Alles mit "links"!
12. August 2015DW: Warum braucht man eigentlich einen Linkshänder Tag?
Sebastian Jutzi: Der Sinn solcher Tage besteht im Wesentlichen darin, an vernachlässigte aber wichtige Themen zu erinnern. Dass das funktioniert, beweist ja schon dieses Interview. Linkshänder verdienen es, dass man einmal über sie spricht. Es ist noch nicht lange her, da waren sie auch in Deutschland Vorurteilen und Drangsalierungen ausgesetzt. So wurden sie bis in die 1980er Jahre in manchen Schulen gezwungen, mit der Rechten zu schreiben. In manchen Ländern wird dieser Unsinn der Umschulung immer noch betrieben.
DW: Wie kommt es zu Linkshändigkeit? Wird Linkshändigkeit vererbt?
Wie genau es zur Linkshändigkeit kommt, ist immer noch nicht klar. Wie jedes biologische Phänomen, hat auch dieses sicher eine genetische Komponente. Allerdings kann man nicht sagen, dass zwei Linkshänder nur linkshändige Kinder bekommen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist größer als bei rechtshändigen Eltern, liegt aber deutlich unter 100 Prozent.
DW: Linkshänder gelten als intelligenter und kreativer, stimmt das?
Dieser Mythos kommt dadurch zustande, dass uns Linkshändigkeit bei berühmten Persönlichkeiten besonders auffällt. Denken Sie an Barack Obama, Bill Clinton, Paul McCartney oder Jimi Hendrix. Von vielen Berühmtheiten wird auch nur behauptet sie seien Linkshänder gewesen, obwohl es keinen Beleg dafür gibt, zum Beispiel Albert Einstein oder Marylin Monroe. Jedenfalls finden sich unter besonders talentierten oder bekannten Persönlichkeiten keine auffälligen Häufungen von Linkshändern. Lediglich in Sportarten, bei denen Athleten eins gegen eins antreten, wie im Tennis oder beim Boxen, haben Linkshänder Vorteile. Das liegt daran, dass sie nicht so häufig sind wie Rechtshänder. Man hat das sogar wissenschaftlich untersucht und herausgefunden, dass wir allgemein die Bewegungen und Aktionen linkshändiger Tennisspieler ein wenig schlechter abschätzen können als uns das bei Rechtshändern gelingt. Gerade im Spitzensport können solch kleinen Vorteile entscheidend sein.
DW: Oft werden Linkshänder umerzogen, inwieweit macht das einen Sinn?
Das ist absoluter Unsinn. Ich würde sogar so weit gehen, das als Eingriff in die Menschenrechte einzuschätzen. Was das für eine Qual ist, kann jeder Rechtshänder nachvollziehen, wenn er selbst einmal einen Tag lang alles mit der Linken erledigt, was er sonst mir der rechten Hand tut. Viele Linkshänder leiden enorm darunter. Es gibt ein sehr bekanntes Beispiel dafür: König Georg VI. von England, der Vater der heutigen Queen. Er stotterte. Sein Umgang mit diesem Problem wurde im Film "A King’s Speech" dargestellt. Er war eigentlich auch Linkshänder und wurde umgeschult. Man nimmt an, dass seine Sprechprobleme von dieser Tortur herrührten.
DW: Gibt es etwas, was Linkshänder besonders gut können?
Linkshänder sind genauso talentiert oder unbegabt wie Rechtshänder. Man hat ihnen meist bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften angedichtet. Linkshänder sollten besondere übernatürliche Fähigkeiten haben, in manchen Religionen kommt aus der linken Hand Tod und Verderben, und in der Bibel werden beim Jüngsten Gericht die Verdammten nach links geschickt. Das rührt letztendlich vom Bedürfnis des Menschen zur Mustererkennung her. Die Menschen nach so einem einfachen Kriterium wie der Händigkeit einzuteilen, ist sehr simpel. Manchen beruhigt so eine Einteilung, auch wenn sie Quatsch ist, nach dem Motto: Hier sind wir und ihr, die anderen, seid dort drüben
DW: Brauchen Linkshänder spezielle Produkte oder Hilfsmittel für den Alltag?
Bei manchen Tätigkeiten, wie dem Schreiben mit Füllfederhalter oder dem Schneiden mit einer Schere, ist es für Linkshänder ein großer Vorteil, wenn sie für sie optimierte Gegenstände benutzen. Es fällt ihnen dann einfach leichter. Das ginge Rechtshändern, die beispielsweise eine Linkshänderschere benutzen müssten, ja auch so. Es gibt aber mittlerweile sehr viele Produkte speziell für Linkshänder, sogar Geldbörsen, bei denen das Kleingeldfach links ist, so dass sie hierzulande eigentlich keine Probleme haben sollten. Mit dem richtigen Federhalter schreiben Linkshänder auch genauso gut oder schlecht wie Rechtshänder. Dass sie dabei Probleme hätten, weil wir von links nach rechts schreiben, ist ein Mythos. Man sollte lediglich darauf achten, dass die Kinder von Anfang an die Hand beim Schreiben gerade halten, ähnlich wie Rechtshänder, und nicht die vielen bekannte, ungesunde Hakenhaltung annehmen.
Sebastian Jutzi ist Wissenschaftsjournalist und Biologe. Er selbst ist Beidhänder, hat sich lange mit dem Phänomen Linkshändigkeit beschäftigt und dazu publiziert.
http://www.fischerverlage.de/buch/nur_fuer_linkshaender/9783651000445
Interview: Marita Brinkmann