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Alles wird anders 2017

Volker Wagener19. September 2016

Soviel Unruhe war lange nicht mehr in Berlin. Die Bundestagswahl ist noch ein Jahr entfernt, doch die Flüchtlingsfrage hat die Parteienlandschaft massiv durcheinandergewirbelt. Ein Parteien-Check.

Koalitionsgespräche Seehofer Merkel Gabrie. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Selten zuvor war das gesellschaftliche Klima so aufgeladen wie seit Sommer 2015. Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und die innere Sicherheit bereiten den Menschen Sorgen, es geht emotionaler zu als sonst. Und die Parteien hat das Vorwahlkampffieber längst erfasst. Denn eines ist (fast) klar: Das kommende Parlament wird aller Voraussicht nach sechs Parteien umfassen. Das gab es noch nie. Schwarz-Grün ist möglich und die AfD ist mit dabei.

CDU/CSU: Gespalten wie nie

Die Unions-Schwesterparteien erleben gerade eine Frontal-Kontroverse um die Flüchtlingspolitik. Dem "Wir schaffen das" der Kanzlerin setzt die CSU aus Bayern ein "Wir ändern das" entgegen. Ein Fundamental-Streit ums Prinzip. Noch ist unklar, ob Angela Merkel überhaupt für eine vierte Amtszeit zur Verfügung steht. Sie braucht die Unterstützung der kleineren CSU, die eine Obergrenze für Flüchtlinge (200.000) fordert. Merkel ist dagegen. Doch jeder zweite Deutsche lehnt inzwischen eine neue (die vierte) Kanzlerschaft Merkels ab. Demoskopen sehen die Union bei 32 bis 35 Prozent. Das ist historisch niedrig, reicht aber zum Weiterregieren mit Partner. Die entscheidende Frage derzeit lautet: Wer rückt nach vorne, wenn Merkel nicht mehr antritt? Wolfgang Schäuble, der über Autorität und Ansehen verfügt, ist zu alt (74) und gesundheitlich angeschlagen. Dahinter ist niemand in Sicht, der in die Fußstapfen Merkels passen könnte.

Auf dem Weg zu Schwarz-Grün? Zwei, die sich schätzen. Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) und Kanzlerin Merkel (CDU)Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

SPD: Wie klein darf eine Volkspartei sein?

Noch größer die Nöte bei den Sozialdemokraten. Ihr geht das traditionelle Etikett "Volkspartei" zunehmend verloren. Nur noch 20 bis 23 Prozent Wähler bringt die Partei Willy Brandts, Helmut Schmidts und Gerhard Schröders auf die Waage - mancherorts noch nicht einmal das. Als kleinerer Koalitionspartner konnte sie selten politische Akzente setzen und wenn, wurden diese wenig wahrgenommen (Mindestlohn, die Rente mit 63, Ausweitung der Frauenquote). Probleme bereitet auch das Spitzenpersonal. Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, mit Abstand der beliebteste Sozialdemokrat (44 Prozent), steht als Spitzenkandidat nicht zur Verfügung. Schon einmal stand er auf verlorenem Posten gegen Merkel (2009).

Parteichef Siegmar Gabriel wollen nur 17 Prozent der Deutschen als Kanzlerkandidaten der SPD. Doch auf ihn wird es wohl hinauslaufen. Jedenfalls kokettiert er schon mit der Rolle des Herausforderers. "Dass Angela Merkel mal Kanzlerin wird", sagte er erst vor wenigen Wochen, "hat 2004 auch keiner geglaubt." Die Perspektiven für die Sozialdemokraten sind wenig verheißungsvoll. In einer Neuauflage der schwarz-roten Koalition wird die Partei als Juniorpartner weiter an Kontur verlieren, für die Seniorrolle reicht es nicht mehr und ein rot-rot-grünes Bündnis ist umstritten. Und die Opposition ist - so der frühere Spitzen-Genosse Franz Müntefering - "Mist".

