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Politik

Alt und krank, aber nicht allein in Kiew

Alexander Sawizkij Kiew
18. März 2022

Familie, Freiwillige und Nachbarn kümmern sich um alte und kranke Menschen, die seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht aus Kiew flüchten können. Überall in der Hauptstadt sind lokale Hilfsstrukturen entstanden.

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Eine ältere Frau in einer Kiewer U-Bahn-Station, die als Luftschutzbunker dientBild: REUTERS

Etwa zwei Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bewohner, haben seit Beginn der Bombardierung Kiews durch die russische Armee die ukrainische Hauptstadt verlassen. Unter den Zurückgebliebenen sind viele alte, alleinstehende und nicht mehr transportfähige Menschen.

Die meisten kleinen privaten Geschäfte um die Ecke sind längst geschlossen und die öffentlichen Verkehrsmittel verkehren selten. Die noch geöffneten großen Supermärkte oder Apotheken sind für viele Alte und Kranke aber kaum erreichbar. Daher sind sie zunehmend auf Freiwilligenorganisationen bei der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten angewiesen.

"Wovor sollte ich noch Angst haben?"

Auf sich allein gestellt ist die 75-jährige Maria Wasyliwna. Sie lebt in Kiew, hat nur eine Tochter, die aber im Ausland ist und ihr nicht helfen kann. Maria beklagt, dass die kleinen Geschäfte in ihrer Nähe schon seit dem 24. Februar alle geschlossen seien.

Bis zum nächsten Supermarkt seien es anderthalb Kilometer, die sie aber mehr nicht laufen könne. "Meine Beine schaffen das nicht. Ich gehe nur noch raus in den Hof, setze mich auf eine Bank und füttere die streunenden Katzen. Eine Nachbarin hat mir dafür sieben Kilo Futter hinterlassen. Ich selbst habe zuhause nur noch trockenes Brot", sagt die Frau.

Zerstörungen in Kiew nach einem russischen RaketenangriffBild: Gleb Garanich/REUTERS

Kiew verlassen und sich an einen sicheren Ort begeben, das will sie nicht. Sie wüsste ja auch gar nicht, wohin sie sollte. Von den Hilfsorganisationen, die Bedürftigen derzeit kostenlos Lebensmittelpakete bringen, weiß sie nichts.

"Ich schaue Fernsehen, ich höre auch die Explosionen rundherum, ich kann sogar sagen, aus welcher Richtung sie kommen. Angst habe ich aber keine, ich bin schon alt, irgendwann muss man ja sterben. Also, wovor sollte ich noch Angst haben? Sorge bereitet mir nur, dass ich mit nichts helfen kann", so Maria Wasyliwna.

"Ich kann meine Mutter nicht allein lassen"

Während Maria Wasyliwna auf sich allein gestellt ist, hat die 52-jährige Switlana die Ukraine bewusst nicht verlassen, um sich um ihre 81-jährige Mutter zu kümmern. Diese hatte kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine einen Schlaganfall erlitten und kann sich seitdem nicht mehr eigenständig fortbewegen. Auch das Sprechen fällt ihr schwer.

Switlana wohnt im Kiewer Stadtteil Podil im obersten Stockwerk eines fünfstöckigen Altbaus ohne Aufzug. "Wir sitzen die ganze Zeit im Haus, ich kann nicht einmal in den Luftschutzbunker gehen, weil ich meine Mutter nicht allein zurücklassen will," sagt sie.

Kranke Kinder und Neugeborene im Keller eines Kinderkrankenhauses in KiewBild: Emilio Morenatti/AP/picture alliance

Die Hälfte der Hausbewohner hat die Stadt verlassen, die restlichen Bewohner halten zusammen. "Sollte es so weit wie in Mariupol kommen, wird man mir helfen und meine Mutter heruntertragen und in ein Versteck bringen. Wir halten einander auf dem Laufen,  wo und was man in welchem Laden kaufen kann. Wir bringen einander Lebensmittel und Medikamente", erzählt Switlana.

