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Alle Menschen werden Brüder ...

Margarete Steinhausen12. November 2003

Wie halten es Christen und Muslime mit der Nächstenliebe? Und wer ist überhaupt gemeint: Freunde, Nachbarn oder der nächstbeste Fremde, der einem über den Weg läuft?

... und SchwesternBild: BilderBox

Im christlichen Sinne heißt es: "Mein Nächster" ist jeder, der Fürsorge braucht - unabhängig von sozialer und religiöser Zugehörigkeit. Im Laufe der Geschichte allerdings hat das Christentum soziale Verantwortung nicht immer so universal praktiziert. Erst in der Neuzeit haben Hilfswerke wie Brot für die Welt, Misereor, Caritas und Diakonie das Gebot der Nächstenliebe wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung deutlich gemacht.

Nächstenliebe im Islam

Im Islam bezieht sich der Gedanke der sozialen Verantwortung wesentlich stärker auf die eigene Glaubensgemeinschaft. Doch in letzter Zeit entstanden auch islamische Hilfswerke, die sich über Religionsgrenzen hinweg engagieren. Zum Beispiel die 1984 in Birmingham gegründete Organisation "Islamic Relief". Ähnlich wie Caritas International ist sie in Krisengebieten weltweit tätig.

"'Unsere Nächsten' sind Bedürftige, sind alle Menschen in Not", sagt Tarek Abdelalem, Geschäftsführer von "Islamic Relief" Deutschland. Er lässt keinen Zweifel daran, dass seine Organisation allen Bedürftigen hilft und nicht nur Muslimen. Das schreibe schon der Koran vor - der spreche von "Armen, von in Not Geratenen", ohne Erwähnung von Religion, Rasse oder Hautfarbe. Nach diesem Grundsatz handeln auch die großen christlichen Hilfswerke, zum Beispiel "Brot für die Welt" oder die Caritas.

Der Unterschied von Theorie und Praxis

Die Zeiten, in denen Christen den Notleidenden erst dann halfen, wenn sie zum christlichen Glauben übergetreten waren, sind lange vorbei. Die Verbindung von humanitärer Hilfe und Mission ist bei vielen Islamischen Hilfsorganisationen allerdings kein Tabu. Gerade im kriegszerstörten Bosnien hat sich gezeigt, dass muslimische Hilfsorganisationen zuerst eine Moschee bauen, dann stapelweise den Koran verteilen, aber ansonsten die Menschen ihrem Schicksal überlassen.

Die Theorie – also die religiöse Pflicht der bedingungslosen Nächstenliebe – unterscheide sich von der Praxis oft erheblich. "Ich erinnere mich an ein Beispiel aus der Türkei, wo wir eine Schule wiederaufgebaut haben - mit 'christlichem Geld'", erzählt zum Beispiel Martin Salm von Caritas International. "Das Geld der islamischen Hilfsorganisation ist nur in den Bau der Moschee gegangen. Ich habe Schwierigkeiten, solch ein islamisches Hilfsengagement zu akzeptieren."

Es geht ums Geld

Tarek Abdelalem von "Islamic Relief" hat dem wenig entgegenzusetzen. Grundsätzlich wollen sie aber humanitäre Hilfe und missionarische Aktivitäten getrennt halten. "Wir vermischen unsere Arbeit nicht mit irgendeiner religiösen Arbeit, nicht mit dem Korandruck, nicht mit dem Moscheebau. Das machen andere Hilfsorganisationen. Wir sind nicht spezialisiert auf diesem Gebiet", versucht er klarzustellen. Um die Seriösität seiner Organisation unter Beweis zu stellen, weist Tarek Abdelalem darauf hin, dass "Islamic Relief" im Gründungsland Großbritannien bereits mit der englischen Caritas an einem Kooperationsvertrag arbeite.

Die Organisation ist erst seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland aktiv und hat im vergangenen Jahr rund eine Million Euro Spenden gesammelt - nicht allein für Muslime, wie Ismet Misirlioglu, Berliner Leiter von "Islamic Relief" betont. So spendeten deutsche Muslime für die Flutopfer vom vergangenen Jahr 30.000 Euro. "Der Bürgermeister von Pima war damals sehr überrascht. Die hatten noch nie etwas von muslimischen Hilfsorganisationen in Deutschland gehört", berichtet Misirlioglu. "Die Deutschen haben beim Erdbebenunglück in der Türkei sehr viel geholfen, mit 300 Millionen Mark. Das Mitgefühl hat die Muslime ermutigt, den Menschen in Deutschland zu helfen." Dass "Islamic Relief" und Caritas gemeinsame Aktionen planen, das wird dennoch so schnell nicht passieren.

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