Almuth Schult ist die einzige Mutter in der Frauen-Bundesliga. Trotz Vorstößen der FIFA leiste der Fußball insgesamt noch zu wenig Unterstützung für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie, sagt Schult im DW-Gespräch.
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Fast anderthalb Jahre ist es her, dass Nationatorhüterin Almuth Schult ihr letztes Pflichtspiel bestritten hat. Eine Schulter-Operation zwang die Torfrau vom VfL Wolfsburg nach dem Viertelfinal-Aus gegen Schweden bei der WM 2019 in Frankreich zur Pause. Doch diese sollte noch länger werden, denn Schult wurde schwanger und brachte im April 2020 Zwillinge zur Welt. Die 29-Jährige ist seitdem die einzige aktuelle Bundesliga-Spielerin mit Kindern.
"Das ist natürlich für alle Neuland", sagt Schult im Gespräch mit der DW. "Wir haben jetzt kein Paradebeispiel in der Frauen-Bundesliga, wo man auch mal bei einem anderen Verein hätte anrufen können: 'Mensch, wie habt ihr das gemacht mit dem Trainieren? Wie hat es mit den Kindern funktioniert? Wie sind die Auswärtsspiele organisiert?' Das müssen wir jetzt alles neu entdecken", sagt die junge Mutter, die in ihrer Karriere neben fünf Bundesliga-Meistertiteln auch die Champions League gewann.
Wenige Mütter im Leistungssportbereich
"Relativ wenige Leistungssportlerinnen haben Kinder. Es ist auch schwierig. Man hat eigentlich ein Jahr Unterbrechung in seiner Karriere. Man muss sich wieder rankämpfen. Das ist nicht leicht", erklärt die Nationalspielerin, die aber nie ans Aufhören gedacht hat: "Es ist harte Arbeit, und es ist ein langer Weg. Aber grundsätzlich liebe ich meinen Beruf, und deswegen ist es keine Frage gewesen, ob ich weitermache."
Die erste und größte Herausforderung für Schult war nach der Geburt das Wiedererreichen ihres Fitnesslevels. Mittlerweile ist es die alltägliche Vereinbarung ihrer Rollen als Profisportlerin und Mutter zweier Kinder. "Wir haben keinen planbaren Job. Wir haben nicht von Montag bis Freitag Bürozeit von 8 bis 17 Uhr, in der Kinder betreut werden können. Und wir können uns auch nicht einfach spontan Urlaub nehmen, falls mal irgendwas aus dem Rhythmus gerät", sagt Schult über die Herausforderungen.
Kaum Betreuungsangebote
Obwohl Schult beim VfL Wolfsburg, einem der erfolgreichsten und finanzstärksten Klubs in Europa, unter Vertrag steht, mangelt es auch von dessen Seite an Unterstützung bei der Betreuung. Laut einem Bericht der weltweiten Spielervereinigung FIFPRO aus dem Jahr 2017 boten zu dieser Zeit gerade einmal drei Prozent der Erstligisten im Frauenfußball weltweit überhaupt Betreuungsmöglichkeiten an. "Ich hatte immer das Gefühl, dass der Verein meine Entscheidung unterstützt", sagt Schult. "Aber natürlich wäre es für mich auch leichter, wenn ich jemanden hier im Verein hätte. Sagen wir mal, der Verein hätte eine Kita, und man könnte seine Kinder dort während der Trainingszeit abgeben. Aber das ist eben nicht der Fall."
Stattdessen setzt Schult auf die Unterstützung aus der Familie, um den Spagat zwischen Familie und Karriere zu meistern. In Deutschland sind die Rechte von Müttern im Beruf, also auch die von Profispielerinnen, gesetzlich geregelt. Aber international ist das eher die Ausnahme, sodass sich Spielerinnen meist zumindest während der aktiven Zeit zwischen sportlicher Karriere und Familie entscheiden müssen.
FIFA will Regelung für Mütter
Abhilfe könnte die FIFA schaffen. Der Weltverband schlägt eine einheitliche Regelung für Profispielerinnen und -trainerinnen vor. Klubs sollen werdenden Müttern 14 Wochen Mutterschaftsurlaub gewähren. Während dieser Zeit sollen mindestens zwei Drittel des Profigehalts fortgezahlt werden. "Ich finde es eine sehr gute Idee, wenn ich es weltweit betrachte", sagt Almuth Schult.
