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Alte AKWs werden zum Risiko: Was hilft?

25. April 2020

Die meisten Atomkraftwerke stammen aus den 70er und 80er Jahren, das zunehmende Alter erhöht die Gefahr von Unfällen und Materialermüdung. Experten, Politiker und Bürger warnen vor verlängerten Laufzeiten.

Belgien Brüssel Proteste gegen alte Kraftwerke
Bild: Getty Images/AFP/E. Dunand

Nach der Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl am 26. April 1986 brach weltweit der Ausbau der Atomkraft ein, der Atomunfall im japanischen Fukushima 2011 war ein weiterer Schock. Pläne für neue AKWs wurden vielerorts auf Eis gelegt, inzwischen gehen nur noch wenig neue Reaktoren ans Netz.  

2019 wurden weltweit sechs neue AKWs in Betrieb genommen, im Jahrzehnt vor Tschernobyl waren es in der Regel mindestens 15 bis über 30 über pro Jahr. Laut World Nuclear Industry Status Report sind derzeit weltweit 414 Reaktoren in Betrieb und haben ein Durchschnittsalter von 30,6 Jahren, darunter 192 über 31 und 84 über 40 Jahren.

Alte Reaktoren gibt es vor allem in Europa und USA, neue fast nur in Asien, vor allem in China und Russland

Kritik an Weiterbetrieb von alten Atomreaktoren 

"Die meisten Atomkraftwerke in der Welt, vor allem im Osten Europas sind für eine Laufzeit von 30 Jahren ausgelegt. Nach dieser Zeit häufen sich die Störfälle, das Material wird spröde und die Anzahl von schwereren Störfällen steigt erheblich. Das heißt: die Risiken erhöhen sich", sagt die Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl von der Grünen Fraktion im deutschen Bundestag gegenüber DW.

Studien und Experten warnen schon länger vor der Gefahr von altersbedingter Materialermüdung, einer nachlassenden Sicherheitskultur bei Betriebsmannschaften und Aufsichtsbehörden sowie veralteten Sicherheitskonzepten. 

Besonders der Weiterbetrieb von Reaktoren über die ursprünglich konzipierte Laufzeit hinaus bereitet Beobachtern Sorgen. Die Französische Regierung etwa plant, AKWs bis zu 60 Jahre lang zu betreiben, das sorgt vor allem in den Nachbarländern für viel Kritik. 

"AKW-Neubauten und Laufzeitverlängerungen bestehender AKW lehnt die Bundesregierung ab", heißt es in der Stellungnahme des Bundesumweltministerium (BMU) gegenüber der DW. Der Betrieb von AKW über den Zeitraum der ausgelegten Betriebsdauer "ist sehr kritisch zu betrachten". Neben den Risiken durch den Betrieb und ungelöster Endlagerung von radioaktiven Abfällen sei die "fortschreitende Alterung der AKW, insbesondere bei veralteten Designs, ein entscheidender Aspekt", so das BMU.

"Atomkraft ist kein Klimaretter. Sie ist riskant, teuer und hinterlässt radioaktiven Abfall für tausende Generationen. Erneuerbare Energien sind die eindeutig bessere Lösung", betonte Bundesumweltministerin Svenja Schulze Ende Februar. Sie äusserte sich anlässlich der Abschaltung von Frankreichs ältestem Kraftwerk Fessenheim 1 nach 42 Betriebsjahren. "Wir werden nicht nachlassen, auch bei unseren Nachbarländern für eine Abkehr von der Atomkraft zu werben."

Franzosen, Belgier, Holländer und Deutsche protestieren in Tihange gegen den Weiterbetrieb von alten und maroden AKWBild: DW/G. Rueter

Grüne, Linke und Bürgerinitiativen fordern, dass die Bundesregierung sich stärker für die Stilllegung von alten Reaktoren in den Nachbarländern einsetzt. In der EU, Großbritannien und der Schweiz sind insgesamt 127 Reaktoren in Betrieb, davon 91 zwischen 31 und 40 Jahre und 18 über 41. Gefordert wird unter anderem ein Stopp der Herstellung von Brennelementen sowie angereichertem Uran in den deutschen Atomfabriken Gronau und Lingen und marode Reaktoren in den Nachbarländern nicht mehr mit diesen Brennelementen zu beliefern. Im Zentrum der Kritik steht momentan die Belieferung der 45 Jahre alten Reaktoren Doel 1 und 2 in Belgien. 

Umweltschützer haben Mitte April gegen diese Brennelement-Lieferung Widerspruch eingelegt und wollen notfalls auch klagen. "Bei einem Super-Gau in Belgien wären wegen der Windhauptausrichtung West Regionen wie Nordrhein –Westfalen und Teile von Niedersachsen betroffen", betont Alexander Vent vom Bündnis AgiEL aus Lingen.

