Analog ist besser
26. Oktober 2004Als ich 1994 eine Schallplatte mit dem griffigen Titel "Digital ist besser" in die Hand bekam, dachte ich "super" und kaufte mir eine Armbanduhr von Casio. Zehn Jahre später wirkt der Slogan nur noch fad. Und die digitale Überlegenheit erweist sich inzwischen als äußerst trügerisch. Bestes Beispiel: der Abschied von der analogen Fotografie.
Das Ende naht
Knapp 150 Jahre nach der Verbreitung der ersten Schnappschusskamera von Kodak ist es nur noch eine Frage der Zeit bis sich auch die letzte "klassische" Kamera auf dem Flohmarkt neben Super-8-Projektoren, Tonbandgeräten und Cassettenrecordern einreiht. Warum soll man auch noch teure Filme kaufen, sie zur Entwicklung tragen und dann ewig auf das Ergebnis warten?
Kostet ja jetzt alles nix mehr und ist doch so einfach, jubilieren die neuen Hobbyfotografen. Fix produzieren sie eine neue digitale Bilderflut - am heimischen PC hübsch einsortiert in ein verästeltes Unterordnerverzeichnis. Kein Gedanke wird daran verschwendet, dass hier nebenbei eine kulturelle Tradition zu Grabe getragen wird.
542 Amateurfotos
Verloren geht nicht nur der haptische Reiz chemischer Papierabzüge. Bilder auf dem Bildschirm vergilben nicht, werden nicht beschriftet, nicht eigenhändig in Alben eingeklebt in denen sich im Laufe der Zeit der Kleber löst. Digitale Fotos werden niemals plötzlich aus einem irgendwann mal gelesenen Buch herausfallen.
Einen großen Rückblick auf das goldene Zeitalter der analogen Amateurfotografie bietet jetzt der Sammler Christian Skrein. Der ehemalige Wiener Starfotograf sammelt seit Jahrzehnten private Schnappschüsse. 542 Fotos aus seiner - nach eigenen Angaben - größten privaten Amateurfotosammlung sind sowohl in Buchform als auch im Rahmen einer Wanderausstellung zu bestaunen. Was es da zu sehen gibt?
Schief, abgeschnitten und verwackelt
Erstmal alles ganz normal hier. Wir sehen Familienrituale, das neue Auto, den Hund und eine Dame - nackt im Koptstand. Banale, alltägliche Situationen, die mal mehr mal weniger gut geknipst wurden. Abgesehen von einer handvoll Prominenter bleiben die Porträtierten anonym. Die Angaben zu den Fotos sind spärlich und beschränken sich auf das Land und das Jahr der Erstellung.
Die fast ausschließlich schwarz-weißen Bilder aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts faszinieren meist erst beim zweiten, genaueren Hinsehen. Erst dann erschließt sich neben dem Reiz des Privaten auch eine künstlerische Dimension der Fotos. Denn unbeabsichtigte Doppelbelichtungen, abgeschnittene Gliedmaßen und schiefe Horizonte entwickeln eine eigene, visuell starke Qualität.
Sehr altmodisch
Einzig die kaum nachzuvollziehende und völlig willkürliche Unterteilung der Schnappschüsse in Kategorien stört die Freude beim Betrachten. Dem ursprünglichen Kontext beraubt, werden die Bilder von Skrein instrumentalisiert und in einen neuen Bedeutungszusammenhang gesetzt. Etiketten wie "Love", "Together" oder "Posing" sind weder eindeutig, noch können sie den zahlreichen Bildern gerecht werden.
Und doch lohnt der Blick zurück. Denn er animiert zum Selbersuchen. Wer jemals eine multimediale Diashow im Computerzimmer durchleben musste, sehnt sich nach dem guten alten Fotoalbum. Sehr altmodisch, aber sehr empfehlenswert. Auch im dritten Jahrtausend.
Das Buch "Snapshots. The Eye of the Century" von Christian Skrein ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 35 Euro. ISBN 3-7757-1396-4