Weltweit sind Millionen Menschen von Demenz betroffen – eine Erkrankung, für die es bisher keine Heilung gibt. Die Hoffnung vieler ruht auf neuen Medikamenten wie Lecanemab.
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Seit Jahrzehnten suchen Forschende weltweit nach einem Medikament gegen Alzheimer – bislang allerdings mit bescheidenem Erfolg. Große Hoffnungen ruhen auf dem Wirkstoff Lecanemab.
Lecanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung eingesetzt werden kann. Das Medikament kann die Erkrankung nicht heilen, sondern ihr Fortschreiten verlangsamen.
2023 wurde Lecanemab von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) lehnte die Zulassung im Juli 2024 jedoch ab, da das Risiko schwerer Nebenwirkungen der Behörde zu groß erscheint.
Nach erneuter Prüfung spricht sich die EMA nun für die Behandlung mit Lecanemab aus – allerdings nur für bestimmte Patienten, bei denen die Gefahr schwerer Nebenwirkungen geringer ist.
Immer mehr Menschen sind vom Alzheimer betroffen
Weltweit sind etwa 55 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen, zu denen auch Alzheimer gehört. Zwei Drittel der Erkrankten leben in Entwicklungsländern. Angesichts der alternden Bevölkerung wird diese Zahl bis 2050 auf etwa 139 Millionen steigen, besonders dramatisch in China, Indien, Südamerika und den afrikanischen Ländern südlich der Sahara.
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Komplexe Abläufe im Gehirn
Die Entwicklung wirksamer Medikamente ist auch deshalb so schwierig, weil längst noch nicht alle Abläufe im Gehirn bei einer Alzheimer-Erkrankung geklärt sind. Dazu gehört auch die Frage, warum Gehirnzellen bei Alzheimer-Erkrankten absterben.
Im Gehirn Betroffener sammeln sich viele abnormale Proteine namens Amyloid und Tau an, aber in welchem direkten Zusammenhang diese beiden Proteine stehen, war bislang unklar.
Zusammenhang bei Zelltod enträtselt
Nun glauben belgische und britische Forschende dieses Rätsel gelöst zu haben. Laut einer neuen im Science Magazin veröffentlichten Studie besteht ein direkter Zusammenhang zwischen abnormen Proteinen, die sich im Gehirn ansammeln, und der "Nekroptose", eine Art des Zelltodes.
Normalerweise sorgt die Nekroptose vor allem bei Immunreaktionen oder Entzündungsvorgängen dafür, unerwünschte Zellen zu beseitigen, damit neue Zellen gebildet werden können. Wenn die Nährstoffversorgung zusammenbricht, schwellen Zellen an, wodurch deren Plasmamembran zerstört wird, die Zelle entzündet sich und stirbt ab.
Laut der Studie entzünden sich bei Alzheimer-Patienten die Gehirnzellen, weil sich abnormales Amyloid in den Zwischenräumen der Neuronen ablagert. Dadurch verändert sich die innere Chemie der Zelle.
Das Amyloid verklumpt zu "Plaques" und das Tau-Protein lagert sich zu Faserbündeln, den sogenannten "Tangles" zusammen. Durch dieses Zusammenspiel beginnen die Gehirnzellen das Molekül MEG3 zu produzieren. Wenn es dem Forschungsteam gelang, das MEG3 zu blockieren, dann überlebten auch die Gehirnzellen.
Dafür hatten die Forschenden menschliche Gehirnzellen in die Gehirne genetisch veränderter Mäusen transplantiert, die besonders große Mengen an abnormalem Amyloid produzieren.
"Zum ersten Mal erhalten wir einen Hinweis darauf, wie und warum Neuronen bei der Alzheimer-Krankheit absterben. Seit 30-40 Jahren wird viel spekuliert, aber niemand war in der Lage, die Mechanismen genau zu bestimmen", so der an der Studie beteiligte Prof. Bart De Strooper vom britischen Dementia Research Institute.
Hoffnung für neue Medikamente
Die Forschenden der KU Leuven in Belgien und vom britischen Dementia Research Institute am University College London hoffen, dass diese neuen Erkenntnisse auch ganz neue Ansätze für die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten liefern können.
Die Hoffnung ist nicht unbegründet, denn in jüngster Zeit wurde Medikamente wie Lecanemab entwickelt, die sich gezielt gegen das Eiweiß Amyloid richten. Wenn es gelingt, mit entsprechenden Medikamenten das MEG3-Molekül zu blockieren, dann kann auch das Absterben der Gehirnzellen aufhalten werden.
Das Gehirn - Rätsel der Menschheit
Was haben wir im Kopf? Wie funktioniert unser Oberstübchen? Die Bundeskunsthalle verbindet Wissenschaft und Kunst - und gibt Antworten.
Bild: Antonio Gravante/dpa/picture alliance
Die Seele als Vogel
Was macht den Menschen aus - sein Denken, sein Fühlen, seine Seele? Viele Glaubensrichtungen haben darauf ihre ganz eigenen Antworten gefunden. Im Alten Ägypten verbanden die Menschen die menschliche Seele mit dem Bild eines Vogels, der nach dem Tod in den Himmel aufsteigt. Einen solchen Seelenvogel - 2400 Jahre alt - zeigt die Bundeskunsthalle jetzt in ihrer großen Ausstellung über das Gehirn.
