1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Als die Bücher brannten

9. Mai 2018

Vor 85 Jahren loderten überall in Deutschland die Scheiterhaufen mit Literatur, die die Nationalsozialisten als "undeutsch" verwarfen. Gerade viele Studenten machten bei der Aktion begeistert mit.

Deutschland Nazi-Bücherverbrennung  (1933)
Bild: picture-alliance/AP Photo

"Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Was der Dichter Heinrich Heine mehr als hundert Jahre früher in seiner Tragödie "Almansor" sagte, sollte sich unter den Nationalsozialisten bewahrheiten. Denn die Bücherverbrennungen der Nazis 1933, nur wenige Monate nach Hitlers Machtantritt, waren nur der Anfang einer Verfolgung, die viele hundert Autoren ins Exil trieb und manche das Leben kostete.  

Die Vorarbeit hatten das Reichspropagandaministerium unter Joseph Goebbels und zwei rivalisierende, aber beide regimetreue  Studentenvereinigungen geleistet. "Der Staat ist erobert, die Hochschulen noch nicht." Mit diesem Schlachtruf gingen die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 daran, sich auch die Stätten des Geistes untertan zu machen. Und sie fanden willfährige Helfer, gerade an den Universitäten.

Studenten sammeln begeistert "undeutsches" Schrifttum Bild: Getty Images/Keystone

Dem Regime "unverhohlen angebiedert"

Aber nicht nur dort. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der auch damals schon bestand, gibt im DW-Gespräch zu: "Wir, und ich sage ganz bewusst: wir als Vertreter des Börsenvereins, haben damals aktiv an der Bücherverbrennung teilgenommen. Wir haben Listen erstellt. Wir haben Buchhandlungen angewiesen, bestimmte Bücher nicht mehr zu vertreiben. Und so haben wir letztlich die Nazi-Herrschaft und ihre Vorstellungen mit unterstützt." Wegen wirtschaftlicher Vorteile, die man sich vom Regime erhoffte, habe man sich ihm "unverhohlen angebiedert".

Zehntausende sehen bei der Bücherverbrennung in Berlin am 10. Mai 1933 zuBild: picture-alliance/AP Photo

Listen von Autoren und Schriften wurden zusammengestellt, die für einen "undeutschen Geist" standen. Darunter waren vor allem Juden, aber auch alle anderen Autoren, die den Nationalisten zu links, zu liberal, pazifistisch oder sonstwie kritisch gegenüber dem nationalsozialistischen Denken waren: Bertold Brecht, Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Heinrich Mann, Alfred Döblin und viele andere fanden sich auf der schwarzen Liste, aber auch Wissenschaftler wie Albert Einstein und Sigmund Freud. Insgesamt wurden fast hundert deutsche und fast vierzig fremdsprachige Autoren – zum Beispiel Ernest Hemingway und André Gide - als "undeutsch" eingestuft. 

Goebbels spricht von "Unrat"

Die zentrale Verbrennung fand am Abend des 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz statt. Mehr als 20.000 Bücher wurden zusammengekarrt. 5000 Studenten kamen mit Fackeln, zehntausende von Zuschauern verfolgten, wie Goebbels gegen Mitternacht ausrief: "Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende (…) Wenn Ihr Studenten Euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen, dann müsst Ihr auch die Pflicht auf Euch nehmen, an die Stelle dieses Unrates einem wirklichen deutschen Gut die Gasse freizumachen." Dann wurde das Feuer angezündet. Das gelang allerdings in dem strömenden Regen nur, weil die Feuerwehr mit Benzin nachhalf.

Reichspropagandaminister Goebbels: "Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende." Bild: picture-alliance/Everett Collection

Aber nicht nur in Berlin und nicht nur an diesem Abend fanden Bücherverbrennungen statt. Über Wochen davor und danach loderten in vielen deutschen Universitätsstädten die Scheiterhaufen mit missliebigen Schriften. In Freiburg hielt der neue Rektor, der Philosoph Martin Heidegger, die Ansprache und sagte dabei: "Flamme, künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt! Flammen zündet, Herzen brennt!"

Kästner geht zur eigenen Bücherverbrennung

Bei der Auswahl der Autoren und Bücher gab es durchaus Überraschungen. So stellte der Schriftsteller Oskar Maria Graf entsetzt fest, dass sich einige seiner Werke auf der "weißen Liste" der vom Regime empfohlenen Literatur befanden. "Verbrennt mich!", forderte Graf darauf. Manche Schriftsteller, etwa Thomas Mann, waren noch nicht verboten, wurden es aber später. Viele der verfolgten Schriftsteller hatten das Land bereits verlassen. Als wohl einziger Autor mischte sich Erich Kästner in Berlin unter die Leute, als auch seine eigenen Bücher auf den Scheiterhaufen geworfen wurden. Er wurde sogar erkannt, doch ihm geschah nichts, und als einer der wenigen blieb er in Deutschland und ging in die innere Emigration.

Andere, die im Land blieben, wurden eingesperrt und starben in Haft oder wurden hingerichtet wie Carl von Ossietzky und Erich Mühsam. Den Platz der Verfemten nahmen unterdessen linientreue Autoren ein. Über sie schrieb Tucholsky aus seinem schwedischen Exil: "Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur (…)nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg – jetzt aber!"

Verfemter Autor Tucholsky: "Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur."Bild: picture-alliance/akg-images

Was folgt aus dem Nie-wieder?

Alexander Skipis nennt die Bücherverbrennung "ein Fanal, ein Signal, das der gesamten Welt schon hätte zeigen müssen, dass in Deutschland etwas begonnen hatte, das noch in schrecklichem Chaos enden würde." Der Kritiker Alfred Kerr, der rechtzeitig nach England ausgewandert war, erklärte sich die Bedeutung der "Aktion wider den undeutschen Geist" so: Hitler habe dadurch alle Künstler zum Schweigen bringen wollen, "weil von wahrer Kunst Schärfung des Gewissens, Stärkung des Geistes, Kritik an der Halbwahrheit ausgeht, weil sie Aufruf zur höchsten Menschlichkeit ist".

Gibt es heute irgendwo Parallelen für das, was im Mai 1933 in Deutschland geschah? Alexander Skipis will nicht von Vergleichen sprechen. Er beklagt aber eine "Appeasementpolitik der Bundesregierung, aber auch der EU" im Umgang mit Ländern wie China, der Türkei oder Saudi-Arabien, die Menschenrechte missachteten, mit denen man aber gern Geschäfte mache, auch Waffengeschäfte. Der Börsenverein habe 1933 seine Werte verraten. "Unsere Werte scheinen heute immer nur so weit zu reichen, bis wirtschaftliche oder macht- oder geostrategische Überlegungen greifen." Bei diesem Punkt, meint er, müsse ein Nie-wieder ansetzen und sich auflehnen.  

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen