Amnesty kritisiert Taliban und Obama
27. Mai 2010Es sind tausende, ganz besondere Schicksale von Menschen, über die Amnesty International in ganzen Bänden berichten könnte: beispielsweise die flüchtenden Frauen in Afghanistan, illegale Einwanderer in einem überfüllten Abschiebelager in Malaysia, die Flüchtlingsströme in Afrika oder die Inhaftierten in Guantánamo. Doch dies würde für einen Jahresbericht zu weit führen und daher legt die Menschenrechtsorganisation am Donnerstag (27.05.2010) ein kleines schwarzes Büchlein mit einer grauen Zehn auf dem Titelblatt den Medien vor.
Mehr Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan
Der Jahresbericht 2010 befasst sich weltweit mit Folter und Misshandlungen in 111 Ländern. In mindestens 48 Ländern seien Menschen wegen ihrer politischen Überzeugungen inhaftiert. Vor allem in Afghanistan befürchtet die Organisation einen Rückfall in alte Zeiten. Amnesty warnt davor, bei den Bemühungen für ein Ende des Bürgerkriegs Zugeständnisse an die radikal-islamischen Taliban zu machen.
Bei einer Vorabvorstellung des Berichtes am Mittwoch in Berlin, hielt die deutsche Amnesty-Generalsekretärin Monika Lüke der Regierung von Präsident Hamid Karsai vor, die Menschenrechte zu missachten. "Die Menschenrechte werden von den Taliban grundsätzlich und auch von der Regierung mit den Füßen getreten." Die Angriffe der radikal-islamischen Taliban und anderer Aufständischer auf Zivilisten hätten zugenommen. Nach Angaben der Vereinten Nationen seien dabei mehr als 2400 Zivilisten getötet worden, etwa zwei Drittel durch die Taliban.
Massive Kritik an Russland und China
Das Leben der Menschen in Afghanistan sei geprägt durch Gesetzlosigkeit, blühenden Drogenhandel, eine schwache, kaum arbeitsfähige Justiz und fehlende Rechtsstaatlichkeit. Auch im Norden, wo die Bundeswehr für Sicherheit sorgen soll, hätten die Menschenrechtsverstöße zugenommen, erklärte Amnesty. Die Verdächtigen, darunter hohe Beamte, gingen wegen der Tatenlosigkeit der Regierung in Kabul meist straflos aus. Lüke fordert auch die Deutschen auf, im Sinne der Menschenrechte zu handeln: Die Bundeswehr dürfe deshalb bei ihrem Einsatz am Hindukusch keine Gefangenen überstellen. Auch die US-Streitkräfte werden kritisiert: Sie hielten noch immer etwa 700 Afghanen ohne Anklage und Verfahren auf ihrem Stützpunkt Bagram fest.
Insgesamt wurde nach den Feststellungen von Amnesty vergangenes Jahr in 159 Ländern gegen die Menschenrechte verstoßen. Massive Kritik gab es unter anderem am Iran sowie an China und Russland. Auch unter Präsident Dmitri Medwedew drohe Menschenrechtlern die Ermordung. Die Lage in Russland sei "verheerend".
Guantánamo-Versprechen nicht erfüllt
Ein ernüchterndes Fazit zieht Amnesty aber auch zur Politik von US-Präsident Barack Obama. Er habe sein Versprechen nicht gehalten, Guantánamo binnen eines Jahres zu schließen. "Wenn einige Gefangene von Guantánamo nach Illinois verlegt werden, aber weiter ohne rechtsstaatliches Verfahren in Haft bleiben, ändert sich für diese Männer nichts - außer die Postleitzahl", sagte Lüke.
Auch Deutschland sei bei diesem Thema gefordert. Lüke fordert die Bundesregierung erneut auf, einige der von den US-Behörden als unschuldig und ungefährlich eingestuften Guantánamo-Häftlinge aufzunehmen. Die Frage steht auch auf der Tagesordnung der seit Donnerstag in Hamburg beratenden Innenministerkonferenz. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bemüht sich laut Medienberichten weiter darum, den Widerstand einiger Bundesländer gegen die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen zu überwinden.
Appell auch an Deutschland
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sagte in einem Zeitungsinterview: "Wir wollen jetzt wissen, was Sache ist." Bei dem Thema gehe Sicherheit vor Diplomatie. Eine Unbedenklichkeit sei erst erreicht, wenn die USA den Kandidaten ein unbegrenztes Touristenvisum ausstellen. Einen positiven Beschluss werde es in Hamburg auf keinen Fall geben, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er will den Bundesinnenminister davon überzeugen, "dass wir keine blauäugige Politik machen dürfen".
Positiv bewertete Lüke, dass Kinder ohne Aufenthaltspapiere in Deutschland mittlerweile ohne das Risiko einer Abschiebung in die Schule gehen können. Enttäuschend sei aber, dass Politiker und Behörden das absolute Folterverbot nicht ausreichend ernst nähmen. "Deutschland darf niemanden in einen Folterstaat abschieben", forderte Lüke.
Erste Erfolge in Sierra Leone
Für den afrikanischen Kontinent kann Amnesty aber auch Positives berichten: So will der Präsident von Sierra Leone die Müttersterblichkeit bekämpfen. Auf Drängen Amnestys soll nun die medizinische Versorgung für schwangere Frauen und Kinder kostenlos angeboten werden. Zufrieden äußerte sich die Organisation auch über den Internationalen Strafgerichtshof, der im vergangenen Jahr erstmals gegen einen amtierenden Staatschef Haftbefehl erließ, den sudanesischen Präsidenten Omar el-Baschir. Der Jahresbericht ist in London offiziell vorgestellt worden.
Autorin: Marion Linnenbrink (afp, dpa, epd, rtr)
Redaktion: Martin Schrader