Die Torhüterin stellt aber gleichzeitig die Frage, "ob Mutterschutz überhaupt das Thema" ist oder "vielleicht auch die Frage, ob Spielerinnen überhaupt genug Geld verdienen, um nebenbei auch ein Kind großziehen zu können" im Vordergrund stehen sollte. So oder so sei man ihrer Ansicht nach "noch weit davon entfernt, dass Fußballerinnen sich da gut aufgehoben fühlen" können. "Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung und es ist auch ein Zeichen der FIFA, dass sie die Sache ernst nimmt", sagt Schult.
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Bundestrainerin als Vorbild
Während Schult in der Bundesliga nach wie vor die einzige Spielerin mit Kindern ist, steht sie im internationalen Vergleich nicht alleine da. Alex Morgan, US-Nationalspielerin und Weltmeisterin von 2019, unterschrieb im September 2020 nur vier Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes einen Vertrag bei Tottenham Hotspur und lief im November zum ersten Mal für ihren neuen Klub auf. Ähnlich war es bei Leroux Dwyer, Morgans Teamkollegin aus der US-Nationalmannschaft, die nur drei Monate nach der Geburt ihres zweiten Kindes bei ihrem Klub Orlando Pride auf den Platz zurückkehrte.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg kennt die Situation ihrer Nummer eins im Tor aus eigener Erfahrung. 1994 bekam sie als erste Profi-Spielerin überhaupt in Deutschland auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ein Kind. Nach ihrem Comeback wurde Voss-Tecklenburg mit der deutschen Nationalmannschaft im März 1995 Europameisterin und wenige Monate später Vizeweltmeisterin. 1997 verteidigte das DFB-Team mit Voss-Tecklenburg den EM-Titel erfolgreich. "Die Bundestrainerin hat gefragt, wie es bei mir läuft und hat ein bisschen was von sich erzählt, wie es gelaufen ist", erzählt Almuth Schult. "Das Wichtigste, worüber wir uns eigentlich beide einig sind, ist, dass es uns gut gehen muss - der Mutter, den Kindern, der Familie."
Als Nr. 1 zur EM 2022?
Fußball mag im Leben von Almuth Schult nicht mehr höchste und schon gar nicht alleinige Priorität genießen. Doch die Torhüterin will auch in der Nationalmannschaft wieder zwischen die Pfosten zurückkehren. Und wer wird die Nummer 1 bei der EM 2022? "Na hoffentlich ich", sagt die 64-fache Nationalspielerin. "Aber man weiß nie, was bis dahin passiert. Erst einmal muss ich wieder meine Leistung bringen, muss ich wieder im Verein spielen. Und dann kann der Rest kommen."
Adaption: David Vorholt
Über 50 Jahre Fußball der Frauen in Deutschland
Ende Oktober 1970 kippt der DFB sein Verbot von Frauenfußball-Teams und ebnet damit spät den Weg des deutschen Frauenfußballs. Der gehört heute zur Weltspitze. Eine Erfolgsgeschichte in Bildern.
Bild: Daniel Ulmer/Pressefoto ULMER/picture-alliance
Rückständiger DFB
1955 verbietet der DFB den Klubs, Frauenabteilungen zu gründen. Fußball sei "der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd", heißt es: "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand." Die Frauen scheren sich nicht um den DFB. Sie spielen - wie hier in Minden - Fußball.
Bild: Leonie Albig-Treffers/picture-alliance
Frauenfußball in der DDR nicht verboten
Während Frauenfußball im Westen untersagt ist, darf in der DDR gespielt werden. Aber: Das SED-Politbüro gibt im April 1969 eine Vorgabe heraus: Männerfußball ist Leistungssport, Frauenfußball nicht. Damit darf Frauenfußball weiter ausgeführt werden, gehört aber nicht zu den förderungswürdigen Sportarten. Es gibt nur ein Frauen-Länderspiel: Am 9. Mai 1990 unterliegt die DDR in Potsdam der CSFR 0:3.
Bild: FSU-Fotozentrum/picture-alliance
Die Wende im Jahr 1970
15 Jahre später bröckelt im DFB der Widerstand gegen den Frauenfußball. Für einen guten Zweck - wie im Juli 1970 bei einem Benefizspiel für die Deutsche Sporthilfe - zeigt man sich gerne mit den Fußballerinnen. Und kein Geringerer als Torjäger Gerd Müller (2.v.r.), der "Bomber der Nation", pfeift das Spiel. Am 31. Oktober 1970 kippt der DFB endlich seinen diskriminierenden Beschluss von 1955.
