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Gefährliche Berichterstattung aus Gaza: Der Fall Al-Sharif

11. August 2025

Israels Armee hat den prominenten Al-Dschasira-Journalisten Anas Al-Sharif und Kollegen getötet - laut den UN ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht. Wie berichten Journalisten überhaupt aus Gaza?

Palästinensische Gebiete Gaza-Stadt 2024 | Al-Jazeera-Korrespondent Anas al-Scharif berichtet
Der palästinensische Journalist Anas Al-Sharif wurde bei einem israelischen Angriff gezielt getötet (Archivbild)Bild: AFP/Getty Images

"Wenn diese Worte euch erreichen, wisst ihr, dass es Israel gelungen ist, mich zu töten und meine Stimme zum Schweigen zu bringen." So steht es im letzten Post des palästinensischen Journalisten Anas Al-Sharif. Er berichtete für den katarischen Sender Al-Dschasira aus dem Gazastreifen. Der Text, in dem es um seinen Glauben, Palästina sowie seine Familie geht, ist auf April datiert und sollte im Falle seines Todes veröffentlicht werden. Am Sonntagabend wurde der Text schließlich gepostet.

Kurz zuvor war der 28-Jährige durch israelischen Beschuss getötet worden - und mit ihm vier Kollegen, die ebenfalls für Al-Dschasira arbeiteten: der Reporter Mohammed Qreiqeh, die Kameramänner Ibrahim Zaher und Mohammed Noufal und Moamen Aliwa. Die Journalisten hielten sich in einem ihnen zugewiesenen Zelt in der Nähe des Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt auf. Der Sender sprach in einer Stellungnahme von einem "gezielten Attentat", bei dem es sich um eine "unverschämte und vorsätzlichen Angriff auf die Pressefreiheit" handele. 

Israel erhebt Terrorismusvorwürfe

Dass Israel einen tödlichen Angriff auf Journalisten nicht nur einräumt sondern selbst verkündet, passiert selten. In ihrer Mitteilung bezeichneten die israelischen Streitkräfte (IDF) Anas Al-Sharif als "Terroristen, der sich als Journalist für den Sender Al-Dschasira ausgab". Dieser sei der Kopf einer Terrorzelle der Terrororganisation Hamas gewesen und sei für Raketenangriffe auf israelische Zivilisten und IDF-Truppen verantwortlich, erklärte die israelische Armee.

Beerdigung des Al-Dschasira-Korrespondenten Anas al-Scharif am MontagBild: Jehad Alshrafi/AP Photo/picture alliance

Als angeblichen Beleg präsentierte die Armee Einträge zu Al-Sharif in Dokumenten, bei denen es sich um Hamas-Interna handeln soll. Die Vorwürfe und auch die Dokumente selbst hat Israel in den vergangenen Monaten mehrfach in Umlauf gebracht.

Am Abend nach Al-Sharifs Tod berichtete der britische Sender BBC, vor dem aktuellen Konflikt habe der Journalist zwischenzeitlich für ein Medienteam der Hamas gearbeitet. Zuletzt habe er sich kritisch über die Hamas geäußert.

UN und Journalismus-Organisationen: Vorwürfe sind unglaubwürdig

Das UN-Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) schrieb auf der Plattform X, der militärische Angriff auf das Journalistenzelt sei ein "schwerwiegender Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht". Die Bundesregierung verwies ebenfalls auf das Völkerrecht und forderte Aufklärung von Israel.

Noch Ende Juli hatte die UN-Sonderberichterstatterin für freie Meinungsäußerung, Irene Khan, gesagt: "Ich bin zutiefst besorgt angesichts wiederholter Bedrohungen und Anschuldigungen der israelischen Armee gegenüber Anas al-Sharif, dem letzten überlebenden Al-Dschasira-Journalisten in Nord-Gaza."

Ende Juli veröffentlichte das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ), eine international tätige Pressefreiheits-NGO, eine Stellungnahme, in der von einer "Rufmordkampagne des israelischen Militärs" die Rede war. Darin wurde auch Al-Sharif zitiert: "Ich lebe mit dem Gefühl, dass ich jeden Moment bombardiert und zum Märtyrer werden könnte."

In diesem Zelt hielten sich die Al-Dschasira-Journalisten bei dem Angriff aufBild: Jehad Alshrafi/AP Photo/dpa/picture alliance

Als Reaktion auf seine Tötung veröffentlichte das CPJ nun eine Stellungnahme seiner Regionaldirektorin Sara Qudah: "Israels Muster, Journalisten als Militante darzustellen, ohne glaubwürdige Beweise vorzulegen, wirft ernste Fragen über seine Absichten sowie den Respekt für Pressefreiheit auf. Journalisten sind Zivilisten und dürfen nie gezielt angegriffen werden."
Seit Beginn des Gaza-Krieges hat das CPJ nach eigenen Angaben 186 getötete Journalisten gezählt. 

