Prag erinnert an die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Die Sowjetführung verdrängte damals die Reform-Kommunisten in der Tschechoslowakei mit linientreuen Genossen. Frank Hofmann blickt zurück.
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Eine halbe Million Soldaten, vorneweg die Panzer der Sowjetarmee: In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 beendeten Truppen des Warschauer Paktes den Prager Frühling auf Geheiß der Kommunistischen Partei (KP) in Moskau. Damit endete der Traum, dass es einen Sozialismus in Osteuropa geben könne, der auf Freiheit setzt – vor allem Meinungsfreiheit. Bereits seit Anfang 1968 hatten Journalisten die Zensur der CSSR-KP ignoriert. Alexander Dubcek, der Chef der tschechoslowakischen Kommunisten, hatte sie gewähren lassen. Er setzte auf einen freien und demokratischen Sozialismus in der Hoffnung, dass Moskau den Prager Weg zulässt. Zumal die CSSR-Kommunisten Teil des sowjetisch dominierten Ostblocks bleiben wollten. Doch die Angst, dass mehr Freiheit in Prag die Herrschaft der kommunistischen Parteien der Nachbarländer beenden könnte, war schließlich größer.
Zeitzeuge mit Fotokamera
Roland Berauer hatte die Nacht in einem Pfadfinder-Zelt auf dem Festgelände von Prag oberhalb der Moldau verbracht. "Wir haben gesehen, wie die gepanzerten Wagen an uns vorbei Richtung Innenstadt fuhren", erinnert sich der heute 82-jährige. Er hatte sich einer Zeitung der Pfadfinder angeschlossen – dass die frei publiziert werden konnte, war ein Ergebnis des Prager Frühlings. In einem Zelt hatten sie eine Redaktion eingerichtet. Mit Schreibmaschine, Druckmaschine und Fotokamera. Roland Berauer war der Fotograf. Er informierte die Gruppe über den Einmarsch und rief dazu auf, die Redaktions-Maschinen zu verstecken. "Für mich blieb allein, meine Kamera zu packen und in die Stadt zu gehen." Er fotografierte den Tag der Besatzung durch die Soldaten der Warschauer-Pakt-Staaten. Vor dem Rundfunkgebäude wurde geschossen, er rettete sich in einen Farbenladen. Vor dem Haupteingang des Funkhauses wurden Demonstranten von den sowjetischen Soldaten erschossen. "Es war schrecklich." Wenige Monate später wurde Alexander Dubcek, der Reformer an der Spitze der kommunistischen Partei, abgesetzt.
Neue Aktenfunde in den Archiven der Staatssicherheit
Die Erinnerung an diesen Tag wirkt bis heute nach in Tschechien, sagt Ondrej Matejka. Der Vize-Direktor des Instituts für Totalitarismus-Forschung in Prag ist der direkte Partner der deutschen Stasiunterlagen-Behörde. "68 wird nach wie vor als dieser emotionale Schock tradiert, der mit der Okkupation verbunden ist. Dieser 21. August und die paar Tage danach, als die Leute imstande waren, sich passiv zu wehren, als sie wirklich als Gesellschaft zusammengehalten haben - es war schon sehr, sehr stark." Für den Historiker hat die Aufarbeitung der Ereignisse von 1968 nichts an Aktualität verloren. Zumal in den Archiven der früheren Staatssicherheit der CSSR wie der sozialistischen Bruderstaaten immer neue Akten auftauchen. Vor allem die DDR-Staatssicherheit hatte seit dem Frühjahr 1968 die Reformen in Prag scharf beobachtet und sammelte Fotos und Berichte informeller Mitarbeiter. "Es ist das erste Mal dokumentiert, dass sich der Geheimdienst einer befreundeten Nation das Recht herausnimmt, auch die Staatsbürger eines anderen Landes zu observieren", sagt der Berliner Archivar Oliver Strübing, der mehr als tausend Fotografien sichtet. Mehr noch: Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings dienten sich die DDR-Agenten in Prag als Experten an. Und tatsächlich setzten alle Geheimdienste im Ostblock in den folgenden zwei Jahrzehnten auf Spitzel zur Sicherung der Herrschaft der kommunistischen Parteien.
