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Amnesty: "Epochaler Bruch" der Menschenrechte

29. April 2025

Die Welt an einem Scheideweg: In seinem Jahresbericht sieht Amnesty International das weltweite System der regelbasierten Menschenrechte in Gefahr.

Straßenblockade mit Feuer bei Protest gegen Mord an Transfrau Sara Millerey, man sieht einen vermummten Mann mit Feuerwerfer
Proteste nach dem Tod einer Transfrau in Kolumbien - Amnesty beklagt immer mehr Gefahren für MinderheitenBild: Sebastian Barros/NurPhoto/picture alliance

Man erlebe gerade - so Amnesty International - einen "epochalen Bruch" der universellen Menschenrechte weltweit. Gemeint ist das fragile System aus Menschenrechtskonventionen, universellen Menschenrechten, dem humanitären Völkerrecht und internationalen Gerichten. Auf all das hatten sich Staaten nach den Verbrechen der Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg geeinigt.

Und das sieht Amnesty International (AI) in Gefahr: "Neue und düstere Kräfte veranstalten eine Hetzjagd auf das Ideal der universellen Menschenrechte", schreibt Agnès Callamard, die Generalsekretärin von Amnesty International, im Vorwort des Jahresberichts ihrer Organisation. Amnesty International bewertet jährlich die Lage der Menschenrechte in insgesamt 150 Ländern.

Zunehmend mehr Gewalt gegen Zivilisten und Minderheiten 

In diesem Jahr stellt Amnesty drei Kontinuitäten fest: Zum einen gerate die Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten immer stärker unter Druck. "Wir beschreiben in unserem Jahresbericht einen allgemeinen Trend. Dass die Regeln, die in Konflikten eigentlich gelten, rote Linien, die sich die Staatengemeinschaft gegeben hatte, immer weniger eingehalten werden", sagt Julia Duchrow, Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion im Gespräch mit der DW. Beispiele dafür seien die Konflikte im Sudan, in Gaza, der Ukraine und der Demokratischen Republik Kongo.

Julia Duchrow (links) zu Gast bei der Deutschen Welle (Archiv)Bild: DW

Zweitens seien es gerade Minderheiten, die in verschiedensten Ländern in Gefahr gerieten: queere Menschen, Geflüchtete, Andersdenkende.

Und drittens versagten Staaten zunehmend dabei, der Krise bei der Einhaltung der Menschenrechte etwas entgegenzusetzen. Das gelte gerade auch für Staaten, die sich einst universellen Menschenrechten verschrieben hatten, wie die USA.

"Die US-amerikanische Regierung wirkt als Brandbeschleuniger in dieser Menschenrechtskrise und gefährdet damit Milliarden von Menschen weltweit", sagt Duchrow. An das Völkerrecht sei die Axt angelegt worden. Duchrow nennt die Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof und den Austritt der USA aus dem UN-Menschenrechtsrat als Beispiele.

Amnesty nimmt Israel und Gaza erneut in den Fokus

Besonderes Augenmerk legt Amnesty erneut auf den Krieg im Gazastreifen mit zehntausenden Toten, der nach dem terroristischen Angriff der Hamas in Israel im Oktober 2023 ausgebrochen war. Amnesty wiederholt den Vorwurf, Israel verübe einen "Völkermord" an den Palästinensern.

"Die Staatengemeinschaft sah ohnmächtig zu, wie Israel Tausende und Abertausende von Palästinenser*innen tötete, zum Teil ganze Familiengenerationen, und wie es die Lebensgrundlagen zahlreicher Menschen vernichtete und Häuser, Krankenhäuser und Schulen zerstörte", heißt es im Jahresbericht. Dies hatte die Organisation bereits in einem 300 Seiten langen Bericht im Dezember des vergangenen Jahres bekräftigt. 