AfD: Schlammschlacht beim Spitzenpersonal, Siege an der Urne

Ganz anders die Situation bei der Alternative für Deutschland (AfD): Sie mobilisiert seit einem Jahr vor allem die Wahlverweigerer. Zwei Drittel ihrer Wähler bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern blieben 2011 zuhause und verzichteten auf eine Stimmabgabe. Jetzt treibt die AfD die Wahlbeteiligung nach oben. Das Flüchtlingsthema macht die Neu-Partei seit einem Jahr richtig groß. Auch mit Vorschlägen wie der der Parteichefin Frauke Petry, Flüchtlinge auf außereuropäische Inseln zu verschiffen, die unter UN-Mandat stehen sollen. Sozusagen ein modernes Sankt Helena (Napoleon) für Einwanderer.

Die AfD ist auf dem Weg, 2017 drittstärkste Partei zu werden. Demoskopen geben ihr derzeit bis zu 15 Prozent. Vor allem viele Selbständige aus dem Osten Deutschlands sympathisieren mit der AfD. Der Demoskop Manfred Güllner (Forsa) bezeichnet sie als "radikalisierte Mittelschicht". Besonders auffällig ist, dass die permanenten parteiinternen Machtkämpfe in der Führungsriege bei der eigenen Klientel nur wenig interessieren. Die Basis will vor allem den Total-Protest gegen die Berliner Politik.

Jubel im AfD-Lager über 21 Prozent bei der Landtagswahl in Mecklenburg-VorpommernBild: Reuters/J. Herrmann

Bündnis 90/Grüne: In der Zwickmühle des Erfolges

Ihre größte Angst derzeit: Bloß nicht die Bündnisfrage aufkommen lassen. Der linke Flügel der Partei favorisiert ein rot-rot-grünes Bündnis, Teile der Realos sympathisieren - zum Teil noch klammheimlich - mit einer politischen Premiere: Einer schwarz-grünen Koalition in Berlin. In der Flüchtlingspolitik erweisen sich die Grünen schon als Merkels natürliche Verbündete. Schwarz-Grün ist in aller Munde, seitdem Winfried Kretschmann 2011 erster grüner Ministerpräsident Baden-Württembergs wurde, einem Stammland der CDU. Kretschmann, so populär wie Joschka Fischer in seinen besten Zeiten, hat den Grünen den Einbruch in konservative Wählerschichten beschert. Dennoch wäre eine Koalition zwischen Union und Grünen problematisch. Denn CSU und grüne Basis liegen auf nahezu allen Politikfeldern über kreuz. Die Meinungsforscher sehen die Partei bei rund 12 Prozent.

Die Linke: Schmelzende Potentiale im Osten

Die Linke ist 26 Jahre nach der Deutschen Einheit immer noch eine Ost-Partei. Auch die AfD sammelt vornehmlich in den neuen Bundesländern Stimmen - und konkurriert damit im gleichen Revier. Bei den letzten Landtagswahlen im Osten wechselten zehntausende Linkswähler ins AfD-Lager. Und auch soziologisch gesehen steht die Linke im Wettbewerb mit der neuen Rechten: Beide verstehen sich als Interessenvertreter der unteren Einkommensschichten. Deshalb will die Linke als Mitglied einer Linkskoalition vor allem die Reichen stärker besteuern. Die Meinungsforscher rechnen mit soliden neun Prozent für die Linken bei der Wahl 2017.

FDP: Ausgeruhter Nullstart

Die Liberalen scheinen nach dem Totalabsturz 2013 im Bund und in fast allen Länderparlamenten wieder genesen zu sein. Nach dem Tod der auch international bekannten Ex-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle (beide auch ehemalige Außenminister) und dem politischen Abschied zahlreicher älterer Spitzen-Liberalen muss sich die FDP auch personell neu erfinden. Alle Hoffnungen ruhen dabei auf dem erst 36-jährigen Christian Lindner, der seit 2013 den Parteivorsitz inne hat. Die frühere "Steuersenkungs-Partei" schreibt das Thema Entlastung der Bürger beim Fiskus inzwischen eher klein. Bloß keine Verengung auf die alte FDP-Programmatik, lautet die Devise. Der Sprung über die Fünfprozenthürde im September 2017 scheint (derzeit) gesichert.

Er soll es wieder richten. Christian Lindner, seit 2013 Parteichef der LiberalenBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka
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