Explosionen und Schießereien

Erst vor wenigen Tagen stürzte nur 150 Meter von ihrem Haus entfernt eine von der ukrainischen Luftabwehr zerstörte russische Rakete vom Himmel herab und beschädigte ein Bürogebäude schwer. Die Explosionen und Schießereien machen Switlana schwer zu schaffen.

"Mein ganzer Körper zittert dann, die Beine und Arme. Ich brauche eine Stunde, bis ich wieder einschlafen kann. Gut, dass meine Mutter jetzt schwerhörig ist und erst etwas bemerkt, wenn die Fenster wackeln" sagt sie.

Zur Arbeit muss Switlana derzeit nicht gehen. Das studentische Theater der Kiewer Mohyla-Akademie ist aufgrund des Krieges geschlossen. Aber ihr Gehalt, und auch die Rente ihrer Mutter würden weiterhin regelmäßig gezahlt.

Dmytro Heotschaniwskyj koordiniert die Hilfe für kranke und Bedürftige in einem ehemaligen Café in Kiew Bild: Olexandr Savytsky/DW

Die guten Katzen von Kiew

Um die Menschen, die Hilfe benötigen, kümmern sich inzwischen viele ehrenamtliche Helfer der Organisation "Katzen von Petschersk", benannt nach einem der zentralen Stadtteile von Kiew. Dort sind es rund 1500 Bedürftige.

"Wir sind Teil der größeren Organisation 'Katzen von Solomjansk', die Bewohnern des gleichnamigen Bezirks der ukrainischen Hauptstadt helfen", sagt Dmytro Heotschaniwskyj, der als Freiwilliger im Einsatz ist.

Seit Beginn der Verteidigung Kiews sind in der ukrainischen Hauptstadt spontan zahlreiche ähnliche Strukturen entstanden, zusätzlich zu den Freiwilligenorganisationen, die schon seit den Euromaidan-Protesten und dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im Jahr 2014 existieren.

Die ehrenamtlichen Helfer der "Katzen von Petschersk" haben sich in einem Café in der Nähe des Denkmals für den unbekannten Soldaten des Zweiten Weltkriegs einquartiert. Dort gibt es nun ein Lager für Lebensmittel. Über eine Hotline wird von dort auch die Verteilung von Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten an alte und kranke Menschen koordiniert.

Dieses Kiewer Café ist jetzt ein Hilfszentrum für ältere und bedürftige MenschenBild: Olexandr Savytsky/DW

"Ich kann nicht sagen, wie viele Leute hier mithelfen, es ist jeden Tag ein Kommen und Gehen. Aber normalerweise arbeiten hier täglich Dutzende von Menschen. Sie alle tun das absolut freiwillig, es gibt auch keinen festen Dienstplan", erzählt Dmytro Heotschaniwskyj.

1000 Flaschen Speiseöl

Ihm zufolge kommt die gesamte Hilfe aus Spenden aus dem zentralen Lager der Organisation. Bei der Verteilung richten sich die Freiwilligen nach den Bedürfnissen derer, die auf Hilfe angewiesen sind.

"Meistens sind es Rentner, Kranke und Alte. Aber nicht nur! Wir helfen auch der Territorialverteidigung und Krankenhäusern. Gerade haben wir über 1000 Flaschen Speiseöl verteilt, damit die Menschen zumindest einen minimalen Vorrat haben, sollte es zur Blockade der Stadt kommen", sagt Heotschaniwskyj.

Die meisten Helfer sind junge Frauen und Männer, darunter viele Studenten. Eine von ihnen ist die 19-jährige Oksana. Sie sagt, sie hätte Kiew verlassen und bei Verwandten im Westen der Ukraine oder bei Bekannten in der EU unterkommen können. Aber sie entschied sich dafür, in Kiew zu bleiben und Menschen zu helfen.

"Anfangs hatte ich natürlich Angst, als ich Explosionen und Schüsse auf den Straßen hörte. Aber jetzt fürchte ich mich nicht mehr. Wenn ich von hier weggegangen wäre, dann hätte ich mein Herz nicht mehr auf dem rechten Fleck", sagt sie und legt ihre Hand auf ihre Brust.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Ukraine: Zerbombte Heimat

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