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Amerikanisches Recht im Reich der Mitte

12. Mai 2010

In der südchinesischen Stadt Shenzhen können junge Chinesen ein US-Jurastudium absolvieren. Auf dem Lehrprogramm stehen auch Themen wie Bürgerrechte oder Meinungsfreiheit.

freiheitsstatue vor chinesischer Flagge
Ein Stück Kulturaustausch: westliche Werte im chinesischen HörsaalBild: DW-Montage

Zhang Zhenduo setzt sich in die dritte Reihe des Hörsaals, ganz in die Nähe der Dozentin. Da gefällt es ihm am besten. Er will alles genau mitbekommen. Vor allem aber will er mitmachen, Rechtsfälle analysieren und diskutieren. Hier an der School of Transnational Law (STL) erarbeiten die amerikanischen Dozenten den Stoff gemeinsam mit den Studierenden. Mitarbeit ist gefragt. "Das ist der größte Unterschied zu normalen chinesischen Universitäten", sagt der 26-jährige Zhang Zhenduo. "Der Dozent ist eher wie ein Freund und verlangt nicht Respekt. Wir müssen im Unterricht auch keine förmlichen Präsentationen abliefern. Die Atmosphäre ist freundlicher."

Anders sind auch die Lehrinhalte. Die STL ist zwar ein Produkt der Pekinger Universität. Doch sie bildet nach US-amerikanischem Modell Juristen aus. Der einzige Unterschied zu einer amerikanischen Jurafakultät ist, dass hier eben alle Studierenden aus China kommen. Nach vier Jahren Studium erlangen die Absolventen einen Abschluss, der dem Juris Doctor der Vereinigten Staaten entspricht.

Bisher mussten chinesische Studenten ins Ausland gehen, um internationale Erfahrung zu sammelnBild: DW / Rottenkolber

Absolventen als Mittler zwischen Ost und West

Das Ziel sei, Juristen auszubilden, die sich sowohl im chinesischen als auch im amerikanischen Recht exzellent auskennen, erklärt der Dozent Paul DePascuale: "Die Studenten hier sollen eines Tages mal das chinesische Rechtssystem weiterentwickeln. Andere werden für internationale Anwaltskanzleien arbeiten. Manche aber wollen einfach Analysefähigkeiten erlernen, die sie anderswo nicht bekommen."

Doch die angehenden Juristen bekommen auch eine neue Idee von Rechtsstaatlichkeit. Die Studentin Li Jiangfeng würde gern ein paar Dinge aus dem amerikanischen System für China übernehmen. "Zum Beispiel werden in China Richterentscheidungen nicht veröffentlicht", sagt die 23-jährige. "In den USA aber sind sie für jeden zugänglich. Hätten wir so eine Regelung in China, müssten die Richter vernünftiger entscheiden, um die Kritik der Öffentlichkeit zu vermeiden." Die Studierenden lernen, wie eine unabhängige Justiz funktioniert, hören, welche Rolle eine kritische Öffentlichkeit bei der Machtkontrolle spielt, erfahren etwas vom Wert der Menschenrechte. Chinas Staatsführung, die etwa im Internet nichts unzensiert lässt, erlaubt an den Universitäten Einfluss von außen, fördert ihn gar. Chinas Hochschulen arbeiten in Tausenden von Gemeinschaftsprojekten mit Einrichtungen im Ausland zusammen. Allein mit Deutschland gibt es rund 500 akademische Kooperationen.

Chinas Rechtssystem ist wenig transparent, Urteile für die Öffentlichkeit nicht einsehbarBild: picture alliance/dpa

Freies Denken plus Linientreue

Doch die Auslandskontakte werden Chinas politisches System nicht grundlegend verändern, glaubt Björn Ahl. Er hat vier Jahre lang Jura in einem deutsch-chinesischen Gemeinschaftsprojekt an der Universität Nanjing gelehrt. "Chinesische Studenten durchlaufen während des Magisterstudiums politische Schulungen. Man lässt sie einerseits frei, indoktriniert sie andererseits aber. Dieser Balanceakt funktioniert." Ein Student darf und soll also ruhig wissen, wie etwa Meinungsfreiheit funktioniert, um andere, vorwiegend die westlichen Länder zu verstehen. Aber deshalb denkt er noch lange nicht, dass diese Freiheit auch wünschenswert für China wäre. Li Jiangfeng etwa hätte zwar gern - wie bei den Richterentscheidungen - ein paar Veränderungen in China, doch grundsätzlich steht sie hinter ihrer Regierung und will einmal für sie arbeiten. Deshalb studiert sie an der STL. "China ist in viele internationale Rechtsstreitigkeiten verwickelt, etwa in der WTO", sagt sie. "Aber es gibt hier nur wenige Anwälte, die solche Fälle behandeln können und sich in den internationalen Rechtssystemen auskennen. Darauf will ich hinarbeiten."

Autor: Markus Rimmele

Redaktion: Nicola Reyk