Frauen in unseren Gesellschaften noch unfassbar viel Gewalt ausgesetzt, auch den gender pay gap gibt es noch immer. Wir sind immer noch nicht am Ende, und wir müssen weitermachen.“
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Eine neue Generation von Feministinnen
Eine neue Generation von Feministinnen macht sich auf der ganzen Welt daran, den Staffelstab der feministischen Ikonen aus den 1970er-Jahren weiterzutragen. Viele von ihnen sind People of Colour, zum Beispiel Vanessa Nakate aus Uganda, die Klima und Feminismus zusammenbringt, oder Alok Vaid-Menon, ein non-binärer Mensch aus den USA, der Geschlechtergrenzen überwindet.
Auch Hoeder selbst zählt zu ihnen. In ihrem 2021 erschienen Buch "Wut und Böse" zeigte sie auf, dass wütende Frauen in der Öffentlichkeit diskreditiert, wütende Männer hingegen ernstgenommen werden. Besonders seien davon Women of Colour betroffen.
Zwar sieht Hoeder die Art von Feminismus, die Alice Schwarzer vorantrieb, auch kritisch, weil er vor allen Dingen die Anliegen weißer Frauen in den Mittelpunkt rückte. Trotzdem hat sie viel Wertschätzung für diese Ikone des Feminismus an ihrem 80. Geburtstag.
Es sei wichtig zu wissen, dass man nicht alleine kämpfe, sagt Hoeder gegenüber der DW: "Es ist ein Staffellauf. Weil Sexismus uns schon seit Jahrhunderten im Griff hat, brauchen wir einen langen Atem, wenn wir ihn bekämpfen wollen."