Immense Zerstörungen im Gazastreifen nach weit mehr als einem Jahr KriegBild: Rizek Abdeljawad/Xinhua/picture alliance

Der Völkermord-Vorwurf ist umstritten. Die israelische Regierung wehrt ihn vehement ab und auch Völkerrechtler wie Stefan Talmon äußern Zweifel an der juristischen Arbeit von Amnesty. Andererseits werfen auch andere Organisationen wie Human Rights Watch Israel "Völkermordhandlungen" vor, wie beispielsweise das gezielte Aushungern der Zivilbevölkerung.

Sudan: eine humanitäre Katastrophe

Auch mit der Krise im Sudan befasst sich der Jahresbericht. Der Sudan erlebt seit über zwei Jahren einen Bürgerkrieg mit schlimmsten Folgen für die Zivilbevölkerung und, laut UN, zehntausenden Opfern. "Es wurden so viele Menschen vertrieben wie nirgendwo sonst auf der Welt", heißt es dazu im Bericht.

Blick auf das Zamzam-Flüchtlingslager in Darfur, eine Region im SudanBild: Maxar Technologies/AP/picture alliance

Die ehemalige US-Regierung warf der beteiligten Rebellengruppe Genozid vor. Amnesty spricht davon in seinem Jahresbericht nicht, stattdessen von Gewalt auf beiden Seiten und fordert ein Waffenembargo. Deutschlands AI-Generalsekretärin Duchrow schließt aber keinesfalls aus, dass Amnesty nicht auch im Falle des Sudan zu der Schlussfolgerung eines Völkermords in Zukunft kommen könnte.

Auch im Visier: Deutschlands Umgang mit Protesten

In Deutschland kritisiert Amnesty neben schärferen Asylgesetzen auch den Umgang mit Protesten. Die Klimabewegung sei kriminalisiert worden und "bei den Palästina-solidarischen Protesten haben wir pauschale Verbote, Polizeigewalt und unverhältnismäßiges Vorgehen der Behörden erlebt", sagt Duchrow.

Dazu zählt Amnesty Auflösungen von Kongressen, Gerichtsurteile über Slogans und Polizeieinsätze im Rahmen von Demonstrationen, die Amnesty insgesamt als zu repressiv bewertet.

Proteste an Unis: Pro-palästinensisch oder antisemitisch?

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Was im Bericht nicht behandelt wird, sind Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Demonstrationen.

Und auch nicht explizit erwähnt wird der tätliche Übergriff auf Lahav Shapira im Februar 2024 vor einem Restaurant in Berlin, den ein Gericht nun als antisemitisch motiviert eingestuft hat. Duchrow dazu auf Nachfrage: "Wir bekämpfen Antisemitismus und jegliche menschenfeindliche Positionen und Angriffe, auch aufgrund von Rassismus und Islamophobie." Den Fall Shapira habe die Organisation nicht selbst dokumentiert. "Wir können nur etwas veröffentlichen, das wir selbst untersucht und dokumentiert haben. Das haben wir in diesem konkreten Fall nicht", so Duchrow.

Amnesty-Aufruf: auf die Menschenrechte besinnen

Für das kommende Jahr appelliert Amnesty, sich auf die regelbasierte Ordnung der Menschenrechte zu besinnen und fordert von Regierungen, die Menschenrechte und das Völkerrecht einzuhalten. Dazu gehörten auch, so Duchrow, internationale Haftbefehle wie den gegen den israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu achten und zu befolgen. Aber auch eine Reform des UN-Sicherheitsrates sei notwendig.

Aber bei allem Negativen gebe es auch positive Entwicklungen, wie etwa die Demonstrationen in Südkorea gezeigt hätten. "Wir sehen immer wieder auch positive Entwicklungen. Dass Menschenrechte Strahlkraft haben auf die Menschen, die auf die Straße gehen. Und deshalb fordern wir auch von den Regierungen, Menschenrechte ins Zentrum ihrer Politik zu setzen. Aber es braucht natürlich auch ein Engagement aller; es kommt auf uns alle an", sagt Duchrow.

Der aktuelle AI-Jahresbericht umfasst 409 Seiten und erörtert die Lage der Menschenrechte in gut 150 Ländern.

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