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Kontroverse um #allesdichtmachen

Elizabeth Grenier
23. April 2021

Prominente Schauspieler wie Ulrich Tukur oder Jan-Josef Liefers kritisieren die Corona-Politik der Bundesregierung. Bei Corona-Leugnern fand das Zustimmung.

Deutschland Schauspieler Internetaktion #allesdichtmachen
Bild: Internetaktion #allesdichtmachen via Youtube/dpa/picture alliance

Unter dem Hashtag #allesdichtmachen wurden am Donnerstagabend (22.04.2021) eine Reihe von Videos veröffentlicht, in denen prominente deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler in Form knapper Statements oder Sketche auftreten. Sie kritisieren darin die Coronapolitik der Bundesregierung. Rasend schnell verbreiteten sich die Videos im Netz.

Laut den Schauspielern sind die rund 50 Videos als satirischer Kommentar auf die Einschränkungen durch die Coronamaßnahmen der Bundesregierung gedacht. Die Kampagne sorgt jedoch für eine heftige Kontroverse unter Kulturschaffenden und Nutzern der sozialen Netzwerke im ganzen Land. Kritiker bezeichneten die Videos als geschmacklos und peinlich. Im Kreis der Corona-Leugner, etwa der "Querdenker"-Bewegung, hingegen stieß die Kampagne auf großen Zuspruch. Sie sehen sich durch die Videos in ihrer Meinung bestätigt.

 Auch Ulrich Tukur hat ein Video im Rahmen der Kampagne aufgenommen. Der Schauspieler ist einem breiten Publikum bekannt durch seine Hauptrolle in der Krimiserie "Tatort"und seinem Auftritt im oscarprämierten deutschen Film Das Leben der Anderen (2006). In seinem Video fordert Ulrich Tukur die Bundesregierung dazu auf, "jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz" zu schließen. "Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden - nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte." Denn, so Tukur: "Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutanten-Bagage die Lebensgrundlage."

Medien in der Kritik

Offensichtlich als komödiantische Übertreibung gemeint, lautet die Essenz der Videobotschaft: Die Coronamaßnahmen sind übertrieben und die Medien fungieren bloß noch als Sprachrohr der Regierung. Jan-Josef Liefers, ein weiterer prominenter "Tatort"-Kommissar, nimmt auf die Rolle der Medien in seinem Video direkt Bezug: Er danke allen Medien des Landes dafür, dass sie dafür sorgen, "dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung." Bis Freitagmorgen wurde sein YouTube-Video über 500.000 Mal angeschaut.

Liefers war einer der Stars, die sich nach der Veröffentlichung ihres Videos mit heftiger Kritik auseinandersetzen mussten. Ihm wurde vorgeworfen, seine Aussagen spiegelten die Ansichten von Verschwörungstheoretikern wider, die die Medien als "staatliche Propaganda" betrachten. In einem Tweet distanzierte er sich im Nachhinein von Querdenkern und der rechtspopulistischen Partei AfD und stellte klar, sein Video sei ein ironischer Kommentar darauf gewesen, wie die Medien ihre Prioritäten in der Berichterstattung setzten. 

Andere prominente Schauspieler der "Tatort"-Reihe verurteilten die Videokampagne, unter ihnen Nora Tschirner und Christian Ulmen. "Echt ja, Leude? Was‘ los da? 'Make cynicism great again'?" schrieb Tschnirner auf ihrem Instagram-Profil. "Heute bisschen für Kollegen schämen. #allesschlichtmachen", äußerte sich Ulmen auf derselben Plattform.

"Mit Zynismus ist doch keinem geholfen"

Volker Bruch, international bekannt durch seine Rolle als Inspektor Gereon Rath in der TV-Serie "Babylon Berlin" , stellt in seinem Video fest, dass er Angst davor habe, keine Angst mehr zu haben. Er bittet ironisch darum, die Regierung möge den Menschen bitte noch mehr Angst machen.

Der Schauspieler Elyas M'Barek, Hauptdarsteller der "Fack Ju Göhte"-Filme, hinterließ einen Kommentar unter Bruchs Video: "Come on, das ist doch Blödsinn. Was unterstellst du denn da unserer Regierung? Kann ich null nachvollziehen. Jeder will wieder zur Normalität zurückkehren und das wird auch passieren. Wenn alle dafür sorgen, dass eine weltweite PANDEMIE bekämpft wird. Mit Zynismus ist doch keinem geholfen."

