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Brasilien: Leben im Schatten von Gewalt

Peter Yeung
13. Februar 2020

Der Kampf einer Kleinbäuerin im brasilianischen Amazonasgebiet gegen Abholzung und Landraub hat sie in Gefahr gebracht. Sie erhielt Todesdrohungen, ihr Sohn musste untertauchen.

Ein Foto von einem Baum in einem abgeholzten Gebiet in der Region Para im brasilianischen Regenwald
Bild: Getty Images/AFP/R. Alves

Seit mehr als sechs Monaten hat Maria Marcia Elpidia de Melo ihren Sohn Elmiro nicht gesehen. Sie ist Gemeindevorsteherin einer Bauernsiedlung im Bundesstaat Para, mitten im Amazonas und kritisiert seit Jahren offen den Landraub und die Abholzungen in der Region. Vergangenes Jahr wurde ihr 20-jähriger Sohn zusammengeschlagen und erhielt anonyme Morddrohungen - seither ist er untergetaucht.

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Die 42-jährige lebt seit 2006 in einem einstöckigen Backsteinhaus in Terra Nossa. De Melo weiß, dass sie sich durch ihr Engagement in Gefahr gebracht hat. Die Kleinbäuerin ist auch Präsidentin der "Nova Vitoria Rural Producers Association", dem Verband der ländlichen Erzeuger in Nova Vitoria, und wird immer mehr in Landstreitigkeiten verwickelt .

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"Was ich nicht akzeptieren kann ist, wenn sie meinen Sohn töten", sagt sie mit Tränen in den Augen. "Im Moment ist er in Sicherheit. Aber ich werde ihn nicht besuchen, weil ich Angst habe, dass mir jemand folgt." Bevor er untergetaucht ist, hat Elmiro seiner Mutter auf dem Hof geholfen.

Laut der Organisation "Comissao Pastoral da Terra", die Gewalt im ländlichen Raum beobachtet und sich für Kleinbauern einsetzt, sind allein 2018 drei Einwohner von Terra Nossa ermordet worden. Und seitdem haben 16 weitere Bewohner der Region wegen der Landkonflikte Todesdrohungen erhalten.

Verkohlte Bäume in Novo Progresso im brasilianischen Bundesstaat Para, August 2019Bild: picture-alliance/AP/L. Correa
Luftaufnahmen von illegal gefällten Bäumen, aufgereiht im Amazonas-RegenwaldBild: Reuters/N. Doce

Landraub und Bedrohungen

Im Lauf des letzten Jahres hat de Melo der Polizeistation in Novo Progresso zahlreiche Brandstiftungen im Regenwald und illegale Bergwerke gemeldet. Doch dreimal drohten ihr Männer, die an den Rodungen beteiligt waren, mit den Protesten aufzuhören, sonst werde sie sterben. Die Polizei antwortete nicht auf eine Anfrage, sich zu den Drohungen zu äußern.

Terra Nossa, eine Siedlung mit 350 Familien, ist umgeben von dichtem Wald und nur über eine staubige Straße zu erreichen. Das Dorf befindet sich im Zentrum der Abholzungen im Amazonasgebiet. Der umliegende Bezirk Novo Progresso machte im August 2018 internationale Schlagzeilen, als in der Region riesige Waldbrände wüteten. Schon lange werden hier immer wieder Feuer zur Brandrodung gelegt, doch das Landgrabbing wird immer extremer. Die Behörden in Novo Progresso registrierten etwa an einem einzigenTag über 120 neue Brände, die meisten koordiniert von einer Gruppe Bauern und anderer Interessenten. Ihr Ziel: den Wald zu roden, um Land zu beanspruchen.

Aktuelle Gesetze und Vorschriften

Laut Brasiliens nationaler Raumfahrtbehörde INPE wurden zwischen August und November 2019 mehr als 4200 Quadratkilometer abgeholzt. Das entspricht 46.000 American Football-Feldern und ist mehr als doppelt soviel, wie im gleichen Zeitraum 2018 abgeholzt wurde.

Demonstranten in Rio de Janeiro fordern mehr Schutz für den AmazonasBild: Reuters/S. Moraes

Experten sagen, dass die derzeitigen Gesetze einen andauernden Kreislauf von Bränden, Abholzungen und Landraub fördern. "Das Gesetz enthält einen klaren Anreiz", sagt Brenda Brito. Sie arbeitet am Amazon Institute of People and the Environment (Imazon), einem Forschungsinstitut im Bundesstaat Para. "Es erlaubt einem, öffentliches Land zu besetzen, indem man vorgibt, es [für legale Arbeit] zu nutzen und dann beansprucht man den Landtitel."

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Im Dezember 2019 hat Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro die Vorschriften noch weiter gelockert. Seitdem darf dreimal so viel Land beansprucht werden wie zuvor. Und wer seit mindestens 2014 Land besetzt hatte, bekam jetzt die Eigentumstitel dafür. Vorher musste das Land seit mindestens 2008 genutzt gewesen sein.   