Bild: Parschauer/dpa/picture-alliance
Premiere auf großer Bühne
Wo sonst nur die Männer gespielt haben, treten jetzt auch die Frauen gegen den Ball - wie bei der Frauenfußball-Premiere im Stuttgarter Neckarstadion Ende November 1970 (Bild). Der TSV Öschelbronn besiegt die Spielvereinigung Weil im Schönbuch mit 3:1.
Bild: Michael Dick/picture-alliance
Erste "Tor des Monats"- Schützin
Ein Frauen-Nationalteam lehnt der DFB weiter ab. "Das war ein klarer Rückschritt", sagt Frauenfußball-Ikone Bärbel Wohlleben (Bild). "Außerdem durften wir nur zweimal dreißig Minuten spielen." Ihr Klub TuS Wörrstadt wird 1974 erster offizieller deutscher Frauenfußball-Meister. Die ARD-Zuschauer wählen Wohllebens Tor zum 3:0 im Finale gegen DJK Eintracht Erle zum "Tor des Monats". Ein Meilenstein.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler
Die Weltmeisterinnen aus Bergisch-Gladbach
Die SSG Bergisch Gladbach 09 entwickelt sich zum dominierenden Frauenteam Deutschlands. Zwischen 1977 und 1989 gewinnt der Verein neun deutsche Meistertitel und dreimal den DFB-Pokal. Hinzu kommen 1981 und 1984 zwei Triumphe beim internationalen Einladungsturnier in Taiwans Hauptstadt Taipeh, der inoffiziellen Weltmeisterschaft, wo Deutschland durch das Team aus Bergisch Gladbach vertreten wird.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Witschel
Klarer Sieg im ersten offiziellen Länderspiel
1982 ringt sich der DFB schließlich doch zu einer Frauen-Nationalmannschaft durch. Die deutsche Auswahl gewinnt ihr erstes Länderspiel am 10. Oktober 1982 in Koblenz gegen die Schweiz mit 5:1. Silvia Neid von der SSG Bergisch Gladbach 09 - später Erfolgstrainerin des DFB-Teams - gelingt in der historischen Partie ein Doppelpack.
Bild: Sven Simon/picture-alliance
Der erste internationale Titel
1989 findet die EM in Deutschland statt. Das Halbfinale gegen Italien - das DFB-Team gewinnt im Elfmeterschießen - ist das erste Frauen-Fußballspiel, das im deutschen Fernsehen live übertragen wird. Im Finale folgt ein 4:1 gegen Norwegen. Als Prämie für den ersten Titel spendiert der DFB den Spielerinnen jeweils ein Kaffeeservice. Bis heute folgten sieben weitere EM-Triumphe für die DFB-Frauen.
Bild: Sven Simon/picture-alliance
Siegen triumphiert in der neuen Bundesliga
1990 gründet der DFB die Frauen-Bundesliga. Gespielt wird in einer Nord- und einer Südstaffel. Die jeweiligen Tabellenersten und -zweiten spielen beim Finalturnier um den Titel. Die Spielerinnen des TSV Siegen holen sich 1991 nach der ersten Saison die Meisterschaft. Seit 1997 ist die Bundesliga eingleisig. Meister wird wie bei den Männern, wer am Ende der Spielzeit die meisten Punkte hat.
Bild: Imago Images/Horstmüller
Europas bestes Vereinsteam kommt aus Frankfurt
2002 wird erstmals die beste Frauen-Vereinsmannschaft Europas gekürt. Der 1. FFC Frankfurt - hier Nia Künzer (Mitte) im Finale gegen Umea IK - siegt beim "UEFA Women's Cup". Drei weitere Titel folgen: 2006, 2008 und 2015 - da heißt der Wettbewerb schon Champions League. Siebenmal wird der 1. FFC Deutscher Meister und ist das erfolgreichste deutsche Team im Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende.
Bild: Frank May/dpaweb/dpa/picture-alliance
Deutschlands erste Fußball-Weltmeisterinnen
2003 holen sich die deutschen Fußballerinnen erstmals den WM-Titel. In den USA besiegen sie im Finale Schweden mit 2:1. Nia Künzers Golden Goal per Kopf in der 98. Minute entscheidet das Spiel und wird später in Deutschland zum "Tor des Jahres" gewählt. Bei der Rückkehr präsentieren sich die Weltmeisterinnen vom Balkon des Frankfurter Rathauses aus mehreren tausend begeisterten Fans.
