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Amnesty: Das Jahr der gebrochenen Versprechen

29. März 2022

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International blickt zurück auf 2021. Für Menschen- und Bürgerrechte war es ein dunkles Jahr mit enttäuschten Hoffnungen - und einer zunehmenden Macht der digitalen Technik.

Weltspiegel 09.02.2021 | Myanmar Militärputsch | Protest, Wasserwerfer
Proteste gegen den Militärputsch in Myanmar im Februar 2021.Bild: REUTERS

"2021 war ein Jahr mit wirklich vielen Versprechungen. Die Realität sah dann komplett anders aus." So fasst Philip Luther, einer der Autoren, die Erkenntnisse des Jahresberichts von Amnesty International zusammen. Die Organisation schaut sich jährlich die Entwicklung in 154 Ländern an und leitet daraus in einer globalen Analyse die wichtigsten Trends bei der Lage der Menschen- und Bürgerrechte ab. 2021 habe es für Menschen auf der ganzen Welt die Hoffnung gegeben, "fair aus der Pandemie zu kommen". Doch gerade reichere Länder hätten eine breite Herstellung und Verteilung von Impfstoffen verhindert, so Luther. Im Jahresbericht heißt es schlicht: "Weniger als acht Prozent der 1,2 Milliarden Menschen in Afrika waren am Jahresende vollständig geimpft, die niedrigste Rate weltweit und weit entfernt vom 40-Prozent-Impfziel der WHO."

Doch im Pandemiejahr 2021 hat nicht nur fehlender Impfstoff für Enttäuschungen gesorgt. Die Untersuchung zeigt: Viele Regierungen haben die Pandemie genutzt, um Opposition und Zivilgesellschaft zu unterdrücken und einzuschränken. "Das ist etwas, was für alle Regionen gilt, und das ist einer der Gründe, warum wir das in unserer globalen Analyse hervorgehoben haben. Einige Regierungen haben die Pandemie ganz gezielt als Vorwand genutzt, um die Meinungsfreiheit einzuschränken", sagt Luther der DW. Beispiele für Länder, in denen Proteste aufgelöst und Menschenrechtler in Gefahr waren, sind Kambodscha, Russland, China und viele weitere.

Philip Luther: Pandemie war ein Vorwand, um Meinungsfreiheit einzuschränkenBild: Karen Hatch/Amnesty International

Aber auch abseits von Corona gerät die Zivilgesellschaft laut Amnesty unter Druck, was andere internationale Organisationen bestätigen. Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats für Menschenrechte und Frieden beim evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt, sagt im Gespräch mit der DW: "Es gibt verschiedene Strategien, die es Zivilgesellschaft in verschiedenen Regionen der Welt immer schwieriger machen zu operieren. Das richtet sich zum einen ganz konkret gegen einzelne AktivistInnen, die diskriminiert, bedroht, tatsächlich auch verfolgt bis hin zu ermordet werden." Zum anderen gebe es die Strategie, ein Umfeld so zu gestalten, "dass es für zivilgesellschaftliche Organisationen immer schwieriger wird zu arbeiten. Das reicht bis zu Schließung von NGOs, das erleben wir immer wieder." Ein Beispiel dafür: Erst vor wenigen Tagen hat Nicaraguas Präsident Daniel Ortega 25 Nichtregierungsorganisationen schließen lassen. Eine davon ist eine Partnerorganisation von Brot für die Welt.

Digitale Technik ist zweischneidiges Schwert

Eine Methode, die dabei von staatlicher wie nichtstaatlicher Seite angewandt wird, die im Jahresbericht von Amnesty International auftaucht und die Brot für die Welt aus der Praxis ihrer Partnerorganisationen bestätigt, ist der zunehmende Gebrauch von digitaler Technik. Philip Luther bezeichnet die Entwicklung als "zweischneidiges Schwert". Es sei klar, dass Behörden digitale Technik vielfältig positiv nutzten, aber "die Art und Weise, wie sie sie im Hinblick auf die Auswirkungen auf Menschenrechte nutzten, war oft sehr negativ und geschah oft im Geheimen. Und in vielen Fällen versuchten Regierungen auch, Instrumente abzuschalten und zu stören, die es der Zivilgesellschaft ermöglichen, besser miteinander zu kommunizieren und Informationen zu verbreiten."

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Der Jahresbericht von Amnesty International nennt mannigfaltige Beispiele dafür: vom längsten Internet-Shutdown aller Zeiten, der Amnesty bekannt ist, vom 4. August 2019 bis 5. Februar 2021 in Jammu und Kaschmir über den Einsatz von Gesichtserkennung bei Protesten in Moskau, die auch zu Verhaftungen führten, bis hin zum exzessiven Einsatz der Spionage-Software Pegasus gegen Journalisten, Oppositionelle und Menschenrechtler.

"Man hat gesehen, wie Behörden das Internet zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt taktisch abgeschaltet haben, um Menschen daran zu hindern, Informationen über mögliche Proteste auszutauschen und sich zu organisieren, um gegen die Repression im Land zu protestieren. Das ist kein Zufall. Es geht darum, der Zivilgesellschaft einen Maulkorb zu verpassen", resümiert Luther von Amnesty.

Silke Pfeiffer von Brot für die Welt hat im vergangenen Jahr Ähnliches beobachtet. Auch sie betont, dass gerade das Internet eine wichtige Möglichkeit für die Zivilgesellschaft sei, sich zu organisieren und zu mobilisieren. "Gleichzeitig ist aber auch in der ganzen Welt zu spüren, dass Regierungen und andere Akteure absolut digital aufgerüstet haben und mittlerweile auch ganz stark gegen Freiheit im Internet vorgehen - durch Zensur, durch das Abschalten von Internetdiensten, durch Massenüberwachung. Und dass natürlich das Internet und insbesondere die sozialen Medien auch ein Raum geworden sind, in dem sich Hass und Gewalt extrem schnell verbreiten."

Trotz Repressionen sind Menschen wie hier in Moskau auf die Straße gegangenBild: Mikhail Tereshchenko/dpa/TASS/picture alliance

Hoffnung nicht ganz verloren

Nach einem Jahr 2021 im Zeichen der Pandemie, in dem die Zivilgesellschaft unter Druck geriet und staatliche Stellen ihre Macht online und offline missbrauchten, lässt der Amnesty-Jahresbericht auch ein Fünkchen Hoffnung aufblitzen. "Wenn es den Machthabern im Jahr 2021 an Ehrgeiz und Vorstellungskraft fehlte, um die größten Feinde der Menschheit zu bekämpfen, so gilt das nicht für die Menschen, die sie hätten vertreten sollen", schreibt Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International, im Vorwort des Jahresberichts.

Demnach seien in 80 Ländern der Welt Menschen für ihre Rechte auf die Straße gegangen. In Russland, Indien, Kolumbien, dem Sudan und Libanon. Häufig mit dem Wissen, dass ihr Engagement weitreichende Konsequenzen haben kann. Für Philip Luther von Amnesty sollte eines im Jahr 2022 im Fokus stehen: "Wir müssen auf den Mut dieser Demonstranten und Demonstrantinnen bauen."

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