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Der mühsame Kampf der Flüchtlingshelfer

Nemanja Rujevic20. August 2015

Tausende von Flüchtlingen treffen täglich in Mazedonien ein. Die Behörden sind überfordert, von Unterstützung keine Spur. Das bleibt den wenigen freiwilligen Helfern überlassen, berichtet Nemanja Rujević aus Gevgelija.

Junge Frau und Flüchtlinge vor dem Bahnhof Foto: DW/N. Rujević
Eine Rotkreuzhelferin vor dem Bahnhof von GevgelijaBild: DW/N. Rujević

Die Energie, mit der Gabriela Andreevska auf dem Bahnsteig hin- und herrennt, passt überhaupt nicht zur Statur der zierlichen jungen Frau. Große Augen, roter Lippenstift, laute Stimme. Die Aktivistin der linken mazedonischen Bewegung "Solidarität" - eine Anarchistin, wie sie selbst sagt - ist jedenfalls sehr präsent. "Sie dürfen euch nicht schlagen, egal was ihr gemacht habt", erklärt sie den Flüchtlingen um sie herum, als sie hört, dass die Polizisten wieder mit Knüppeln für Ordnung am Bahnhof von Gevgelija gesorgt haben sollen. "Wir haben der OSZE die Polizeigewalt gemeldet. Die Leute vom UN-Flüchtlingshilfswerk waren selbst Zeugen der Vorfälle. Aber die internationalen Organisationen reagieren gar nicht, oder erst sehr langsam", sagt Andreevska der DW.

Die Kapitulation

Die Aktivistin ist für "Legis" unterwegs, eine Hilfsorganisation aus der Hauptstadt Skopje, die sich mit humanitären Sammelaktionen einen Namen gemacht hat. Essen, Medikamente, Windeln oder Schlafmatten, die gelegentlich nach Gevgelija transportiert und dort verteilt werden, stammen zu 95 Prozent von den Bürgern Mazedoniens, sagt Andreevska. "Der Staat hat keinen einzigen Cent gegeben", ärgert sie sich. Ihre Organisation wolle die Hilfe mit dem Roten Kreuz, dem UNHCR und dem für Arbeit und Soziales zuständigen Ministerium koordinieren. "Zu unserem letzten Treffen hat das Ministerium nur einen Chauffeur als Vertreter geschickt. So viel Lust hat der Staat, die Krise in den Griff zu bekommen."

Die Szenen aus Gevgelija an der mazedonisch-griechischen Grenze zeichnen das Bild eines Landes, das vor der Flüchtlingskrise kapituliert hat. Erst waren es Dutzende, dann Hunderte - heute sind es zwei- bis dreitausend Menschen, die jeden Tag ungehindert aus Griechenland eintreffen. Die Balkanroute wurde zum populärsten Weg nach Westen, denn die offizielle Botschaft war bislang: Fahrt schnell weiter nach Serbien! Jetzt hat die mazedonische Regierung den Ausnahmezustand erklärt.

Der Polizei wird Gewalt vorgeworfen, ansonsten lässt sie die Flüchtlinge weiterreisen.Bild: DW/N. Rujević

Der Bürgermeister von Gevgelija, Ivan Frangov, sieht die Sache so: "Das Problem wurde uns von unserem südlichen Nachbarn Griechenland aufgezwungen, das EU-Mitglied ist. Warum also die Frage, wie Mazedonien helfen sollte? Reicht es nicht, dass Migranten problemlos einreisen dürfen?" Und schnell ist der konservative Politiker bei seinem Lieblingsthema. "Soll die Flüchtlingskrise zur humanitären Krise in Mazedonien führen? Fragen Sie mal unsere Bürger, die rund um den Bahnhof von Gevgelija leben, was sie von dem Problem halten. Sie und ihre Kinder trauen sich nicht mehr auf die Straße. Ich habe Mitgefühl für Flüchtlinge, aber das bedeutet nicht, dass unser Staat deswegen leiden soll."

Gevgelija als Mülldeponie

Die Kleinstadt hat es wegen der explodierenden Flüchtlingszahlen in die Weltmedien geschafft, doch für die Bewohner ist der Müll das größte Thema. Schon früh morgens bemerkt man Männer mit weißen T-Shirts und rotem Kreuz, die durch die Menge am Bahnhof gehen. Es sind allerdings Müllmänner, und sie haben jede Menge zu tun. Durch die weggeworfenen Verpackungen und Plastikflaschen - in Mazedonien gibt es kein Pfand - zeigt sich sofort, wo die Flüchtlinge essen, schlafen oder sich nur kurz aufhalten. "Warum werfen sie ihren Dreck nicht in die Mülltonnen? Diese Leute haben keine Ahnung von Kultur", sagt einer der Müllmänner, als er seine kurze Pause nutzt, um in der Bahnhofskneipe schnell einen Schnaps herunterzustürzen. "Und die wollen sich in Deutschland integrieren? Viel Glück damit."

