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Musik

Deutscher Shanty wird TikTok-Liebling in China

Julia Hitz
18. Dezember 2021

Achim Reichel ist der Mann hinter "Aloha Heja he". Der 77-Jährige ist seit 60 Jahren im Musikgeschäft und hat die deutsche Musikkultur entscheidend geprägt.

Achim Reichel
Bild: Christian Behring/POP-EYE/imago images

Elf Millionen Aufrufe in Chinas TikTok (dort ist der Name Douyin) und meist gesuchter Song bei der Liedererkennungs-App Shazam: Dass sein 30 Jahre alter Song "Aloha Heja he" nochmal eine solche Karriere in China machen würde, hätte sich Achim Reichel nicht träumen lassen.

Erfolge auf Shazam und TikTok

Erstmals berichtete ihm ein Geschäftsmann vor circa einem Jahr davon, dass er beim Radiohören in China auf einmal Reichels "Aloha Heja he" zu hören bekommen habe. Dann kam der Anruf seiner Plattenfirma, die ihm mitteilte, wie erfolgreich der Song auf den chinesischen Social-Media-Plattformen sei. Es folgte eine Flut von E-Mails und Interviewanfragen - auch aus China.

"Das kann man sich selbst gar nicht erklären", sagt Achim Reichel im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er ist froh, nicht mehr dreißig Jahre alt zu sein, "dann würde ich vielleicht abheben". Achim Reichel ist heute 77 Jahre alt, seit 60 Jahren im Musikgeschäft und war gerade dabei, etwas zur Ruhe zu kommen. "Doch seit die Nachrichten aus China sich überschlagen, laufe ich ganz aufgeregt und mit Schweißrändern durch die Wohnung", schmunzelt Reichel.

Von der Beatmusik zum Wehrdienst

Bereits mit 16 Jahren gründete der musikbegeisterte junge Mann 1960 die Band "The Rattles". 1962 spielten sie mit einer anderen aufsteigenden Band im legendären Hamburger "Star Club": mit den "Beatles". Zwischen den beiden Gruppen entstand eine freundschaftliche Beziehung. 1963 veröffentlichten die "Rattles" - wie auch die "Beatles" - ihre erste Langspielplatte. Die "Rattles" wurden Begleitband der "Rolling Stones", Little Richard und den "Everly Brothers" bei einer Großbritannientournee 1965. 1966 waren sie dann die Vorband der "Beatles" bei deren Deutschlandtournee. "The Rattles” waren eine der beliebtesten Beatbands in Deutschland.

Doch dann flatterte der Einberufungsbescheid ins Haus, Reichel musste seinen Wehrdienst antreten. Die lange Musikermähne wurde auf Soldatenlänge gestutzt. Für Achim Reichel wurde der Wehrdienst zum Karriereknick. Seinen Platz als Frontmann bei den "Rattles" nahm Sänger Frank Dostal ein.

Sie galten zeitweise als die deutschen Beatles: "The Rattles" in den 1960er JahrenBild: Schweigmann/United Archives/picture alliance

Neustart mit musikalischen Experimenten

Nach dieser Zwangspause wagte Achim Reichel 1968 einen Neustart. Gemeinsam mit Les Humphries gründete er die Band "Wonderland" und konnte mit der Single "Moscow" einen Hit landen. Lange hielt diese Band allerdings nicht. 1970 war Schluss mit "Wonderland".

Dafür konnte Achim Reichel sich auf Solo-Pfaden behaupten: Mit seinem Krautrock-Projekt "A.R. & Machines" konnte er sich - unter anderem mit der CD "Grüne Reise" - eine internationale Reputation erspielen.

Erfolg mit Seemannsliedern und Goethe

Reichel stammt aus einer Seefahrerfamilie, seit seinem ersten Album mit deutschsprachigen Seemannsliedern Mitte der 1970er-Jahre gilt er als deutscher "Godfather der Shanty-Erneuerung". Die alten Seemannslieder präsentiert er mit Stromgitarre, hartem Schlagzeugbeat und rockiger Stimme.

Nicht nur in der Volksmusik erfolgreich: Achim ReichelBild: presse

"Mein Herz schlägt für Populärkultur", sagt Reichel. "Leider wird diese in Deutschland sehr einseitig behandelt, alles Deutsche wird schnell dem Schlager zugeordnet." Dagegen sei er immer angetreten. Großes Lob gab es, als Reichel 1978 auf seinem Album "Regenballade" rockige Interpretationen deutscher Lyrik präsentierte. Texte von Fontane oder Goethe wurden von Achim Reichel in Szene gesetzt. Die intensive und erfolgreiche Arbeit mit deutschen Texten wurde für Achim Reichel zu einem Schlüsselerlebnis. Er begann damit, eigene Texte zu verfassen und sich mit moderner deutscher Literatur zu beschäftigen.

"Aloha heja he" und das Revival der Shantys

"Ich hatte diese Komposition bereits Mitte der 1970er gemacht, für ein ganz anderes Projekt", erinnert sich Reichel an die Ursprünge von "Aloha heja he". Die kleine Tonbandspule mit der Melodie habe er Anfang der 1990er wiedergefunden und dann "mit ganz leichter Hand" einen Text dazu geschrieben. Der Song wurde in Deutschland 1991 zum Sommerhit. "Hätte ich gewusst, dass ein Hit daraus wird, hätte ich die Gonokokken (Bakterien, die die Geschlechtskrankheit Gonorrhoe auslösen; Anmerkung der Redaktion) im Text sicher weg gelassen", lacht er. Deswegen gäbe es noch heute immer wieder Hörer-Beschwerden, wenn der Song in Deutschland im Radio gespielt werde.

Neue Interpreten wie Nathan Evans konnten mit Shantys wie "Wellerman" 2021 große Hits landen. Vielleicht ist es dieses Verbindende der Chorgesänge oder das Melancholische des Molls, das die Menschen heute anspreche, vermutet Reichel. Er könne da nur raten. Für ihn jedenfalls sei der späte Erfolg in China "fast zu schön, um wahr zu sein".

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