Amerikanische Städte buhlen um Amazon
25. Oktober 2017Der Bürgermeister von Kansas City, Sly James, hat auf einen Schlag eintausend Produkte bei Amazongekauft - von Cornflakes bis hin zu Windspielen, Hundekuchen und sogar Windeln. Allen Produkten hat er fünf Sternen gegeben, für alle hat er eine Bewertung verfasst. Auch für die Windeln. Er selbst würde zwar lange keine mehr tragen, schreibt er, aber er repräsentiere tausende von Babies. Schließlich sei Kansas "in den Top Ten der besten Städte, um eine Familie zu gründen." Zu den Hundekuchen mit Erdnussgeschmack schreibt er, dass man in den "haustier-freundlichen Straßen" von Kansas City wunderbar seinen Hund spazieren führen könne. In der Windspiel-Bewertung erwähnt er die niedrigen Hauspreise in Kansas.
Das alles hat natürlich eigentlich nichts in einer Produktbewertung von Amazon zu suchen, dient aber in diesem Fall einem besonderen Zweck: Bürgermeister James will den Amazon Chef Jeff Bezos auf sich und damit auf Kansas aufmerksam machen.
Roter Teppich wird ausgerollt
Der Onlinehändler sucht in einer öffentlichen Ausschreibung nach einem Zuhause für sein neues und zweites Hauptquartier HQ2. James ist nicht der einzige Bürgermeister, der Amazon in seine Stadt holen will. 238 Städte haben sich beworben. Die Bewerber versuchen, Amazon mit einem Mix aus finanziellen Versprechen, Kreativität und öffentlichen Lobgesängen zu überzeugen.
In der Stadt Tucson im Wüstenstaat Arizona ließ die Verwaltung einen sechseinhalb Meter großen Kaktus auf einen Pick Up laden und verfrachtete ihn an den Rocky Mountains entlang nach Seattle im nordwestlichen Bundesstaat Washington, wo das erste Hauptquartier des Internetriesen steht. Der Bürgermeister der Stadt Stonecrest in Georgia versprach, er werde sogar einen Teil der Stadt an Amazon abgeben und sie Amazon City taufen. In New York City erstrahlte das Empire State Building in orange, der Logofarbe von Amazon.
Verlockende finanzielle Angebote
Die Bewerber legen sich aber auch finanziell gewaltig ins Zeug: New Jersey - ein Bundesstaat, der so klamm ist, dass er den Pensionsverpflichtungen gegenüber seinen Beamten nicht nachkommt, lockt mit Steuerfreibeträgen im Wert von sieben Milliarden Dollar. Dallas im Bundesstaat Texas verspricht gar eine Schnellzug-Verbindung zwischen Houston und Dallas zu bauen, 390 Kilometer lang - Kostenpunkt: 15 Milliarden Dollar.
Eine zweite Zentrale sucht der Konzern, weil er aus Seattle schlichtweg herausgewachsen ist. Der Onlinehändler belegt bereits ein Fünftel der Büroflächen dort, mehr als jeder andere Arbeitgeber irgendwo in den USA. Gleichzeitig sind rund 6.000 Stellen unbesetzt. Deshalb sucht Amazon nun nach einer zweiten Bleibe in einer Stadt, die vor allem ein Pool für Talente sein soll. Anforderungen stellt Amazon aber auch an die Infrastruktur, Chef Jeff Bezos sucht nach einem guten öffentlichen Verkehrsnetz und einem nahegelegenen Flughafen.
Dem Gewinner winken Jobs und Investitionen
Dem Gewinner der Ausschreibung winken Investitionen im Wert von fünf Milliarden Dollar und 50.000 Jobs - alle "gut bezahlt", schreibt Amazon auf seiner Internetseite. Die Städte wiederum spekulieren nicht nur auf die einmalige Finanzspritze von Amazon selbst, sondern auch auf das viele Geld der neuen Amazon-Mitarbeiter. Neben der Stadtkasse sollen Restaurants und Einzelhandel davon profitieren, so die einhellige Meinung. Immobilien würden im Wert steigen, Vermieter könnten höhere Mieten einstreichen. Außerdem, so die Hoffnung, würde Amazon einen ganzen Schwung an Zulieferern mitbringen.
"Für die Stadtentwickler ist das ist die größte Trophäe in Jahrzehnten", sagt Greg LeRoy von der gemeinnützigen Organisation Good Jobs First. Die finanziellen Anreize und Steuerentlastungen für das Unternehmen finanziere letztendlich der Steuerzahler, sind Kritiker wie LeRoy überzeugt.
Viele Risiken
Und auch anderweitig zahlen die Bürger drauf. Zwar hat Amazon nach eigenen Schätzungen 38 Milliarden Dollar in den Jahren 2010 und 2016 in Seattles Wirtschaft gepumpt. Doch gleichzeitig gingen die Immobilienpreise und Mieten in der Stadt durch die Decke - alleine seit 2016 stiegen sie um 13,3 Prozent, so der Case und Shiller Home Price Index, der die Preisentwicklung am us-amerikanischen Immobilienmarkt widerspiegelt. Der nationale Durchschnitt liegt danach bei Steigerungen von 5,6 Prozent für den gleichen Zeitraum. Das verdrängt Mieter an den Stadtrand oder sogar in andere Städte und birgt die Gefahr einer Blasenbildung auf dem Immobilienmarkt.
"Der ganze Prozess ist eine Farce", sagt Richard Florida, ein auf Städtebau spezialisierter Ökonom. Ein milliardenschweres Unternehmen wie Amazon, das von einem der reichsten Männer der Welt geleitet wird, verleite klamme Städte zum Pokern; oft zu hoch. Das schade auch dem Ruf von Amazon. Unter den Städten steige der Unmut, dass ein Privatunternehmen versuche, sie zum eigenen Vorteil gegeneinander auszuspielen, sagt Florida.
Nein-Sager melden sich zu Wort
Manche Städte machen deshalb auch nicht mit beim Bieterkrieg. Einige Bürgermeister verzichten bewusst auf eine Bewerbung. Im "Wall Street Journal" schrieb der Bürgermeister von San Jose, Sam Licardo, gleich einen ganzen Artikel darüber, warum er nicht mitbieten wird. "Wir werden Amazon keinerlei finanzielle Anreize bieten, die wären ein schlechter Deal für die Steuerzahler." Der Bürgermeister von San Antonio, Ron Nirenberg, schrieb Bezos einen Brief und zog seine Bewerbung zurück. Mit großen finanziellen Anreizen um Amazon zu buhlen würde die Verhandlungsposition in Zukunft verschlechtern.
Wer dann letztendlich das Rennen macht, will Amazon nächstes Jahr bekannt geben.