Unterstützung für die Entwicklung der Region

Staubige Straßen, die auch für den Transport von illegal gerodeten Holz genutzt werden, schlängeln sich durch Terra Nossa. Auf den umliegenden Hügeln liegen gestapelte Baumstämme, teils schon seit Jahrzehnten. "Es war früher wunderschön hier", sagt de Melo, "bevor das große Geschäft begann."

Der Amazonas ist einer der ärmsten Regionen Brasiliens, von den 23 Millionen Menschen hier leben 45 Prozent unterhalb der Armutsgrenze. Einige Bauern sind wütend darüber, dass der Schutz des Regenwaldes angeblich wichtiger sein soll als die Lebensbedingungen der Menschen. Bolsonaro, der im Wahlkampf für die Öffnung des Amazonasgebiets für die Industrie angetreten war, will die Entwicklung der Region beschleunigen.

Luftaufnahme von gerodetem Land in Novo Progresso, Brasilien Bild: Reuters/U. Marcelino

"Was erwarten die von uns? Dass wir unsere Familien mit Dreck ernähren?", fragt Agamenon da Silva Menezes, eine Vertreterin der Bauerngewerkschaft in Novo Progresso.

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"Selbst wenn der Klimawandel real ist, und ich bin nicht sicher, ob ich das glaube: Warum solltet ihr [im Westen] immer reicher werden und erwarten, dass wir anderen darüber glücklich sind, arm zu bleiben?", fügt Menezes hinzu.

Konflikte mit den lokalen Gemeinden

Trotz heftiger internationaler Kritik fördert und verteidigt Bolsonaro die umstrittenen Methoden. "Abholzung und Feuer werden niemals enden", sagte der Präsident im Jahr 2019 mit dem Argument, es gehöre "zur Kultur".

Durch die Suche nach Profit durch Landgrabbing im großen Stil geraten sowohl wohlhabende einheimische Grundbesitzer wie auch ausländische Investoren immer mehr in Konflikt mit den Gemeinden vor Ort.

"Da, wo abgeholzt wird, kommt es häufig zu Enteignungen und Gewalt", sagt Mauricio Torres, Sozialwissenschaftler und Experte für Landraub im Amazonasgebiet. "Um abholzen zu können, muss man die Gemeinden loswerden, die den Wald nutzen."

In der Gemeinde Terra Nossa, in der auch de Melo lebt, sind viele Kleinbauern ansässig, die das Land und den umliegenden Wald voller Acaipalmen und Paranussbäumen nachhaltig nutzen. Der Landraub im großen Stil hat ihr Leben extrem verändert.

Einige sagen, Brände, Abholzung und Landraub in Brasilien werden durch Gesetze und Vorschriften noch gefördertBild: Reuters/B. Kelly
Landraub und Brände im Amazonas haben einen direkten Einfluss auf die lokalen Gemeinden in Brasilien Bild: Reuters/R. Moraes

Raione Lima Campos arbeitet in der Region als Anwältin für die Organisation "Comissao Pastoral da Terra", die sich in  Brasilien für eine Landreform einsetzt. Sie sagt, dass lokale Anführer wie de Melo oft zur Zielscheibe von Holzfällern und Bauern werden, wenn sie das Wort ergreifen.

Sie fügt hinzu, dass das "National Institute of Colonization and Agrarian Reform" (INCRA) wenig unternommen habe, um gegen die Probleme der Landnahme und Gewalt anzugehen. Die Bundesbehörde ist für Fragen der Landreform zuständig. Es würden keine Maßnahmen ergriffen, denn "INCRA hat kein Interesse daran", sagt sie. "Es war immer schon schlimm, aber jetzt hat sich die Situation noch weiter verschlechtert." Auf eine Bitte um Stellungnahme reagierte INCRA nicht.

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De Melo hat kein Vertrauen in die öffentlichen Stellen, die sie eigentlich beschützen sollten. Doch der Landraub ist nur ein Teil von Bolsonaros Plan, den Amazonas für Agrarunternehmen zu öffnen. Dazu gehören auch das Ferrograo-Eisenbahnprojekt für den Transport von Soja, Wasserkraftwerke entlang des Tapajos-Flusses und die Autobahn BR-163 durch Para.

Beim Besuch in Maria Marcia Elpidia de Melos Garten mit den Cashew-, Pfirsich- und Acaibäumen, wo früher ihr Sohn Elmiro gespielt hat, wird spürbar: Diese Frau kämpft isoliert und schutzlos gegen eines der bedeutendsten Infrastrukturprojekte der Welt.

"Diese Landbesetzer sind eine organisierte Bande. Sie sind überall", sagt sie. "Es gibt sogar einflussreiche Politiker in ihrer Mitte. Jedes ihrer Probleme - dazu gehöre auch ich - wird irgendwann verschwinden."

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