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Politik

Allein gegen die Flammen auf Euböa

12. August 2021

Nach den verheerenden Bränden sind viele Einwohner von Griechenlands zweitgrößter Insel wütend auf ihre Regierung. Sie meinen, die Katastrophe hätte verhindert werden können.

Griechenland | Waldbrände | Bewohner
Die Feuer haben weite Teile des Nordens von Euböa zerstörtBild: Florian Schmitz/DW

Die Strandliegen im Ferienort Rovies sind leer. Hier haben sich die Flammen teilweise bis an den Strand herangefressen. Wo bis vor wenigen Tagen noch tausende der typischen Kiefern die Hänge von Euböa säumten, stehen nur noch schwarze, von der Hitze aufgeplatzte Baumstümpfe in einem Meer aus weißer Asche.

Unter den Füßen ist es noch warm. An einigen Stellen raucht es aus verkohlten Löchern. Mitte August ist die wichtigste Ferienzeit Griechenlands. Das gilt auch für die zweitgrößte Insel des Landes. Doch nach den Feuern sind die meisten zahlenden Gäste abgereist.

Ein leerer Strand auf Euböa nach dem Feuer: Die meisten zahlenden Gäste sind abgereistBild: Florian Schmitz/DW

Eine junge israelische Familie ist gerade auf der Insel angekommen: "Wir hatten schon gebucht. Ein Freund von uns besitzt ein Haus hier. Das ist aber abgebrannt, wir wohnen jetzt in einem Hotel." Der Rauch vom Feuer hänge schwer in der Nase, aber das Essen sei gut und das Meer sei immer noch schön.

Nikos Tekinarglis betreibt eine Bar am Strand. "Wir dürfen jetzt nicht den Kopf hängen lassen", sagt er ein wenig verkrampft: "Es ist eine wirtschaftliche Katastrophe für alle, die hier vom Wald oder vom Tourismus leben." Der griechische Staat habe die Insel allein gelassen. Die Menschen aber würden zusammenhalten: "Ich war gerührt, als ich gesehen habe, wie die jungen Leute mit angepackt haben", sagt Tekinarglis hoffnungsvoll.

Menschen vor dem Abgrund

Auch Eleni Alexandridis Sprachschule ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Eine kleine Katze setzt sich neben die Endvierzigerin, als sie mit uns spricht: "Sie ist immer zu uns in die Schule gekommen und versteht nun nicht, dass das Haus nicht mehr bewohnbar ist", sagt Alexandridi und muss sich Mühe geben, die Fassung zu bewahren. Sie steht vor den Trümmern ihrer Existenz. Alles ist zerstört - und das, obwohl Feuer auf Euböa keine Seltenheit sind. Früher hätten sie immer alles selbst gelöscht, doch diesmal sei es der Regierung allein um die Evakuierung gegangen.

Eleni Alexandridi steht nach den Bränden vor den Trümmern ihrer ExistenzBild: Marek Neumann-Schönwetter

Alexandridi fühlt sich allein gelassen vom Staat. Für sie war die Krisenstrategie Athens ein Desaster: "Der Fehler war, dass sie einfach die Dörfer evakuiert haben, damit es keine Todesopfer gibt." Man hätte nicht einmal ansatzweise genügend Löschmittel zur Verfügung gehabt - und diese dann auch noch auf Athen konzentriert. Feuerwehrleute hätte sie persönlich nicht bei Löscharbeiten auf Euböa gesehen: "Nur die Freiwilligen von unserer Insel haben geholfen," berichtet sie. "Was auch immer gerettet wurde, das haben sie gemacht. Erst nach drei Tagen kam ein Feuerwehrmann vorbei. Ich habe ihn gefragt: Wo wart ihr? Er hat geantwortet: Frag lieber nicht."

Vertrauen erschüttert

Viele Inselbewohner erzählen Geschichten wie diese. Ein Mann aus dem benachbarten Limni berichtet, dass Menschen eine brennende Pinie mit einem Schlauch löschen wollten, um zu verhindern, dass sie auf ihr Haus stürzt: "Die Feuerwehr hat dann einfach das Wasser abgestellt", berichtet er. Der Restaurantbesitzer Dimitris Giannakoulas glaubt der Regierung kein Wort mehr. Die Versprechen des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, die Opfer unbürokratisch zu entschädigen, hält er für leere Worte: "Wir sind sehr enttäuscht."

