1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Am Rande Europas

Cem Sey28. April 2003

Die Staaten Südosteuropas streben in die EU. Neben wirtschaftlichen Stabilitätskriterien stehen auch die Einhaltung der Menschenrechte auf dem Prüftstand: Zum Beispiel der Umgang mit Homosexuellen.

Schwul-lesbische Parade in Zagreb - kein PartyeventBild: AP

Die 20-jährige Dijana aus Mostar in Bosnien-Herzegowina lebt seit kurzem in Berlin. Sie macht sich viele Gedanken über ihre zurückgelassenen Freundinnen in ihrer Heimatstadt, die - genau wie sie - Lesben sind: "Es gibt natürlich viele Homosexuelle, sehr viele. Aber es ist einfach ein sehr schwerer Punkt, darüber zu reden oder überhaupt normale Gespräche über so was zu führen. Denn 50 oder mehr Prozent der Leute dort halten Homosexualität für eine Krankheit."

Die kriegerischen Auseinandersetzungen der 1990er-Jahre überschatten auch heute noch alle anderen Probleme in der Stadt. So auch die Probleme der Homosexuellen, klagt Diana. Grund ihrer Sorgen sind vor allem die rechtsgerichteten politischen Kräfte und die katholische Kirche, die einen starken Einfluss auf die kroatische Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina haben. Und die verurteilen Homosexuelle aufs Schärfste.

Auch ein staatliches Problem

Mit ähnlichen Vorurteilen wie in Bosnien-Herzegowina haben Lesben und Schwule auch in anderen südosteuropäischen Ländern zu kämpfen. Doch es ist nicht nur ein Problem für die Betroffenen, sondern auch für die Regierungen, die eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union anstreben: Zum Forderungskatalog der EU gehört nämlich auch, dass Homosexuelle nicht durch Gesetze diskriminiert werden dürfen.

So berichtet beispielsweise der Internationale Verband der Lesben und Schwulen, dass das rumänische Parlament eine entsprechende Gesetzes-Änderung vor und nach der Verabschiedung geheim hielt, damit die orthodoxe Kirche des Landes keinen weiteren Widerstand organisieren konnte. In dem - mittlerweile abgeschafften - Artikel hieß es unter anderem, Homosexualität sei "ein Akt der Erregung öffentlichen Ärgernisses".

In Albanien wurde bereits 1995 ein Gesetz abgeschafft, das gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellte. Im vergangenen Jahr hat auch Bulgarien alle für Homosexuelle diskriminierenden Paragraphen gestrichen. Häufig reagieren die Politiker auf Druck von Nicht-Regierungs-Organisationen, deren Arbeit von der Europäischen Union unterstützt wird. So auch in Kroatien, wo gegenwärtig ein neues Familien-Gesetz in Arbeit ist, das die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen beenden soll.

Trotz aller politischer Entwicklungen bleibt jedoch das größte Problem ungelöst: Die Ausgrenzung der Andersfühlenden aus der Gesellschaft. In Belgrad haben Homosexuelle diese Ausgrenzung in schlimmster Form erlebt: Vor zwei Jahren trauten sie sich zum ersten Mal in der Geschichte am "Christopher Street Day" auf die Straße. Das ist der Tag, an dem jedes Jahr Homosexuelle in vielen Ländern für ihre Interessen demonstrieren. Doch bald zog sich die Polizei zurück. Die 200 Lesben und Schwulen wurden von einer Gruppe Skinheads und Rechtsextremisten zusammengeschlagen.

Nord-Süd-Gefälle

Je weiter man in Richtung Süden kommt, desto schlimmer sei die Situation für Homosexuelle und das habe historische Gründe, erklärt Djurdja Knezevic von der Zagreber Frauen-Initiative „Zenska Infoteka“. „Es liegt nicht daran, dass die Menschen dort biologisch homophober wären als andere, aber in südlicheren Ländern sind sie - historisch gesehen - von einer patriarchalen Kultur geprägt. Natürlich, auch dort gibt es Lesben und Schwule. Aber sie sind nicht organisiert, sondern isoliert, ghettoisiert und sie ghettoisieren sich selbst."

Flucht nach Mitteleuropa

Lesben und Schwule werden auch am Arbeitsplatz diskriminiert. In kaum einem Land in Südosteuropa gibt es gesetzliche Regelungen, die vor Entlassung wegen homosexueller Neigungen schützen. Derartige Diskriminierung hat auch Kaan, ein kurdisch-stämmiger Schwuler, in der Türkei am eigenen Leib erfahren: "Homosexueller in der Türkei zu sein, das bedeutet für mich, ein unglücklicher Mensch zu sein, es bedeutet viel Leid. Immer wenn ich eine Arbeit gefunden hatte, wurde ich entlassen, sobald meine Homosexualität bemerkt wurde, denn die Menschen fühlten sich von mir befleckt. Was hätte ich da machen sollen? Sicher, ich könnte in Ankara oder Istanbul Transvestit werden, das wäre wohl das Einfachste gewesen. Man müsste dann eben auf den Strich gehen, so einfach ist es."

Da er das nicht wollte, wanderte er vor zwei Jahren aus - nach Deutschland. Jetzt wohnt der Kaan zusammen mit seinem deutschen Freund in einem Altbau in Berlin. Wenn er an sein Leben in seiner Heimat zurückdenkt, wird er zynisch: "Auf persönlicher Ebene wissen die Menschen sehr wohl, was sie so alles mit Homosexuellen anstellen können. Das liegt wohl an dem Charakter der Leute dort. Wenn dich einer irgendwo alleine stehen sieht, vergewaltigt er dich. Aber wenn er dich in der Öffentlichkeit sieht, beschimpft er dich als 'ehrloser Mensch'. Die Gesellschaft akzeptiert uns nicht - und die türkische Verfassung auch nicht."

Djurdja Knezevic will sich deshalb mit Gesetzes-Änderungen allein nicht zufrieden geben. Es müsse sich auch in den Köpfen der Menschen etwas ändern, sagt sie. "Es ist kein Geheimnis, dass jede Religion auf der Welt für die Produktion von Babies ist. Das ist alles. Ohne zu denken, ja sogar in Erwägung zu ziehen, dass es auch etwas anderes geben könnte."