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"Krieg der Welten" von Orson Welles wird 80

30. Oktober 2018

"Fake News" sind nicht neu: Vor 80 Jahren sorgte ein angeblicher Radiobericht von einem "Krieg der Welten" in den USA für Aufregung - und löste damals eine große Debatte über Medienkompetenz aus.

Orson Welles Radiosendung Krieg der Welten
Bild: picture-alliance/AP

Am 30. Oktober 1938, einem Sonntag, hörten viele Amerikaner abends ganz entspannt Tanzmusik auf den Radiosendern des CBS-Netzwerks, als das Programm für eine Eilmeldung unterbrochen wurde. Es habe, so ein Moderator, auf dem Planeten Mars ungewöhnliche Explosionen gegeben, und Gaswolken bewegten sich auf die Erde zu.

Dann kam wieder Tanzmusik - kurz darauf von der nächsten Eilmeldung unterbrochen: In New Jersey sei ein sonderbares Objekt auf einem Feld gesichtet worden.

Reine Unterhaltung?

Meisterhaft hat hier der junge Regisseur Orson Welles den Roman "Der Krieg der Welten" von H.G. Wells aus dem Jahr 1898 über eine Invasion von Außerirdischen als Hörspiel inszeniert. Für den Beitrag in seiner Radioshow "Mercury Theatre on the Air" griff er tief in die Hörspiel-Trickkiste der damaligen Zeit, ließ das vermeintliche Musikprogramm von Eilmeldungen unterbrechen, schaltete angebliche Experten ein, um der erschreckenden Story Glaubwürdigkeit zu verleihen, ließ sogar vermeintliche Augenzeugen zu Wort kommen.

Orson Welles dirigiert mit erhobenen Armen den "Krieg der Welten"Bild: Acme Telephoto

Wer den Bericht hörte, musste annehmen, dass diese Aliens nicht aufzuhalten seien, dass sie ganze Armeen in Flammen aufgehen ließen und die Stadt New York mit Giftgas überzögen. Der Bericht, so hieß es später, habe zu einer Massenpanik auf den Straßen der Stadt geführt.

Orson Welles und sein "Mercury Theatre"-Team wollten die Hörer weniger in die Irre führen als vielmehr unterhalten. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es damals eine reale Kriegsangst gab: Die Amerikaner hörten Erschreckendes aus Nazi-Deutschland, während die Engländer bereits mit Gasmasken den Ernstfall probten.

Massenpanik - in den Zeitungen

Während das Hörspiel lief, riefen Menschen bei der Polizei an und berichteten von Rauchwolken am Horizont, die angeblich vom Kampf mit den Aliens herrührten. Einige behaupteten gar, Marsianer gesehen zu haben, andere waren überzeugt, die Invasoren seien keine Außerirdischen, sondern Deutsche.

Zum 75. Jahrestag von Orson Welles' Radiobericht schrieb die Zeitschrift "Slate", die wirklichen "Fake News" hätten Medien erst einen Tag nach der Sendung verbreitet, nämlich Meldungen über Massenpanik und Hysterie.

Damals nahmen Zeitungen, z.B. die "New York Times" oder der "Boston Daily Globe", die Situation zum Anlass, das neue Medium Radio als unzuverlässige und verantwortungslose Nachrichtenquelle zu diskreditieren. Mittlerweile geht man davon aus, dass diese Meldungen stark übertrieben waren, und von Massenpanik keine Rede sein konnte. Der Mythos Massenpanik im Zusammenhang mit Welles Radiobericht lebt aber fort.

Zweifelhafte Berichterstattung: Schlagzeile der "New York Times" am 31. Oktober 1938

Dafür gibt es viele Gründe, meint Michael Socolow. "Zunächst einmal ist es eine tolle Story", sagt der Dozent für Kommunikation und Journalismus an der US-amerikanischen Universität von Maine im Gespräch mit der DW. "Uns gefällt die Vorstellung, dass dieses neue Medium die Menschen mit so einer unglaublichen Geschichte erschreckt hat, es ist schon fast wie eine Verschwörungstheorie."