Restaurantbesitzer Dimitris Giannakoulas hat das Vertrauen in die Regierung verlorenBild: Marek Neumann-Schönwetter

Giannakoulas habe sich nicht zur Evakuierung zwingen lassen, sondern mit den anderen Männern des Dorfes gegen die Flammen gekämpft: "Dass unsere Häuser noch stehen, liegt nur daran, dass es keinen starken Wind gab," meint der Gastronom.

Zu spät gefragt

Die Straße von der Küste über die Berge zeigt das ganze Ausmaß der Katastrophe: Verbrannte Erde, soweit das Auge reicht. Umgestürzte Bäume und Strommaste versperren den Weg. Rund um das Dorf Istiaia ganz im Norden der Insel loderten bis zur Nacht auf Dienstag (10.08.2021) die letzten größeren Feuer.

Ein von den Bränden zerstörter Transporter im Norden von EuböaBild: Florian Schmitz/DW

Auf dem Dorfplatz steht der junge Mechaniker Thodoris mit zweien seiner Freunde. Tagelang hätten sie beobachtet, wie die Feuerwehr nichts gegen die Brände getan hätte. Auch Flugzeuge seien nicht gekommen: "Im Fernsehen haben sie gesagt, dass sie aufgrund starker Winde nicht fliegen konnten. Dabei war es windstill", erklärt er und zeigt ein Video, auf dem Rauchsäulen still in der Luft stehen.

Hilfe aus Polen

Dass Thodoris' Dorf noch steht, gleicht einem Wunder: "Es gab überhaupt keine Organisation. Wir selbst haben die Schläuche der Feuerwehr genommen und gelöscht", erklärt er. Jetzt stehen 143 Feuerwehrleute mit 46 modernen Löschfahrzeugen aus Polen auf dem Parkplatz. Angekommen sind sie am 10.08.2021, als das Gros der Feuer bereits erloschen war.

Der polnische Feuerwehrmann Rafal Solowin ist Teil der internationalen Hilfe für EuböaBild: Marek Neumann-Schönwetter

Rafal Solowin, Offizier der polnischen Hilfsbrigade, kam, so schnell er konnte: "Wir sind sofort los, als Griechenland den EU-Katastrophenschutzmechanismus ausgelöst hat. Drei Tage haben wir bis hierher gebraucht." Für die Menschen auf Euböa ist das unverständlich: Warum hatte ihre Regierung so lange gezögert, Hilfe anzufordern, wenn sie bereits mit den Löscharbeiten in Athen überfordert war?

Das System ist marode

Schon lange kritisieren Experten, dass der griechische Brandschutz unzureichend ist. Nach dem verheerenden Feuer von Mati im Jahr 2018, bei dem 102 Menschen ums Leben kamen, sollte sich dies endlich ändern. Erst im Juni dieses Jahres hatte die Regierung angekündigt, 1,76 Milliarden Euro in den Brandschutz zu investieren, wenige Wochen vor den gefährlichen Sommermonaten.

Verbrannt: Die Kiefern, die bisher typisch für Euböa warenBild: Florian Schmitz/DW

Man hätte diese Katastrophe verhindern können, erklärt Constantinos Liarikos, Entwicklungsbeauftragter beim WWF Griechenland: "Das hat alles damit zu tun, dass unter den Bedingungen der Klimakrise nicht genügend Prävention betrieben wird. Die Regierung - wie alle Regierungen der letzten Jahrzehnte - weigert sich, in die Vorbereitung von Behörden, Freiwilligen und Bürgern zu investieren."

Athen sei über die bestehenden Mängel informiert gewesen. Nach der Katastrophe von Mati habe ein Komitee einen klaren Fahrplan formuliert - doch wurde ignoriert: "Es hat sich in den folgenden Jahren nichts getan, genauso wie nach der Feuerkatastrophe 2007. Experteneinschätzungen werden einfach auf den Müll geworfen", meint Liarikos.

Nach den Feuerdebakeln in Athen, Peloponnes und Euböa verspricht Athen nun, den gesamten griechischen Zivilschutz zu reformieren. 500 Millionen Euro sollen in Wiederaufbau und Aufforstung fließen. Doch die Menschen in Euböa schenken diesen Worten nur wenig Vertrauen. Es wird vieler Taten seitens der Regierung bedürfen, damit sie zuversichtlich in eine Zukunft schauen können, in der extreme Temperaturen und Waldbrände zum Alltag gehören dürften.