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KonflikteUkraine

Als Transfrau in der ukrainischen Armee

Roman Goncharenko | Anna Pshemyska
27. September 2023

Die US-Amerikanerin Sarah Ashton-Cirillo wurde wegen umstrittener Äußerungen als Armeesprecherin in der Ukraine suspendiert. Was die erste Transfrau in dieser Position über die Kritik an ihr sagt.

Sarah Ashton-Cirillo in Militäruniform
Sarah Ashton-Cirillo während des DW-InterviewsBild: DW

Wenn Sie Information zum russischen Krieg gegen die Ukraine auf Englisch suchen, dann kennen Sie bestimmt Sarah Ashton-Cirillo. Sie ist eine von  jenen Ausländerinnen und Ausländern, die in den ersten Kriegstagen in die Ukraine gereist waren. Ashton-Cirillo wurde Kriegsbloggerin und machte sich mit Videos vor Ort einen Namen. Auch wegen ihrer Geschlechtsidentität (Ashton-Cirillo ist eine Transfrau) wurde sie von der russischen Propaganda und in sozialen Netzwerken massiv angefeindet.

Vertreterin der Territorialen Verteidigung

Die 45-jährige US-Amerikanerin dient in der ukrainischen Armee als Sanitäterin im Rang eines Unterfeldwebels - macht aber auch als Bloggerin weiter. Beim Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) hat Ashton-Cirillo mehr als 160.000 Follower, ihre monatliche Reichweite liegt im zweistelligen Millionenbereich. Beliebtheit war einer der zentralen Gründe, als sie Anfang August als englischsprachige Sprecherin der Territorialen Verteidigung (Teil der Streitkräfte) engagiert wurde. Ashton-Cirillo ist die erste Transfrau in dieser Position.

Der "Hass" der russischen Seite könne als Reichweitenverstärker nützlich sein, dachte man sich über die US-Amerikanerin beim ukrainischen Verteidigungsministerium. "Das Wichtigste ist, dass Sarah das englischsprachige Publikum informiert - sie berichtet objektiv über den russisch-ukrainischen Krieg, entlarvt russische Fakes und Propaganda", schrieb in ihrem Telegram-Kanal die damals stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maljar.

Kritik an Äußerungen über Russen

Kaum zwei Monate später, am 20. September, teilte die Pressestelle der ukrainischen Territorialen Verteidigung mit, man habe Ashton-Cirillo in Zusammenhang mit ihren jüngsten Äußerungen vom Dienst suspendiert. Diese seien "weder mit der Führung der Territorialen Verteidigung, noch mit dem Verteidigungsministerium abgesprochen" worden. Eine interne Prüfung sei eingeleitet worden. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, spottete auf Telegram: "Es ist spannend, welcher Posten kommt als Nächstes? Minister für Vorschulbildung oder Hauptfrauenarzt der Ukraine"?  

Die Suspendierung folgte auf Drohungen mit Gewalt an die Adresse eines namentlich nicht genannten "Kreml-Propagandisten". "Die Zähne russischer Teufel" würden demnächst "immer härter knirschen", sagte Ashton-Cirillo in einem Video. Die Welt werde sehen wie ein "Kreml-Propagandist für seine Verbrechen zahlen" würde. Es werde "erst der Anfang" sein, so Ashton-Cirillo in einem Video.

Die Äußerungen sorgten für Aufregung nicht nur in Russland, sondern auch in den USA. Der republikanische Senator John Vance schrieb einen Brief an hochrangige Regierungsmitglieder, darunter den Außenminister Antony Blinken und forderte Informationen zu Ashton-Cirillo an.

Nachdem Kritik an ihren Äußerungen laut geworden war, Ashton-Cirillo aber noch nicht entlassen war, antwortete sie auf die Frage der DW, was ihre Vorgesetztem über diese Geschichte denken: "Meine Vorgesetzten verstehen, dass Punkt 7 der 'Friedensformel' des Präsidenten Selenskyj, die nach der Befreiung (der Ukraine) umgesetzte werde, darin besteht, dass Propagandisten und Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden müssen. Wir haben gesehen…, dass Propagandisten hier in der Ukraine festgenommen werden. Also können die Leute mit Zähnen knirschen oder Schaum spucken wegen meiner Äußerungen, ich bleibe bei meinen Worten." Zu ihrer Suspendierung wollte sich Ashton-Cirillo gegenüber der DW nicht äußern. 

Auf die präzisierende Frage, ob sie mit "russischen Propagandisten" Journalisten gemeint hatte, sagte Ashton-Cirillo, dass sie "russische Journalisten für Informationskrieger" halte, sie seien für sie "keine Journalisten". Dabei fügte sie hinzu, dass ihren Vorgesetzten "manchmal Kopfschmerzen" wegen ihrer Äußerungen hätten, doch "sie verstehen, dass das effektiv" sei. Ashton-Cirillo versteht sich als eine Art Blitzableiter, um "diejenigen, die wichtiger sind im Land", vor verbalen Angriffen zu schützen.

"Militärs haben keine andere Identität"

Ashton-Cirillo sagte ebenfalls, sie glaube nicht, dass sie selbst Propaganda betreibe. "Wir berichten die Wahrheit… Es sind Nachrichten, die in einem anderen, besonderen Format präsentiert werden, aber gewiss keine Propaganda."

Wie auch immer das künftige Verhältnis zwischen Ashton-Cirillo und der ukrainischen Armee aussehen mag, ihre Erfahrung ist einmalig. Sie nennt Las Vegas ihr Zuhause und kam im März 2022 in die Ukraine, um ein Buch über Fluchtlinge zu schreiben. Sie blieb bis jetzt. In den ersten Kriegsmonaten war Ashton-Cirillo in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, die die russischen Kräfte damals vergeblich zu besetzten versucht hatten. Sie diente in der ukrainischen Armee und wurde im Februar 2023 verwundet.

Die Hasswelle an ihre Adresse in Russland lässt Ashton-Cirillo an sich abprallen, sagt sie: "Worte der Hasser (Hater) in Russland sind bedeutungslos."

Sie sagt, sie habe in der Ukraine keine Vorbehalte wegen ihrer Identität erfahren: "Persönlich niemals". Ashton-Cirillo beschreibt den ukrainischen Lebensstil als "libertär" und sagt, sie kenne noch zwei Transpersonen in den ukrainischen Streitkräften. "Militärs haben keine andere Identität, außer, dass sie Militärs sind", sagt sie.

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