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Politik

Kampf in Alabama um das Recht auf Abtreibung

Helena Humphrey jv
16. Mai 2019

Der US-Bundesstaat hat das restriktivste Abtreibungsgesetz des Landes verabschiedet. Doch Abtreibungsbefürworter in Alabama rüsten zum Kampf - und fürchten den Supreme Court. Aus Montgomery berichtet Helena Humphrey.

USA Senat von Alabama stimmt für fast vollständiges Abtreibungsverbot
Bild: picture-alliance/dpa/AP/The Montgomery Advertiser/M. Welsh

"Abtreibung ist OK", steht auf einem flatternden Banner, das von einem kleinen Flugzeug über den hellblauen Himmel von Alabama gezogen wird. Diese Botschaft ist Teil einer Kampagne gegen ein neues Gesetz, das Abtreibungen in dem Bundesstaat fast komplett verbieten will. Die Abtreibungsbefürworter rüsten auf.

Der kleine Flieger dreht seine Runde auch über der Kuppel des State Capitol Building, dem Regierungssitz Alabamas. Das Wahrzeichen des Bundesstaates in Montgomery ist gleichzeitig auch die neue Frontlinie im Kampf um die körperliche Selbstbestimmung der Frauen.

Es ist ein Kampf, von dem viele dachten, er sei in den 1970er-Jahren endgültig beigelegt worden. Damals hatte der Oberste Gerichtshof der USA in dem Fall "Roe vs. Wade" eine Grundsatzentscheidung gefällt, die das Recht einer Frau auf das Beenden einer Schwangerschaft gesetzlich verankerte.

"Roe vs. Wade" auf dem Prüfstand

Doch dieses Recht könnte kippen - zumindest wenn es nach dem Gesetzgeber in Alabama geht. Denn im Inneren des monumentalen Regierungsgebäudes stimmte der mehrheitlich republikanische Senat des Staates mit überwältigender Mehrheit für den Gesetzesentwurf. Dieser sieht vor, Abtreibungen nur dann zu erlauben, wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist. Ärzten, die einen Schwangerschaftsabbruch aus anderen Gründen durchführen, droht eine Gefängnisstrafe.

Nur einen Tag nach der Abstimmung unterzeichnete Gouverneurin Kay Ivey nun den Gesetzesentwurf. In sechs Monaten soll es in Kraft treten. "Für die vielen Befürworter ist diese Gesetzgebung ein Zeichen für den tief verwurzelten Glauben der Menschen in Alabama. Der Glaube daran, dass jedes Leben kostbar und ein heiliges Geschenk Gottes ist", schrieb sie in einer Erklärung.

Doch die Gegner des Gesetzes sind zahlreich. Nur 16 Prozent der Südstaatler sind der Meinung, dass Abtreibungen grundsätzlich illegal sein sollten. Das ergab eine Umfrage des unabhängigen Public Religion Research Institutes im vergangenen Jahr.

Noch bis Mittwoch hatten viele Abtreibungsbefürworter vor dem Regierungsgebäude protestiert – verkleidet mit Hauben und Umhängen, angelehnt an die US-TV-Serie "The Handmaid's Tale", in der eine christlich-fundamentalistische Ideologie herrscht. Frauen sind dort ihrer Rechte beraubt und Eigentum der Männer.

Versammlungsort der Abtreibungsbefürworter: das POWER-HausBild: DW/Helena Humphrey

Nun wollen sich die Aktivisten neu organisieren und haben sich an einen Ort zurückgezogen, den sie das POWER-Haus "People Organizing for Women's Empowerment and Rights" nennen. In der ansonsten ruhigen Nachbarschaft stechen die vielen Fahnen auf der Veranda besonders heraus. Nebenan befindet sich eine Abtreibungsklinik. "Diese Klinik bleibt offen", steht auf einem der Banner.  

Rüsten zum Rechtsstreit

"Dies ist nur ein weiterer Tag in Alabama", seufzt Mia Raven, Gründerin und Direktorin des POWER-Hauses, und bezieht sich auf das ihrer Meinung nach anhaltendes "Klima des Patriarchats" im Süden der USA. "Wir sind das gewohnt, aber das ist extrem." Nicht nur die Proteste ihrer Organisation sollen fortgesetzt werden, sagt Raven. Sie erwartet auch einen Rechtsstreit.

Tatsächlich hat die Bürgerrechtsorganisation ACLU in Alabama bereits ihre Absicht signalisiert, wegen der neuen Gesetzgebung zu klagen. "Das wird durch alle Instanzen gehen, und am Ende wird der Steuerzahler zahlen müssen", sagt Raven. 

Spießrutenlauf bis zur Abtreibung

Zwar macht die neue Gesetzgebung Alabamas international Schlagzeilen. Doch auch schon zuvor wurden allen, die eine Abtreibung durchführen wollten, Steine in den Weg gelegt. So gibt es in dem Bundesstaat mit rund 2,5 Millionen Frauen nur drei Kliniken, die Abtreibungen anbieten. Vor jeder Einrichtung stehen Demonstranten, die den Frauen häufig ein Meer aus Megaphonen und Kameras ins Gesicht halten.