IM-Vorwürfe gegen den Regierungschef
Die Fachhistoriker zur Aufarbeitung der CSSR-Staatssicherheit in beiden Hauptstädten der ehemaligen Tschechoslowakei – Prag und Bratislava – sind zudem überzeugt, dass diese Schatten bis in die heutige Zeit reichen. Vergangenes Jahr haben sie erstmals Akten veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass auch der heutige Ministerpräsident Tschechiens, Andrej Babis, seit 1982 inoffizieller Mitarbeiter der tschechoslowakischen Staatssicherheit gewesen sein soll. Der wehrt sich gegen die Vorwürfe juristisch – doch seine Klage gegen die Historiker wurde abgewiesen.
Unvollendete Aufarbeitung
"Babis wiederholt ständig das Wort Lügen", sagt Petr Pithart. Dabei sei der Ministerpräsident ohne Zweifel Informeller Mitarbeiter der CSSR-Stasi gewesen. "Wir haben alle im Fernsehen die Dokumente sehen können." Pithart war Ministerpräsident der tschechischen Teilrepublik der CSSR in der Übergangszeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und gehörte zum engsten Kreis des Wende-Präsidenten Vaclav Havel. Babis habe im Außenhandel der sozialistischen CSSR gearbeitet und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mithilfe seiner Seilschaften eine erfolgreiche Unternehmerkarriere hingelegt. Die Partei des Multimillionärs wurde vergangenes Jahr nach einem populistisch geführten Wahlkampf zur stärksten Kraft in der Tschechischen Republik. Der Havel-Vertraute Petr Pithart glaubt allerdings nicht, dass der amtierende Ministerpräsident die Spitzelvorwürfe schadlos überleben kann. Babis werde jedenfalls kein erfolgreicher Ministerpräsident werden, sagt Pithart. Der Historiker Ondrej Matejka sieht die Entwicklung dagegen selbstkritisch: "Warum wir jetzt einen Ministerpräsidenten haben, der ein IM war, hängt eher damit zusammen, was wir in den letzten 30 Jahren an Aufarbeitung geleistet haben, und da haben wir einiges nicht gemacht."
Die Welt gedenkt der Kommunismus-Opfer
Rund ein Drittel aller Menschen lebte bis zum Fall der Berliner Mauer in kommunistischen Ländern. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks folgte die weltweite Aufarbeitung. Deutschland hat dabei eine Sonderrolle.
Bild: picture alliance/dpa/P. Zinken
Tschechien: Mahnmal für die Opfer
Sieben bronzene Skulpturen stehen auf einer weißen Treppe am Fuße des Prager Petřin-Hügels. Das 2002 eingeweihte Mahnmal stammt von dem Bildhauer und ehemaligen politischen Häftling Olbram Zoulbek. Es ist laut Inschrift am Sockel nicht nur denen gewidmet, "die inhaftiert oder hingerichtet wurden, sondern auch all denjenigen, deren Leben vom totalitären Despotismus ruiniert wurden".
Bild: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Deutschland: Gedenkstätte Hohenschönhausen
Mehr als 11.000 Menschen saßen von 1951 bis 1989 im Untersuchungsgefängnis der DDR-Geheimpolizei (Stasi). Zuvor war das Gelände im Berliner Ortsteil Hohenschönhausen von der sowjetischen Besatzungsmacht als Speziallager für vermeintliche Regime-Gegner genutzt worden. Von dort wurden die Inhaftierten unter anderem in das von den Nazis errichtete KZ Sachsenhausen abtransportiert.
Bild: picture alliance/dpa/P. Zinken
Rumänien: Erinnerung an Widerstand
Auf dem Sockel einer niedergerissenen Lenin-Statue in Bukarest steht seit 2016 das 20 Meter hohe, aus drei Flügeln bestehende Denkmal des Bildhauers Mihai Buculei. Es steht vor einem der wichtigsten Gebäude aus der Stalin-Zeit am "Platz der freien Presse". Die Initiative ging vom Verein ehemaliger politischer Häftlinge aus.
