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Reise

Amsterdam: Neubeginn für den Tourismus nach Corona?

Miriam Partington
22. Juni 2020

Corona hat die Touristen aus Amsterdam vertrieben. Nun, wo die Reisebeschränkungen gelockert werden, soll der Tourismus wieder belebt werden, mit mehr Qualität und Nachhaltigkeit. Das sorgt für Kontroversen.

Bildergalerie Fahrräder | Niederlande Fahrrad auf einer Brücke
Bild: picture-alliance/robertharding/F. Hall

Das Rotlichtviertel Amsterdams gleicht einer Geisterstadt. In den Straßen, die sonst mit Touristen überfüllt sind, trinken nur wenige Einheimische ein Bier in der Sonne. Da keine Besucher aus aller Welt kommen, bleiben die Sexshops, Bordelle und Bars im Viertel De Wallen leer.

"Ich war schockiert, wie tot dieses Viertel ist, nachdem die Touristen ausgeblieben sind", sagt Tim Spekkens, der Inhaber einer lokalen Designfirma. "Dies ist die Gelegenheit für die Stadt, sich neu zu definieren."

Der Amsterdam-Tourismus wurde von der Pandemie hart getroffen. Die Unternehmen im Rotlichtbezirk verzeichnen Einnahmeverluste von bis zu 90 Prozent. Im vorigen März waren die Hotels zu 81 Prozent belegt, in diesem März nur noch zu 41 Prozent.

Das Rotlichtviertel von Amsterdam nach dem Corona-AusbruchBild: Alex Araque Diaz

Das plötzliche Wegbleiben der Touristen fühlte sich zunächst ungewohnt an für eine Stadt, deren Besucherzahlen in den letzten zehn Jahren stetig gestiegen sind. Im Jahr 2019 kamen auf die 800.000 Einwohner Amsterdams 19 Millionen Besucher. Und man rechnete damit, dass diese Zahl bis 2030 voraussichtlich um 50 Prozent steigen würde.

Die Händler profitierten von den Touristenmassen. Die Anwohner aber fühlten sich genervt, vor allem von den vielen saufenden und kiffenden Touristen.

Das Rotlichtviertel von Amsterdam vor dem Corona-AusbruchBild: DW/D. Dedović

"Einige Gegenden waren so überfüllt mit Touristen, dass sich die Amsterdamer in ihren eigenen Vierteln nicht mehr zu Hause fühlten. Sie hatten das Gefühl, in einer Stadt zu leben, die ihnen nicht mehr gehört", sagt Vera Al, Sprecherin des stellvertretenden Bürgermeisters Everhardt.

In den letzten zwei Jahren hat die Stadtverwaltung eine Reihe strenger Maßnahmen ergriffen, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Die Kurtaxe wurde auf 3 Euro pro Person und Nacht angehoben, zusätzlich zu einer Hotelsteuer von 7 Prozent pro Zimmer. Führungen durch den Rotlichtbezirk wurden untersagt. Auch neue Läden, die ausschließlich Waren für Touristen anbieten - etwa Holztulpen und vakuumverpackten Käse - wurden verboten.

Und für den 1. Juli treibt die Stadtverwaltung das Verbot von Ferienunterkünften in drei Gebieten, einschließlich des Rotlichtviertels, voran. So sollen Viertel, die vom Billigtourismus dominiert wurden, wiederbelebt werden.

Beliebtes Souvenir in Amsterdam: Socken mit Marihuana-MotivBild: picture-alliance/J. Tack

"Wir hoffen, dass all dies wieder Einheimische in die Innenstadt locken wird", sagt Vera Al. "Unsere Priorität war es immer, Amsterdam für seine Einwohner lebenswerter zu machen, und wir werden diese Maßnahmen nach Corona weiter ausbauen und verstärken".

Nachhaltige Neuorientierung des Tourismus

Die Stadt nutzt die aktuelle Besucherflaute, um den Tourismus für die Zeit nach der Corona-Pandemie neu auszurichten. Das Stichwort heißt: Nachhaltigkeit. Geplant sind beispielsweise umweltfreundliche Lösungen für den Verkehr und für die Abfallentsorgung sowie die Einrichtung eines Systems, das Menschenansammlungen an belebten Orten steuern soll.

"Ziel ist es, den Tourismus so zu verändern, dass er der Lebensqualität unserer Stadt nicht schadet und die Bedürfnisse der Einwohner und Einheimischen berücksichtigt", erklärt Heleen Jansen, Koordinatorin bei der Marketingagentur der Stadt.