Bild: KHM-Museumsverband
Archiv aus Pappschachteln
Seit der Antike machten sich die Menschen ein Bild vom Innern unseres Schädels. Der Philosoph Aristoteles etwa hielt das Gehirn für ein Kühlaggregat des Blutkreislaufes. Der israelische Künstler Yaron Steinberg entwarf 2011 diese Hirnskulptur als ein Archiv aus Pappschachteln und Schubladen voller Gedanken und Erinnerungen. Sogar Weihnachtslichter haben darin ihren Platz.
Ungewöhnliches Selbstporträt
Die deutsche Künstlerin Isa Genzken näherte sich der Frage nach dem Gehirn auf eine geradezu medizinische Weise: "Mein Gehirn" heißt ihre Fotoarbeit von 2010, für die sie CT-Aufnahmen ihres eigenen Kopfes verwendete. Bei dieser 3D-Röntgenuntersuchung entstehen Schnittbilder des Körpers. Genzkens Arbeit funktioniert als Selbstporträt, schließlich ist das Gehirn so unverwechselbar wie das Gesicht.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Freundliche Inspiration
Über die Jahrhunderte laborierte die Medizin an ihrem Verstehen des menschlichen Gehirns. Erst bildgebende Verfahren im 20. Jahrhundert brachten einen Durchbruch. Dennoch bleibt vieles offen: Wie entsteht unser Denken und Fühlen? "Inspiration" heißt dieses Bild von Maria Lassnig (1919−2014). Darin schwebt ein grünes Wesen mit einem freundlich erhobenen Zeigefinger über einem liegenden Paar.
Bild: Maria Lassnig Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2021/22
Der Schädel von Descartes
René Descartes (1596-1650) war ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. Von ihm stammt das Dictum "cogito ergo sum" ("Ich denke, also bin ich"). Der mit einer Inschrift versehene Schädel des berühmten Denkers, dessen Schriften nach seinem Tod vom Papst verboten wurden, zählt heute zu den kostbarsten Objekten des Pariser Musée de l'Homme - und ist jetzt in Bonn zu sehen.
Bild: Muséum national d’histoire naturelle – JC Domenech
Kontaktversuch mit Hirn
Was trennt Wissenschaft und Religion? Das untersucht die chinesische Künstlerin Lu Yang. In ihrer Computerspielsimulation treten die buddhistischen Gottheiten der vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft mittels Tiefen-Hirnstimulation in Kontakt mit unserem Gehirn. Schon heute setzt die Medizin sogenannte "Hirnschrittmacher" ein, um Parkinson, Epilepsie oder Depressionen zu behandeln.
Bild: Lu Yang and Société
Kiki Smiths Traum
Sind mein Ich und mein Körper dasselbe? Viele Menschen fragen sich das, obwohl der Dualismus, die Trennung von Leib und Seele (oder Körper und Geist), heute unser Verständnis von Sterben und Tod prägt. Auch die Frage nach dem freien Willen knüpft sich daran oder die Frage, wie wir träumen. Die Deutsch-Amerikanerin Kiki Smith (geb. 1954) nannte ihre zweifarbige Radierung von 1992 schlicht "Traum".
Bild: Lehmbruck Museum, Duisburg
Christus trägt Marias Seele
Was geschieht mit der Seele nach dem Tod? Die Frage trieb die Christen des Mittelalters um. Diese Holzskulptur vom Bodensee, "Christus mit der Seele Mariens", belegt dies: Christus trägt die Seele seiner Mutter Maria in Form eines Kindes auf dem Arm. Die Darstellung symbolisiert die Überzeugung, dass die Seele eine eigenständige, vom Körper unabhängige Wesenheit sei.
Bild: Landesmuseum Württemberg, P. Frankenstein / H. Zwietasch
Wilde Szenen zeigen Gefühle
Menschenfiguren streiten, kämpfen, leiden, verletzen, verwandeln sich und beobachten - Einblicke in einen menschlichen Schädel gewährt der britische Künstler Richard Ennis in seinem Bild von 1991. Die teils verstörenden Szenen spiegeln offenkundig menschliche Gefühle wider. Wie es scheint, wurde Ennis durch Anatomiebücher in seiner Kindheit inspiriert. In der Bonner Ausstellung lassen sie staunen.
Bild: CC BY 4.0
Max Ernst und die zersplitterte Welt
Mit dem Psychoanalytiker Sigmund Freud und der Kunst psychisch erkrankter Menschen beschäftigte sich der deutsche Künstler Max Ernst (1891–1976). Dieses Porträt malte er um 1913 während seiner Studienzeit in Bonn, wo er unter anderem Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte studierte. Die Welt um die hier dargestellte Person zersplittert förmlich.
Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2021/2022
Sehenswertes Experiment
Das menschliche Gehirn ist ein Phänomen. Heerscharen von Wissenschaftlern, Denkern und Künstlern haben versucht, es zu enträtseln. Die Ausstellung im der Bonner Kunsthalle bündelt nun viele Fragen und Antworten - quer durch alle Wissensgebiete. Die Schau "Das Gehirn in Kunst & Wissenschaft" ist noch bis 26. Juni 2022 zu sehen. Ein Experiment, das zweifellos das Denken weitet.