Außerdem, so Socolow, amüsieren wir uns gern über die damaligen Zuhörer und stellen uns vor, sie seien viel naiver gewesen, als wir es heute sind.

Wiederholungstäter

In Ecuador wurde das Spektakel 1949 wiederholt. Dieses Mal gab es wirklich eine Massenpanik, die Straßen Quitos waren Berichten zufolge voller schreiender Menschen und Armeepanzer auf dem Weg in den Kampf gegen Aliens. Als die Menschen bemerkten, dass es sich nur um ein Hörspiel handelte, wurde aus Angst Wut, die Massen stürmten den Radiosender, warfen Steine und setzten das Gebäude in Brand. Sechs Menschen starben.

In den späten 60er-Jahren wiederholte auch ein Radiosender in Buffalo, einer Stadt an der kanadischen Grenze im US-Bundesstaat New York, das Hörspiel. Von Toten war keine Rede, aber es gab Berichte über Anrufe besorgter Bürger und über kanadische Truppen, die eine Brücke sicherten.

Orson Welles mit Journalisten nach dem HörspielBild: public domain

Idealer Nährboden für Fake News: Internet und Soziale Medien

Warum funktionierte der Scherz immer wieder, warum vertrauten die Menschen dem neuen Medium? Derartige Falschmeldungen lösten eben Emotionen aus, meint Socolow. Heute sind das Internet und die Sozialen Medien ideale Plattformen für die Verbreitung von "Fake News". Aber das Hörspiel von Orson Welles brachte eine Diskussion in Gang. "Es löste eine der größten Debatten über Medienkompetenz in der Geschichte der USA aus. Sogar Adolf Hitler bezog sich darauf. Er machte sich über kleine grüne Männchen lustig, die in Länder einmarschieren", erzählt der US-Dozent.

1938 erklärte Orson Welles zwar, das Hörspiel sei lediglich als Unterhaltung gedacht gewesen, aber in einem Interview 1955 mit der BBC klangen seine Beweggründe ganz anders.

"Fake News" gibt es nicht erst seit Donald TrumpBild: DW

"Als wir die Marsianer-Sendung machten, hatten wir die Nase voll davon, wie alles, was aus dieser Zauberbox, dem Radio, kam, einfach geschluckt wurde", sagte er damals. Das Hörspiel sei gewissermaßen ein Angriff auf die Glaubwürdigkeit der Maschinerie gewesen. "Wir wollten erreichen, dass die Menschen verstehen, dass man nicht alles schlucken darf, was aus der Leitung kommt."

Das war lange bevor Donald Trump 2016 im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft Soziale Medien nutzte, um "Fake News" zu verbreiten und damit den Ausgang der Wahl zu beeinflussen.

Trump steckt an

In einer Meinungsumfrage im September dieses Jahres gaben die Mehrheit der Befragten an, den etablierten Medien nicht mehr zu vertrauen, da sie ungenau arbeiteten und "alternative Fakten" und "Fake News" verbreiteten - Begriffe, die gern von US-Präsident Trump und seiner Mannschaft benutzt werden. Trump attackiert seit Jahren die "Lügenpresse" und bezeichnet alles, was nicht in sein Weltbild passt, als "Fake News".

Es gibt schlüssige Beweise dafür, dass Facebook mit gefälschten Artikeln gespickt wurde auf Websites, die aussehen wie legitime Nachrichtenquellen - um die Demokratische Partei zu schwächen. Facebook hat versprochen, daran zu arbeiten, aber die sogenannten "Fact-Checker" können kaum mit den Algorithmen, die Fehlinformationen verbreiten, Schritt halten.

"Wir sollten ständig darüber nachdenken, was es bedeutet, unseren Informationsquellen zu vertrauen. Besonders in einer Welt der Algorithmen, in der Facebook, Instagram und Twitter unsere Feeds konfektionieren und uns nur das zeigen, von dem sie denken, dass wir es sehen wollen", mahnt Medienexperte Michael Socolow. "Wir, die Leser, Viewer und Nutzer, müssen viel kritischer sein und mehr über Medienkompetenz debattieren. Das war auch Welles' Intention."

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