Da die KLM und andere Fluggesellschaften bis zum 3. Juli ihren Flugplan reduziert haben, erwartet Heleen nur eine "allmähliche Wiederaufnahme" des internationalen Tourismus. Deshalb richtet das Stadtmarketing seinen Focus auf die Niederländer: Einheimische sollen in diesem Sommer Amsterdam besuchen und damit den Tourismus- und Kultursektor wieder beleben.

Auch das niederländische Fremdenverkehrsamt NBTC arbeitet an der Neuausrichtung des Tourismus. Wenn die internationalen Gäste zurückkehren, sollen sie auch in weniger bekannte, aber ebenso schöne Teile der Niederlande gelenkt werden - eine Strategie, die bereits 2018 formuliert wurde.

Alternative Rotterdam: Die Hafenstadt lockt mit moderner Architektur und KunstBild: Imago/Rainer Weisflog

Das Marketing - so Elsje van Vuuren, Sprecherin des NBTC - richte sich vor allem an Besucher aus den Nachbarländern Deutschland und Belgien. Die haben vor der Pandemie 40 Prozent des niederländischen Tourismus ausgemacht. "Angesichts der weltweiten Reisebeschränkungen ist es noch wichtiger geworden, sich auf  Besucher aus dem näheren Umfeld zu konzentrieren".

Qualitätstourismus - Pro und Contra

In Amsterdam hat aktuell eine Volksinitiative 25.000 Unterschriften gegen den Massentourismus gesammelt. Sie fordert, dass die Zahl der Übernachtungen von 19 Millionen auf 12 Millionen pro Jahr gesenkt wird. Die Vor-Corona-Situation sei nicht haltbar, heißt es.

Die Tourismus-Verantwortlichen in Amsterdam wollen derweil verstärkt Besucher anziehen, die Museen und kulturelle Stätten besuchen, statt Reisende, die "zum Feiern kommen und Gras rauchen", meint die Rathaus-Sprecherin Vera Al.

Doch diese Idee ist umstritten, vor allem bei Unternehmern, die vom Tourismus leben. So ist James Munt von der Firma PureBoats-Kanalrundfahrten in Amsterdam der Meinung, dass die Abschreckung "bestimmter Arten von Touristen" die liberale Kultur der Stadt beeinträchtigen wird. "Vor ein paar Jahren war Amsterdam noch eine raue und schmutzige Stadt - und das ist immer noch ein Teil ihres Charmes. Die Stadt in ein elitäres Ziel für Museumsbesucher zu verwandeln, wird Amsterdam ruinieren".

Amsterdam: Auf 800.000 Einwohner kommen 19 Millionen Touristen pro JahrBild: picture-alliance/NurPhoto/P. Amorim

Auch Cody Reid-Dodick, der das Good Beans Café in der Nähe der trendigen Haarlemmerstraat betreibt, will die Besucher nicht auf die lauten Party-Touristen reduzieren. "Die Junggesellenabschiede im Rotlichtviertel sorgen natürlich für Aufsehen und Unmut. Aber der durchschnittliche Tourist ist nicht so. An jedem Wochenende haben wir auch Hunderte von Menschen, die in Luxushotels übernachten und neue Restaurants ausprobieren und kleine Designgeschäfte unterstützen."

Und Randy Hoogeweegen, Inhaber von AboutLifestyle Menswear meint, die Regierung dürfe nicht vergessen, wie viel Einkommen der Tourismus der Stadt bringt, nämlich 82 Milliarden Euro pro Jahr. "Natürlich sollte die Regierung den Tourismus kontrollieren, aber nicht bis zu dem Punkt, an dem Menschen ihr Geschäft aufgeben müssen", fügt er hinzu.

Ungewisse Zukunft

Es ist noch zu früh, um zu sagen, welche Auswirkungen die Pläne der Regierung zur Eindämmung des Massentourismus auf Amsterdam haben werden - vor allem, solange die Welt im Griff des Coronavirus bleibt.

Viele Einwohner von Amsterdam sagen immer wieder, wie sehr sie die Stadt ohne die marodierenden Touristenmassen genießen. Und die Stadtverwaltung ist bestrebt, diese Ruhe zu erhalten.

Die Verlegung des Rotlichtviertels in einen anderen Teil der Stadt ist eine Option, die im Rathaus diskutiert wird. Noch ist nicht klar, ob dies wirklich umgesetzt wird.

Andere betrachten den Tourismus als Teil des Lebensgefühls der Stadt. "Amsterdam ist immer hektisch, immer überfüllt, aber das ist typisch für jede Metropole", sagt der Ladenbesitzer Randy Hoogeweegen. "Man kann den Tourismus in Amsterdam nicht stoppen, sonst wäre es nicht mehr Amsterdam."

Miriam Partington Autorin
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