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Ein zerbrechlicher Fortschritt

16. November 2016

Kaum eine Stunde von Neu Delhi entfernt liegt Mangar Bani, ein heiliger Wald. Die uralten Bäume stehen im Mittelpunkt eines Konflikts, bei dem Umwelt und Tradition gegen Entwicklung und Politik aufgewogen werden.

Eine Ortschaft auf dem Lande
Bild: DW/A. Andre

Die Männer, die auf dem zentralen Platz des Ortes Mangar ihre Wasserpfeife rauchen, haben eine sehr klare Vorstellung davon, was mit ihrer Heimat passieren soll. "Wir wollen, dass das hier das neue Gurgaon wird", sagt einer und andere nicken zustimmend.

2000 Menschen leben in Mangar. Wie die Männer auf dem Platz haben etliche keine Arbeit. Gurgaon, mit seinen glänzenden, hoch aufragenden Wohnkomplexen, die sich an Einkaufszentren und gläserne Bürokomplexe schmiegen, weckt Begehrlichkeiten. 

Ohne Arbeit suchen die Menschen hier nach anderen Möglichkeiten, ihre Zeit zu verbringen. Aber Arbeitslosigkeit bietet viel Gesprächsstoff.Bild: DW/A. Andre

Dass die bald erfüllt werden, ist sehr unwahrscheinlich. Denn im Juni 2016 hat die Regierung von Haryana, in deren Verwaltungsbereich auch Mangar fällt, allen Bauarbeiten ein Ende gesetzt. Vorangegangen waren jahrelange Proteste und Petitionen von Umweltschützern, die sich für den Bangar Bani Waldes einsetzen. Ihnen hat die Regierung nun stattgegeben und auch eine Pufferzone von 500 Metern um den Wald herum eingerichtet.

Mangar Bani ist unberührt, weil es seit Jahrhunderten von Einheimischen geschützt wird. Sie halten den Wald für heilig. Ebenso den Tempel für die Gottheit Gudariya Das Baba, der im Zentrum des Waldes steht. Der Überlieferung zufolge hatte die Gottheit angeordnet, dass nie mehr als ein Zweig aus dem 677 Hektar großen Hain geschnitten werden darf.

"Ich weiß nicht genau, ob man es Religion oder Aberglaube nennen soll", sagt Pradip Krishen, Autor von Trees of Delhi. "Aber so oder so, es scheint zu funktionieren, der Wald ist unberührt. Nicht einmal zum Weiden werden Tiere hinein gelassen."

Entwicklungsträume

Trotz der Entscheidung bleibt das Gebiet in den Aravallis-Bergen, einer Gebirgskette älter als der Himalaya, ein Streitthema.

Es hat eine lange Tradition, sich um den heiligen Mangar Ban Wald zu kümmernBild: DW/A. Andre

Denn auch die 1200 Hektar große Pufferzone um Mangar Bani besteht größtenteils aus Wald. Heilig oder nicht, die Menschen hier wollen eine Entwicklung, sie wollen Arbeit und Wohlstand. Sie erwarten eine positive Entwicklung für sich, breite Straßen, Hochhäuser und Industrie. Das würde auch Immobilienunternehmen und Investoren gefallen, die hier viel Geld wittern.

Aber, sagen Umweltschützer, das satte Grün hier sorge für sauberere Luft in Delhi. Deren Qualität gilt gemeinhin als eine der schlechtesten der Welt. Außerdem bleibe durch den geschützten Wald der Grundwasserspiegel der Haupstadtregion hoch genug. "Das stimmt", sagt Krishen. "Unsere immer größeren Städte betonieren immer mehr Fläche und lassen so das Grundwasser versiegen. Das Felsgestein im nördlichen Aravallis aber besteht aus Quarzit. Das Material ist spröde und kristallin und dafür bekannt besonders gut Regenwasser durchzulassen, um die Wasserspeicher wieder aufzufüllen."

Ein zerbrechlicher Sieg

Krishens Buch über die Pflanzen im Mangar Bani Wald hat dem Umweltschützer Chetan Agarwal eine Berufung gegeben. Er glaubt fest daran, dass der Wald geschützt werden kann und muss. "Es heißt, dass jeder Sieg, der im Umweltschutz errungen wird, zerbrechlich ist. Was verloren ist, ist endgültig verloren", sagt er.

Einige sagen, das Dorf würde von der Entwicklung profitieren, aber es ist ein umstrittenes ThemaBild: DW/A. Andre

Hierin kann er sich mit den Männern vom Dorfplatz in Mangar einig sein. Verlust ist auch ihr bedeutendstes Thema. Darüber reden sie viel, wenn sie hier sitzen, an einem Wochentag. Arbeit haben sie nicht. Während sie also an der Wasserpfeife ziehen, beklagen sie eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2002. Darin wurde der Bergbau wegen Umweltgefahren verboten und das, so sagen sie, habe sie um ihre Existenz gebracht.

Bilder der Grube, über einen Zeitraum mehrerer Jahre aufgenommen, zeigen ein tiefes, leeres Loch. Nach der Bergbau-Zeit kamen Wasser und Vegetation nach und nach zurück. Das üppige Grün hat für Rajveer, ein Mann in den Vierzigern, keine Bedeutung. "Ich bin arbeitslos seit dem Bergbau verboten wurde", sagt er. "Das Verbot hat mich um einen Großteil meiner Einnahmen gebracht."

Fahrer sei er gewesen. Und er habe andere beschäftigt, die seinen Laster beladen und entladen haben, sagt Rajveer. Wie er, hätten diese Männer nun keine Zukunft. Das Urteil aus dem Juni hat seine Unsicherheit nur noch verstärkt. "Das Land und der Wald gehören den Menschen hier und das sollte die Regierung auch so lassen", sagt er.

Auch das Panchayat, das Komitee des Dorfes, erklärt, das ihm das Land gehöre. Die Verteilung der Fläche an Einzelne, die vor Jahrzehnten stattgefunden habe, sei illegal gewesen. Erst sie habe dafür gesorgt, dass Investoren große Gebiete aufkaufen konnten.

Mitglieder des Komitees wollen nun eine Umkehr des Prozesses erreichen. Notfalls auch mit rechtlichen Mitteln. Denn das Land ist nach wie vor in Besitz von Spekulanten. Sollte eine zukünftige Regierung sich entscheiden, den Ausbau des Landes voran zu treiben, dann hätten die Menschen nicht einmal die Möglichkeit, ihren heiligen Ort für sich zu beanspruchen und zu schützen.