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Politik

Als Al-Kaida den Terror nach Ostafrika brachte

Jan Philipp Wilhelm
6. August 2018

Vor 20 Jahren griffen arabische Dschihadisten die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam an. Seitdem ist der Terror in Ostafrika verankert. Doch heute sind die Täter und ihre Ziele andere.

Bombenattentat auf US-Botschaft in Nairobi
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist der 7. August 1998, halb elf Uhr morgens. Vor der US-Botschaft in der kenianischen Hauptstadt Nairobi bringen zwei Attentäter einen mit Sprengstoff gefüllten Tanklaster zur Explosion. Nur neun Minuten später explodiert eine weitere Bombe, diesmal im Nachbarland Tansania vor der dortigen US-Botschaft in Daressalam. Insgesamt sterben bei diesen Anschlägen 224 Menschen, die meisten davon kenianische Zivilisten in Nairobi, wo die Wucht der Explosion die Fassade der Botschaft zerstört und ein Nachbarhaus zum Einsturz bringt.

"Die Angriffe auf die Botschaften in Nairobi und Daressalam waren ein echter Schock für viele Menschen", erinnert sich Murithi Mutiga, Sicherheitsexperte bei der International Crisis Group in Nairobi. "Die meisten Kenianer und Tansanier konnten nicht verstehen, was Menschen dazu bringt, ein solches Blutbad anzurichten."

Doch nicht nur für Kenia und Tansania, auch für den Rest der Welt waren die Anschläge auf die US-Botschaften ein Novum. Nie zuvor hatte ein Angriff des damals noch relativ unbekannten Terrornetzwerks Al-Kaida derart viele zivile Todesopfer gefordert. Bis dahin hatten sich islamistische Anschläge meist gegen militärische Einrichtungen gerichtet. Osama bin Laden und seine Organisation erlangten praktisch über Nacht internationale Bekanntheit. Weil die USA mit Raketenangriffen auf Ziele in mehreren Ländern reagierten, gelten die Anschläge für viele Experten heute als Ausgangspunkt des sogenannten Kriegs gegen den Terror.

Afrika als unfreiwilliges Opfer

Doch warum überhaupt Ostafrika? "Afrika war ein sogenanntes weiches Ziel für die Terroristen", erklärt Sicherheitsexperte Mutiga im DW-Interview. Westliche Botschaften waren dort nicht so gut bewacht wie anderswo, und durchlässige Grenzen machten es dem Terrornetzwerk leicht, Menschen und Bombenmaterial einzuschleusen. "So wurde Afrika leider zum unfreiwilligen Opfer dieses globalen Kriegs", sagt Mutiga.

Die Terrormiliz Al-Shabaab - hier bei einer Übung - operiert auch jenseits der Grenzen SomaliasBild: picture-alliance/AP Photo/F. Abdi Warsameh

Viele Kommentatoren prophezeiten damals, dass Afrika künftig zum Hotspot des globalen Terrorismus werden würde. Die Befürchtung: Fragile staatliche Strukturen, vor allem im Bürgerkriegsland Somalia, böten den Terroristen ideale Rückzugsräume und Rekrutierungsmöglichkeiten.

"Ich denke, das hat sich nur teilweise bewahrheitet", sagt Annette Weber, Ostafrika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zwar sei die somalische Terrormiliz al-Shabaab, die dem Al-Kaida-Netzwerk angehört, heute in der Region stark vernetzt und verübe Anschläge. Doch die Vorstellung, dass sich islamistischer Terror im 21. Jahrhundert vor allem in Afrika abspielen werde, habe sich nicht bestätigt. "Es ist weiterhin völlig klar, dass die Hauptschauplätze letztendlich im Nahen und Mittleren Osten liegen", so Weber im DW-Gespräch.

Terror ist heimisch geworden

Dennoch hat sich der Terror am Horn von Afrika festgesetzt. Besonders zwei Anschläge in Kenia sorgten für Aufsehen: auf das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi 2013 und auf die Universität von Garissa 2015. Doch seien die Täter inzwischen andere als noch vor zwanzig Jahren, sagt Annette Weber. Statt der "kleinen, mobilen Einheiten von Al-Kaida, die in die Region gereist sind um Anschläge zu verüben", handele es sich heute um "Gruppierungen, die sehr viel mehr in der Bevölkerung verankert sind", so die Politikwissenschaftlerin. Laut Experten spielt wirtschaftliche Not bei der Rekrutierung oft eine größere Rolle als religiöser oder politischer Extremismus.

Das kenianische Militär beendete den Angriff auf die Universität von GarissaBild: Getty Images/AFP/de Souza

Der kenianische Sicherheitsexperte Murithi Mutiga stellt auch bei den Zielen von Terroranschlägen in der Region einen Wandel fest. Während sich die frühen Angriffe explizit gegen westliche Ziele wie Botschaften gerichtet hätten, sei zunehmend auch die lokale Bevölkerung ins Visier geraten. "Bürger wurden zu Tätern gegen ihre eigenen Mitbürger." Im Oktober 2017 explodierte in der somalischen Hauptstadt Mogadischu ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen - fast 600 Menschen kamen dabei ums Leben. Keine Terrorgruppe bekannte sich öffentlich zu dem Anschlag, doch Experten halten eine Beteiligung von al-Shabaab für wahrscheinlich.

US-Drohnenangriffe bereiten Sorge

Die Sicherheitskräfte in der Region haben ihre Strategien an den hausgemachten Terror angepasst - bisweilen jedoch mit kontraproduktiven Resultaten, meint Mutiga. "Es gab die sehr unglückliche Vorgehensweise, Gruppen aufgrund ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit ins Visier zu nehmen." So beschuldigte die kenianische Regierung pauschal Somalier für die Anschläge in ihrem Land. Mittlerweile sei der Anti-Terror-Kampf allerdings stärker von rechtsstaatlichen Prinzipien und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen geleitet - offenbar mit Erfolg: "Natürlich weiß man nie, wann der nächste Anschlag kommt", sagt Mutiga. "Aber es sieht aktuell so aus, als könnte al-Shabaab nicht mehr so regelmäßig zuschlagen wie noch vor einigen Jahren."

Sorge bereitet dem Experten allerdings die neue Strategie der US-Regierung in Somalia, die vor allem auf verstärkte Drohnenangriffe gegen al-Shabaab setze. Zwar könnten solche Schläge auch manchmal positive Effekte haben, indem sie die Einsatzfähigkeit von Terrorgruppen eindämmen. "Doch sie können auch die Stimmung in der lokalen Bevölkerung aufwiegeln", warnt Mutiga. Laut dem britischen Journalisten-Verein TBIJ flogen die USA im laufenden Jahr in Somalia bislang 16 Luftangriffe. Knapp 90 Menschen kamen dabei ums Leben - zum Großteil al-Shabaab-Kämpfer.

In einer früheren Version dieses Artikels wurde die Zahl der Toten zu hoch angegeben. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.

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