Im DW-Interview sprach auch Martin Roux von Reporter Ohne Grenzen (RSF) von einer "Rufmordkampagne, die die Tötung eines Journalisten rechtfertigen sollte". Al-Sharif sei nicht nur ein prominenter Al-Dschasira-Journalist gewesen, sondern auch die Stimme der leidenden Palästinenser im Gazastreifen. "Ihn mit einer Rufmordkampagne anzugehen und zu töten, ist ein weiterer Aspekt der Medien-Blockade, die Israel errichtet hat", sagte Roux im DW-Fernsehen.

"Embedded Journalism" statt freier Berichterstattung

Bereits seit den ersten Kriegstagen verwehrt Israel ausländischen Journalisten weitgehend den Zutritt zum Gazastreifen. Das israelische Militär hat große Teile des Küstenstreifens zerstört und soll laut einem Kabinettsbeschluss nun auch noch Gaza-Stadt komplett einnehmen. Die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu argumentiert, ihr Kriegsziel sei nach wie vor die Vernichtung der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Die Hamas hatte am 7. Oktober 2023 in einem beispiellosen Terrorangriff rund 1200 Menschen in Israel getötet und weitere 251 in den Gazastreifen verschleppt.

Propagandavideos zweier abgemagerter Geiseln hatten kürzlich in Israel Entsetzen ausgelöst; im Ausland wächst zugleich die Kritik an der israelischen Kriegführung. Die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens ist nach Angaben der Vereinten Nationen unmittelbar von einer Hungersnot bedroht. Etliche Menschenrechtsorganisationen - darunter seit Kurzem auch israelische NGOs - werfen Israel vor in Gaza einen Genozid zu begehen. Ein Vorwurf, der vom internationalen Gerichtshof untersucht wird. 

Gaza: Journalistinnen trotzen der tödlichen Kriegs-Gefahr

03:31

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Mehr als 200 Medien forderten im Juni in einem offenen Brief freien Zutritt für Journalisten zum Gazastreifen. Die von internationalen Medien verbreiteten Bilder und Informationen stammen zum allergrößten Teil von lokalen Journalisten, die als Reporter oder Stringer für die Medienhäuser arbeiten. Teilweise arbeiten sie schon seit Jahren mit den Redaktionen oder Korrespondentenbüros außerhalb des Gazastreifens zusammen. Israelische Stellen werfen den palästinensischen Journalisten im Gazastreifen immer wieder mangelnde Objektivität vor.

Internationalen Journalisten verwehrt Israel - mit wenigen Ausnahmen - den Zugang zum Gazastreifen. Einzig im Rahmen von sogenanntem "embedded journalism" - also in militärische Strukturen eingebettetem Journalismus - dürfen wenige ausgewählte Journalisten für wenige Stunden nach Gaza reisen.  Die Journalistinnen und Journalisten stehen dann unter Aufsicht der Soldaten und müssen ihr Rohmaterial von der Militärzensur freigeben lassen. Reporter, die von dem Angebot Gebrauch machen, sind sich darüber bewusst, dass ihnen dabei nur die Perspektive der israelischen Armee vermittelt wird.

Israel prüft Klage gegen "New York Times"

Redaktionen sind also darauf angewiesen, dass ihnen palästinensische Journalistinnen und Journalisten, Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder andere Hilfsorganisationen und Kontakte aus Gaza berichten, was vor Ort geschieht. Dabei geraten auch internationale Medien immer wieder ins Visier der israelischen Regierung.

Die israelische Regierung - hier Außenminister Gideon Sa'ar - erwägt eine Klage gegen die "New York Times", weil ihr der Kontext zu einem abgedruckten Bild fehlteBild: Michael M. Santiago/Getty Images/AFP

Israels Regierungschef Netanjahu sagte kürzlich, er prüfe eine Klage gegen die "New York Times". Die Zeitung hatte auf ihrer Titelseite im Juli das Bild eines massiv unterernährten Kindes im Gazastreifen abgedruckt. Erst nach Veröffentlichung habe die Redaktion erfahren, dass das Kind auch an einer Vorerkrankung leide, hieß es. Netanjahu weist ein absichtliches Aushungern der Bevölkerung zurück, obwohl etliche Hilfsorganisationen Israel dafür verantwortlich machen, dass weiterhin deutlich weniger Hilfsgüter als benötigt in Gaza ankommen.

Beim selben Termin sagte Netanjahu auch, er habe die Armee angewiesen, mehr ausländische Reporter in den Gazastreifen zu lassen, damit diese sich ein Bild von "Israels humanitären Bemühungen", aber auch von "zivilen Protesten gegen die Hamas" machen könnten. Ob er freien Zugang oder "embedded journalism" meinte, sagte Netanjahu nicht.

Anas Al-Sharif und seine Kollegen waren jedenfalls eines von nur noch sehr wenigen Reporterteams im Gazastreifen.

 

Dieser Artikel wurde um neuere Informationen ergänzt.

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