Atomkraft zu teuer

Die Stromproduktion in Atomkraftwerken ist nach einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin nicht nur gefährlich, sondern auch teuer, nicht wettbewerbsfähig und deshalb keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung.

 

In der wirtschaftshistorischen Untersuchung nahmen die Wissenschaftler die weltweit betriebenen Atomkraftwerke genauer unter die Lupe und kamen zu dem Ergebnis, dass die Investitionen für die reine Stromproduktion überall unrentabel waren.

"Dass Atomenergie nie wettbewerbsfähig war, sollte uns nicht wundern, denn die Stromerzeugung war immer nur ein Nebenprodukt. Die militärischen und geostrategischen Interessen standen immer an erster Stelle und diese Energiequelle war massiv subventioniert", stellt Studienautor Christian von Hirschhausen klar. 

"Jetzt steht auch fest, dass es sich auch in Zukunft nicht rentieren wird, in Atomenergie zu investieren – weder in neue AKWs noch in die Verlängerung bestehender. Wenn man dazu noch bedenkt, dass Atomenergie absolut nicht sicher ist, fällt die Mär der klimafreundlichen Alternative zu fossilen Energieträgern völlig in sich zusammen", so von Hischhausen. 

Die Idee, den Klimawandel mit Atomkraft zu bekämpfen, sei nicht neu, ergänzt Mitautorin Claudia Kemfert. Aber sie sei "falsch und irreführend".  Zudem müsse bedacht werden, dass neben den direkten Kosten für die Produktion noch "horrende Kosten dazukommen, die von der Gemeinschaft getragen werden, zum Beispiel für die Lagerung von Atommüll."

Eine große Unterstützung für die Reaktorbetreiber ist laut DIW auch die Freistellung von einer umfassenden Versicherung gegen das Risiko großer Atomunfälle. Müssten sich die Kraftwerksbetreiber gegen einen großen Atomunfall umfassend absichern, würde Atomstrom um ein vielfaches teurer.   

Corona verschärft Gefahr von Atomunfall   

Alte Reaktoren haben einen erheblichen Investions- und Reparaturbedarf. Und "in der Regel dauern die Reparaturen immer viel länger als geplant", sagt Atomexperte Mycle Schneider, Herausgeber des unabhängigen World Nuclear Industry Status Report. 

Diese Faktoren machen auch die alten Reaktoren zunehmend unrentabel, betont Schneider. Trotz bestehender Betriebserlaubnis legen einige Betreiber deshalb ihre Atomanlagen still, wie etwa das AKW Three Mile Island bei Harrisburg in den USA. 

Durch die Corona-Pandemie drohen jetzt laut Schneider zusätzliche Risiken: Wartungsarbeiten könnten durch Ansteckungsgefahren nicht mehr wie geplant durchgeführt werden und auch die üblichen Inspektionen durch die Atomaufsichtsbehörden würden nun verschoben. 

"Wenn Reaktoren nicht wie geplant abgeschaltet werden, Inspektionen und Reparaturen um Monate verschoben werden, dann kann es zu sehr problematischen Situationen kommen", sagt Schneider, der zudem Gründungsmitglied der International Nuclear Risk Assement Group ist. "In der Geschichte der Atomkraft gibt es technische Mängel, bei denen eine Verschiebung von Inspektion um sechs Monate zu einem sehr schwerwiegenden Unfall hätte führen können." 

Ein weiteres Problem für die Sicherheit seien zudem sinkende Einnahmen durch die Coronakrise. Beim weltgrößten Atomkonzern EDF in Frankreich sinke der Stromabsatz um 15 - 25 Prozent und auch an der Strombörse gebe es nun viel weniger Geld für den erzeugten Strom. "Das heißt: der finanzielle Druck ist dramatisch gestiegen. Und dies kann bei Entscheidungen über sicherheitsrelevante Maßnahmen eine Rolle spielen", so Schneider gegenüber DW.

Schneider geht davon aus, dass der Staatskonzern EDF nach der Corona-Krise "in der jetzigen Form nicht mehr überlebensfähig ist" und nicht zukunftsfähige Bereiche in sogenannte Bad Banks ausgliedern muss. "Es gibt Druck für Veränderungen und eine positive Trendwende wird möglich". 

Wohin ein Teil der Reise gehen könnte, zeige EDF aber inzwischen auch selbst. "Ironischerweise hat EDF das derzeit billigste Solarangebot in Saudi-Arabien. EDF will dort Solarstrom für 1,6 Dollarcent pro Kilowattstunde liefern. Das heißt: innerhalb des Unternehmens sieht das Management, dass es andere Optionen als Atomstrom gibt, die sehr viel billiger sind", so Schneider. 

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