Bild: Michael Probst/AP Photo/picture-alliance
Birgit Prinz - dreimal Weltfußballerin
Mit sieben Treffern in sechs Spielen wird Birgit Prinz, die seit 1994 für die DFB-Auswahl aufläuft, Torschützenkönigin der WM. Bis 2011 geht der Superstar für die Nationalmannschaft auf Torejagd und ist mit 128 Treffern Rekordtorschützin. Dreimal in Serie (2003 bis 2005) wird Prinz zur Weltfußballerin gekürt, achtmal zu Deutschlands Fußballerin des Jahres. Heute arbeitet sie als Sportpsychologin.
Bild: picture alliance/dpa
Novum Titelverteidigung
Als erster Nation gelingt es Deutschland, den Frauen-WM-Titel zu verteidigen. Und wie! Die Bilanz des DFB-Teams bei der WM 2007 in China ist kaum zu überbieten: Sechs Siege und ein Unentschieden, 21:0 Tore. Im Finale in der Metropole Shanghai besiegt die Mannschaft um Spielführerin Prinz Brasilien mit 2:0. Seitdem hat das DFB-Team allerdings kein WM-Endspiel mehr erreicht.
Bild: picture alliance / Pressefoto Ulmer
Die ersten Champions-League-Gewinnerinnen
Zu Beginn der Saison 2009/2010 wird aus dem UEFA Women's Cup die UEFA Women's Champions League. Am Ende der Spielzeit triumphiert erneut eine deutsche Mannschaft. Der 1. FFC Turbine Potsdam setzt sich beim Finale in Getafe in Spanien im Elfmeterschießen gegen Olympique Lyon durch - und ist damit zum zweiten Mal nach 2005 Europas beste Vereinsmannschaft.
Bild: Alberto Martin/dpa/picture-alliance
Olympia-Gold in Rio
Zwei Jahre nach dem WM-Sieg des DFB-Männerteams holt erneut eine deutsche Mannschaft einen Titel im legendären Maracana-Stadion von Rio de Janeiro: Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft gewinnt im Finale der Olympischen Spiele 2016 gegen Schweden mit 2:1 und sichert sich damit Gold. Nach drei Bronzemedaillen (2000, 2004, 2008) steht erstmals ein DFB-Frauenteam ganz oben auf dem Olympia-Podest.
Bild: Reuters/U. Marcelino
Silvia Neid - alles gewonnen
Für Bundestrainerin Silvia Neid ist das Olympia-Gold von Rio krönender Abschluss ihrer Karriere. Nachdem sie als Spielerin dreimal Europameisterin und einmal Vizeweltmeisterin geworden war, löst Neid 2005 Bundestrainerin Tina Theune-Meyer ab. Sie führt das Team zum WM-Titel 2007, den EM-Triumphen 2009 und 2013 und schließlich zum Olympiasieg 2016. Dreimal wird Neid als Welttrainerin geehrt.
Bild: Getty Images/F.Coffrini
Durststrecke bei großen Turnieren
Seit Neid ihr Amt als Bundestrainerin aufgegeben hat, ist die Titelsammlung der DFB-Frauen nicht mehr gewachsen. Bei der EM 2017 ist im Viertelfinale Schluss, ebenso bei der WM 2019. Bei der wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschobenen EURO 2021 in England kommt das deutsche Team mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ins Endspiel, verliert aber unglücklich gegen die Gastgeberinnen.
Bild: Sebastian Christoph Gollnow/dpa/picture alliance
Duell zweier Top-Mannschaften
In den vergangenen Jahren dominieren mit dem VfL Wolfsburg und dem FC Bayern zwei Spitzenteams die Frauen-Bundesliga, wobei Wolfsburg meist die Oberhand behält und mehr Titel sammelt als die Münchenerinnen. Die "Wölfinnen" erreichen als einzige deutsche Mannschaft auch das Endspiel der Champions League, kassieren aber 2016, 2018, 2020 und 2023 jeweils eine Final-Niederlage.
Bild: Michael Memmler/Eibner-Pressefoto/picture alliance
Kaum noch reine Frauen-Vereine
Trend der neueren Zeit ist die Fusion von Frauen-Fußballklubs mit Vereinen, die bei den Männern erfolgreich sind. So spielt der 1. FFC Frankfurt seit 2020 als Frauenabteilung von Eintracht Frankfurt (Foto). Die Frauen profitieren so von besserer Infrastruktur und professionelleren Bedingungen. Reine Frauen-Fußballvereine gibt es in der Bundesliga kaum noch - einzige Ausnahme ist die SGS Essen..
Bild: Jürgen Fromme/firo Sportphoto/picture alliance