Bild: Florian Kindermann
Albanien: "Haus der Blätter"
In Tirana wurde 2017 die erste Gedenkstätte nach dem Sturz des stalinistischen Regimes eröffnet. In der Nazi-Zeit hatten die deutschen Besatzer das Gebäude als Gefängnis genutzt. Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten 1945 wurden hier Menschen gefoltert und getötet. Später nutzte die Geheimpolizei das "Haus der Blätter", das wegen der Kletterpflanzen an der Fassade so genannt wird.
Bild: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Georgien: Museum sowjetischer Okkupation
In seiner Geburtsstadt Gori genießt der sowjetische Diktator Stalin in dem nach ihm benannten Museum noch immer Heldenstatus - 65 Jahre nach seinem Tod und 27 Jahre nach der wiedererlangten Unabhängigkeit. Inzwischen gibt es aber Pläne, die Ausstellung zu überarbeiten. Die unter Stalin verübten Verbrechen werden erst seit 2006 im Georgischen Nationalmuseum in Tiflis thematisiert.
Bild: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kasachstan: Opfer der Hungerkatastrophe
Rund 1,5 Millionen Kasachen fielen 1932/33 der durch Misswirtschaft und Zwangskollektivierung verursachten Hunger-Katastrophe zum Opfer. Den Toten ist das Skulpturen-Ensemble in Astana gewidmet. Eingeweiht wurde es am 31. Mai 2012, dem nationalen Gedenktag für die Opfer politischer Repressionen.
Bild: Dr. Jens Schöne
Lettland: Das Freiheitsdenkmal
"Milda" heißt die auf einem 19 Meter hohen Obelisken in Riga thronende Frauen-Figur im Volksmund. Errichtet wurde sie schon in den 1930er Jahren, also noch vor der sowjetischen Okkupation 1940. Die Statue ist für die Letten das zentrale Denkmal für ihren Willen zu Freiheit und Selbstbestimmung. Es war im Laufe der Zeit immer wieder Ausgangspunkt von Protest und Widerstand.
Bild: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Mongolei: Opfer politischer Verfolgung
Das zwischen Russland und China gelegene Land litt fast das gesamte 20. Jahrhundert unter Fremdherrschaft und Ausbeutung. Politisch wie wirtschaftlich war es die längste Zeit von der Sowjetunion abhängig. Das Museum zur Erinnerung an die Opfer politischer Verfolgung wurde 1996 in Ulan Bator eröffnet, ein Jahr später kam das Mahnmal dazu.
Bild: Torsten Baar
Korea: "Brücke der Freiheit"
Die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts über den Imjing-Fluss errichtete Brücke ist die einzige Verbindung zwischen dem geteilten Land. Im Korea-Krieg 1950-1953 war sie von größter militärischer Bedeutung. Auf südlicher Seite kann man über einen Holzsteg die Absperrung erreichen. Viele Besucher hinterlassen an dieser Stelle Fahnen und persönliche Botschaften.
Bild: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Kambodscha: Opfer der Roten Khmer
Schätzungsweise 2,2 Millionen Kambodschaner kamen während der Terror-Herrschaft der Roten Khmer ums Leben. Das war ungefähr die Hälfte der Bevölkerung. Nach dem Einmarsch ebenfalls kommunistischer Truppen aus Vietnam wurden Gebeine und Totenschädel öffentlich ausgestellt, um die Verbrechen zu dokumentieren. Noch heute gelten viele Massengräber als nicht entdeckt.
Bild: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
USA: "Göttin der Demokratie"
Die 2007 eingeweihte Statue in Washington ist eine Nachbildung der "Göttin der Demokratie", die chinesische Studenten 1989 während ihrer am Ende tödlichen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking errichtet hatten. Für das Mahnmal in der US-amerikanischen Hauptstadt engagierten sich neben einheimischen Politikern osteuropäische Freiheitskämpfer wie Václav Havel und Lech Wałęsa.
Bild: Prof. Dr. Hope Harrison
USA: Die Opfer von Katyń
In einem Wald des in Russland gelegenen Dorfes Katyń ermordeten die Sowjets 1940 rund 4400 polnische Kriegsgefangene, überwiegend Offiziere. Das Massaker ist in Polen Synonym für eine ganze Reihe von Massenmorden. Die Initiative für das Mahnmal in New Jersey, das allen Opfern des Sowjet-Kommunismus gewidmet ist, ging von polnischen Migranten in den USA aus.