"Die Demonstranten filmen die Frauen, machen Live-Videos und Fotos von ihnen. Tragen sie Kleidung, die Rückschlüsse auf ihren Arbeitsort zulassen, wird dieser öffentlich gemacht. Das kann bis zur Kündigung führen", erzählt Raven, die auch in einer Klinik arbeitet. Es kommt häufig vor, dass Freiwillige von POWER die Patientinnen in die Klinik begleiten und sie mit Regenschirmen versuchen vor Belästigungen zu schützen.

In eine Abtreibungsklinik zu gehen, ist zum Spießrutenlauf geworden. Freiwillige begleiten und schützen die Frauen mit eigenen T-Shirts. Bild: DW/Helena Humphrey

Informations- und Hilfsangebote für diejenigen, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen, sind rar. Die Suche im Internet nach "Alabama Abtreibungsklinik" bringt nur eine handvoll Ergebnisse. An zweiter Stelle in der Ergebnisliste taucht das "COPE Pregnancy Center" in Montgomery auf.

Keine Ausnahme bei Vergewaltigung oder Inzest

Für eine Frau, die "abtreibungsorientiert" ist, empfiehlt das Zentrum, "sich zumindest zuerst einem Ultraschall zu unterziehen", sagte Lorie Mullins, die Geschäftsführerin von COPE.

Denjenigen, die eine Abtreibung aus finanziellen Gründen in Betracht ziehen, rät das Zentrum, Elternkurse zu besuchen. Wer einen solchen Kurs belegt, wird im Gegenzug mit Windeln, Babytüchern, Autositz und Babybettchen ausgestattet.

Die Tatsache, dass das Alabama-Gesetz keine Ausnahme bei Fällen von Inzest und Vergewaltigung macht - einer der umstrittensten Aspekte des Textes - war "ein Grund, warum wir es unterstützten", sagt Mullins. "Wenn du glaubst, dass alles Leben heilig ist, dann gibt es keine Ausnahme. Inzest- und Vergewaltigungsabtreibungen sollen den Täter schützen, indem sie verbergen, wer er ist."

Das Argument, die Frauen sollten selbst über ihren Körper entscheiden dürfen, zählt für Mullins nicht. "Es ist eine persönliche Entscheidung, ob Sie eine Prostituierte sein wollen, aber die meisten Länder erlassen Gesetze dagegen. Es ist eine persönliche Entscheidung, wenn Sie Ihren Sicherheitsgurt nicht anlegen. Trotzdem hat unsere Regierung ein Gesetz, das verlangt, dass Sie ihn tragen und Sie bestraft, wenn Sie es nicht tun. Die Regierung sagt uns jeden Tag, was wir mit unseren Körpern machen sollen."

Oberster Gerichtshof lässt Abtreibungsgegner hoffen

In der Tat gehe es bei der Gesetzgebung darum, "Macht und Kontrolle über schwangere Frauen auszuüben", sagt Elizabeth Nash. "Um zu verhindern, dass sie ihr Leben und ihre Zukunft vollständig in die Hand nehmen".

Nash arbeitet am Guttmacher Institute, das die rechtlichen Entscheidungen und Maßnahmen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in den USA analysiert. Sie hält es für wichtig, das sich jeder einzelne Staat bemüht, die Abtreibungsgesetzgebung vor dem obersten Gericht des Landes anzufechten.

Eine von nur noch wenigen Kliniken in Alabama, die Abtreibungen durchführenBild: DW/Helena Humphrey

"2019 ist das Jahr, in dem Abtreibungsgegner voll und ganz zugegeben haben, dass ihre ultimative Agenda darin besteht, Abtreibung völlig zu verbieten - zu jeder Zeit in der Schwangerschaft und aus jedem Grund", sagt Nash. Deren Hoffnung sei, dass der Oberste Gerichtshof des Landes die Sache mit den Abtreibungen endgültig regelt.

Nash fürchtet nun, der zunehmend konservative Supreme Court könne die Grundsatzentscheidung "Roe vs. Wade" untergraben und aushebeln: "Erschreckend ist, dass die konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof erst in dieser Woche ihre Bereitschaft gezeigt hat, den langjährigen Präzedenzfall aufzuheben. Jeder, der immer noch glaubt, dass 'Roe vs. Wade' nicht bedroht ist, sollte die Lage noch mal überdenken."

Doch die konservativen Mitglieder des Gerichts müssen sich auf Widerstand gefasst machen. Nach drei Wochen von Protesten scheint der Wille der Abtreibungsbefürworter ungebrochen. Zum Sonnenuntergang haben sie sich auf der Veranda des POWER-Hauses versammelt. "Wir gehen nirgendwo hin", beschwört Mia Raven. An einer Kette um ihren Hals schimmert ein winziger Kleiderbügel aus Draht. Er steht für das Risiko, das Frauen eingehen, sobald Schwangerschaftsabbrüche illegal werden: Abtreibungen werden nicht weniger, sondern nur gefährlicher, wenn Kleiderbügel eingesetzt werden müssen.

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