Am Himmel wird's eng - wohin mit dem Weltraum-Müll?
17. November 2025
Wer mit Leonidas Askianakis sprechen möchte, muss erst einmal ein Zeitfenster in seinem Kalender finden. Und der ist akribisch aufgeteilt - im 30-Minuten-Takt, von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Treffen? Nur online. Gesprächsthema? Nur das All.
Trotz der vielen Slots sind seine Termine Wochen im Voraus ausgebucht. Ziemlich viel Betrieb für einen 22-Jährigen. Wann er schläft? "Jetzt bin ich doch auf der Zielgeraden", sagt er und zuckt mit den Schultern. "Ich kann mein Projekt doch nicht einfach liegen lassen."
Ein Mann mit einer Mission - und die lässt ihn selbst nachts nicht los. Dann liegt er wach und liest Nachrichten aus China: wieder Trümmer im Orbit, wieder Gefahr für Astronauten. Erst Anfang November musste eine chinesische Crew ihren Aufenthalt im All verlängern, weil befürchtet wurde, ihr Rückkehrschiff könnte von Schrott getroffen werden.
Und Schrott im Weltall ist so etwas wie Askianakis' Spezialgebiet.
Eine Trümmerzone über unseren Köpfen
Denn tausende Tonnen Müll rasen um die Erde: ausgediente Satelliten, Raketenstufen, Trümmer. Laut ESA schwirren über 1,2 Millionen Objekte größer als ein Zentimeter im Orbit - mehr als 50.000 davon sind größer als zehn Zentimeter.
"Gerade in 700 bis 800 Kilometern Höhe haben wir riesige Trümmerwolken, die Jahrhunderte bleiben und sich durch Kollisionen sogar vermehren", sagt Jan Siminski vom Space-Debris-Team der ESA in Darmstadt. Schon ein Zentimeter reicht, um einen Satelliten zu zerstören: "Bei einer Kollision wird die Energie einer Handgranate freigesetzt."
Darum wird der Orbit rund um die Uhr überwacht. Doch je kleiner die Teile sind, desto schwieriger ist es, sie zu finden. "Mit unseren bodenbasierten Radarsystemen sehen wir typischerweise Objekte, die so groß sind wie ein Tennisball, also etwa zehn Zentimeter. Alles, was darunter ist, sehen wir nicht", sagt Siminski. "Das heißt, es gibt immer ein gewisses Risiko."
"Weltraummüll muss kommerziell entsorgt werden können"
Dieses Risiko ließ Askianakis schon als Erstsemester im Studiengang Aerospace Engineering an der TU München nicht mehr los. "Wie kann es sein, dass Weltraumschrott 200 Jahre im Orbit bleibt - und niemand etwas dagegen unternimmt?", fragt er sich nach einer Vorlesung.
Er suchte Mitstreiter, an der Uni und in Workshops - meist vergeblich. "2021 verstand kaum jemand, was Müll und All miteinander zu tun haben", erinnert er sich. Bis ihm in den Semesterferien auf Kreta, unter dem Sternenhimmel seiner Heimat, eine Idee kommt: Weltraummüll muss kommerziell entsorgt werden können.
Mit einem Satelliten, ausgerüstet mit hochempfindlichem Radar sowie eigens entwickelten Algorithmen und Scanmustern, will er Trümmer von ein bis zehn Zentimetern sichtbar machen - und so erstmals eine vollständige Überwachung der Umlaufbahn ermöglichen. Später sollen Sonden mit Roboterarmen größere Teile beseitigen.
Ein Gespräch mit Airbus auf der IAA bestärkt ihn: "Dort war man sich des Problems bewusst und freute sich, dass jemand versucht, es anzugehen. Und da wurde mir klar: Eigentlich musst du gründen!" Project-S sollte das Unternehmen heißen. Als hätte das Universum mitgespielt, trat kurz nach der Gründung das neue EU-Weltraumgesetz in Kraft - ein Gesetz, das Satellitenbetreiber verpflichtet, ihren Müll im All zu beseitigen.
Bayern greift nach den Sternen
Ein Raumfahrt-Startup gründet sich aber nicht mit ein paar Tausend Euro. Und wer könnte so tollkühn sein, in das Weltraumschrott-Startup eines 22-Jährigen zu investieren?
"Wir", sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) der Deutschen Welle. Der Freistaat investierte seit 2018 über 245 Millionen Euro in Raumfahrtprojekte, vom geplanten Mond-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen bis zu riskanten, aber innovativen Startups. "Hier können Unternehmen und Forschungseinrichtungen Projekte umsetzen, die sonst nie zustande kämen", sagt Aiwanger.
Die Begeisterung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für die Raumfahrt ist bekannt. Aber auch Aiwanger hat eine Vision für den Raumfahrtstandort: "Bayern soll weiterhin das Rückgrat der europäischen Raumfahrt sein." Und dazu greift der Freistaat tief in die Förderkasse - ohne dabei Eigentum einzufordern.
"In Kalifornien glauben sie mir das kaum", lacht Askianakis. "Wie, ihr kriegt einfach so Geld?" Für die Entwicklung seiner ersten Weltraummission, die bereits 2026 starten soll, erhält Project-S eine Kofinanzierung von einer Million Euro durch die Bayerische Landesregierung.
Das verschafft Askianakis Spielraum und Unabhängigkeit. Denn viele US-Investoren koppeln ihr Geld an die Bedingung, in die USA zu ziehen. "Warum sollte ich das machen, wenn ich in Bayern die idealen Bedingungen finde?"
Vom Stammtischwitz zur Raumfahrtmacht
Viel Hoffnung legt das bayerische Space-Ökosystem auch in die von der Bundesregierung angekündigten 35 Milliarden Euro Investitionen in die Weltraum- und Verteidigungsfähigkeit. Ein Schritt in die richtige Richtung, der aber nicht reicht, findet Aiwanger. Deswegen treibt der Freistaat den eigenen Raumfahrtsektor weiter voran, "weil wir uns sowohl des hohen Potenzials als auch der Verantwortung bewusst sind", erklärt Bayerns Wirtschaftsminister.
Oberpfaffenhofener Satelliten, Astronauten aus Oberammergau, vielleicht sogar eine bayerische Mondmission - vor ein paar Jahren hätte man darüber noch gelacht. Heute ist der Raumfahrtboom im Freistaat keine Science-Fiction mehr, sondern ziemlich reale Wirtschaftspolitik.
Über 10.000 hochqualifizierte Jobs, 2,9 Milliarden Euro an ESA-Aufträgen - fast 40 Prozent des deutschen ESA-Volumens seit 2015: Bayern greift nach den Sternen, und das mit bemerkenswerter Effizienz. Der Freistaat will hoch hinaus - mindestens bis ins All. Und Leonidas Askianakis will mit Project-S dafür sorgen, dass der Weg dorthin frei bleibt. Einer muss ja schließlich Platz schaffen, wenn's im Himmel eng wird.