Gespaltene Reaktionen

Unter denjenigen, die die Kampagne begrüßten, befand sich Hans-Georg Maaßen. Der einstige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutzes war als solcher in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden, nachdem ihm Nähe zu rechtsextremen und rechtspopulistischen Kräften vorgeworfen worden war. Nun bewirbt sich das CDU-Mitglied für ein Bundestagsmandat. Die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar (AfD) lobte die Videos auf Twitter ebenfalls.  

Kritisiert die Aktion #allesdichtmachen: Kulturstaatsministerin Monika GrüttersBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Kritisch äußerten sich hingegen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und der Kulturrat. In einer Pressemitteilung ließ Grütters verlauten, sie hätte sich bei "allem Respekt vor der Freiheit der Kunst" und allem Verständnis für die "Nöte der Kreativen" mehr Empathie von den beteiligten Schauspielerinnen und Schauspielern gewünscht für die Menschen, "die vom Corona-Virus betroffen sind oder im Gesundheitssystem harte Arbeit leisten". Sie betont: "Es geht in dieser Naturkatastrophe um die Rettung von Menschenleben, das dürfen wir nie vergessen."

Der Deutsche Kulturrat bezeichnete die satirische Aktion als "nicht hilfreich". Die Schauspieler hätten mit ihren ironisch überspitzten Videos eine große Irritation ausgelöst, sagte Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Bemühen um kleine Öffnungsschritte für den Kulturbereich sei die Aktion "kontraproduktiv". 

Einigermaßen gelassen äußerte sich hingegen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) über die Kritik: "Ich wäre eher besorgt, wenn es keine gäbe." Überall wo er sei, höre er auch Kritik an einschränkenden Maßnahmen gegen die Pandemie. Entscheidend sei, dass man miteinander im Gespräch bleibe, so Spahn.

Als Reaktion auf die Kritik haben einige Schauspielerinnen und Schauspieler inzwischen entschieden, ihre Videos wieder zurückzuziehen - unter ihnen Wotan Wilke Möhring und Heike Makatsch.

Einige Teilnehmende rudern zurück

Heike Makatsch, die einem breiten Publikum aus Hollywoodfilmen wie "Resident Evil" (2002), "Tatsächlich Liebe" (2003) und "Die Bücherdiebin" (2013) bekannt ist, hatte ursprünglich einen Sketch beigesteuert: Darin erklärte sie, sie würde nicht einmal mehr die Tür öffnen, obwohl es wieder und wieder klingelte. Um die Ausbreitung des Virus konsequent zu verhindern, dürfe man auch nicht mehr an die Tür gehen, um ein Paket anzunehmen oder Essen von einem Lieferdienst zu erhalten, so die Botschaft der satirischen Szene.

Nachdem sie sich auf Instagram in einem Post von rechtsextremen Ideologien distanzierte, bat sie außerdem darum, ihr Video vom YouTube-Kanal der Kampagne zu entfernen.

Die Warnungen der Intensivmediziner werden lauter

In Deutschland sind bereits über 80.000 Menschen an und mit dem Coronavirus gestorben. Die Intensivmediziner warnten zuletzt davor, dass es nicht dazu kommen dürfte, dass nicht mehr genügend Betten auf den Intensivstationen für andere Patienten zur Verfügung stünden. 

Darauf nahm der Satiriker Jan Böhmermann Bezug, als er die Kampagne auf Twitter kritisierte. Er wies auf eine Dokumentation hin, die darstellt, wie die Pandemie sich auf eine Intensivstation in Berlin auswirkt: "Das ist das einzige Video, das man sich ansehen sollte, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat." Dazu erschuf er einen neuen Hashtag: #allenichtganzdicht

Laut des Impressums der Kampagnenwebsite - die am Freitagmorgen nicht zu erreichen war, vermutlich aufgrund zu hoher Zugriffszahlen - wurde die Videoserie von der Münchener Produktionsfirma Wunder Am Werk GmbH produziert. Bernd K. Wunder, Geschäftsführer der Firma, bestätigte gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", dass er die Videos produziert habe, wollte sich zu seinen Beweggründen aber nicht äußern. Er sagte lediglich, bei den Videos handele es sich um Kunst.

Der Instagram-Kanal von Wunder legt jedoch nahe, wie er über die Pandemie und die politischen Maßnahmen denkt. Bei einem Bild von Kindern, die Masken tragen und an hygienekonformen Lernplätzen sitzen, spricht er von Angstmacherei und fügt hinzu, dass der Ausdruck "Coronazi" deshalb absolut angemessen sei. Damit nimmt er Bezug auf einen Begriff, der während der Pandemie geprägt worden ist, um solche Menschen zu beleidigen, die sich sehr strikt an alle Hygieneregeln und Coronamaßnahmen halten.

Adaption ins Deutsche: Christine Lehnen