Bürgermeisten Frangov: "Das Problem wurde uns von Griechenland aufgezwungen."Bild: DW/N. Rujevic

Saubermachen und Müllsammeln ist normalerweise nicht die Aufgabe des Roten Kreuzes. Aber in Gevgelija ist vieles anders. "Diese Migranten hier sind gute Menschen. Aber es sind einfach zu viele", sagt Sanja Kostadinova, die Koordinatorin des Roten Kreuzes in Gevgelija. "Sie nutzen auch private Parks und Höfe, manchmal klauen sie Fahrräder oder gehen den Bürgern an die Taschen. Wir brauchen eine Art Lager, wo alle Flüchtlinge zusammen sind." Die junge Frau sagt, der Staat und das UNHCR leisteten große Hilfe - davon aber sei herzlich wenig zu sehen. Ob sie sich mehr Unterstützung aus Europa wünscht? "Ich wünsche mir überhaupt Unterstützung aus Europa. Bisher kann man davon nichts sehen."

Täglich treffen Ärzte der Hilfsorganisationen aus der Hauptstadt Skopje ein. Rund 50 Flüchtlinge bräuchten jeden Tag ärztliche Betreuung, könnten aber nur provisorische erste Hilfe bekommen, berichtet Kostadinova. Meistens gehe es um Verletzungen, die sie sich beim Kampf um einen Platz im Zug oder in der Warteschlange für die Dokumentenausgabe zugezogen hätten. Dass die kurzen ärztlichen Visiten keinesfalls ausreichend sind, erfuhr die DW erst inoffiziell aus Helferkreisen. Allein am vergangenen Montag soll es fünf Fehlgeburten unter Migrantinnen gegeben haben. Zwei Männer hätten Hautverbrennungen bei dem verzweifelten Versuch erlitten, ihre Handy-Akkus an einer der Stromleitungen für Züge aufzuladen.

"Wo sind die Profis?"

Philine von Oppeln ist schockiert, dass die Hilfe so schleppend und unzureichend ist. Die Deutsche war eigentlich in Mazedonien unterwegs, um an einem Reiseführer zu schreiben und die schönen Seiten der Region darzustellen. Dann sah sie die Bilder aus Gevgelija im Fernsehen und dachte sich: Das ist viel wichtiger als alle Reiseführer der Welt. "Ich versuche jetzt einfach mal zu helfen, mit dem, was geht. Das ist ganz wenig, man fühlt sich total hilflos. Ich vermisse hier große Flüchtlingsorganisationen, die was tun." Von Oppeln hat sich der Organisation" Legis" in Skopje angeschlossen und verteilt nun Hilfsgüter an Flüchtlinge. "Man fragt sich: Wo sind die anderen, die Profis?"

Geschafft: Dieser Flüchtling hat einen Platz im Zug Richtung Serbien ergattert.Bild: Reuters/S. Nenov

Die Profis sind auch in Skopje kaum zu finden. Die Tür der Zentrale des Roten Kreuzes dort ist schon gegen 16 Uhr geschlossen. Um etwas von organisierter Hilfe zu sehen, muss man weiter, zum Dorf Tabanovce, nur wenige hundert Meter von der serbischen Grenze entfernt. Dort hat das UNHCR ein Lager errichtet - ein paar weiße Zelten stehen am Bahnhof und bieten Schutz vor allem für Familien mit Kleinkindern. Dort machen die Flüchtlinge kurz Halt, bevor sie den Versuch wagen, die Grenze an den serbischen Polizisten vorbei illegal zu überqueren. "Ich möchte nur weiter ins nächste Land", sagt Ali, einer der hier versammelten Flüchtlingen aus Pakistan und Afghanistan. Und dann? "Dann wieder zum nächsten Land." Er bemüht sich gar nicht, die Länder beim Namen zu nennen. Es sind sowieso nur Zwischenstopps, so hofft Ali zumindest.

Das weiß auch Gabriela Andreevska, die Helferin und selbsternannte Anarchistin in Gevgelija. Sie zieht einen Haufen Flugblätter aus der Tasche, die auf Arabisch oder Farsi den schnellsten Weg ins gelobte Land Westeuropa aufzeigen. Immer mehr Flüchtlinge umstellen die Aktivistin. Die Blätter sind schnell verteilt.

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