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Anbar steht vor dem Fall

Diana Hodali16. Oktober 2014

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" erobert immer mehr Gebiete im Irak. Besonders in der Provinz Anbar kann sie große Gewinne verzeichnen. Sollte Anbar fallen, ist auch die Hauptstadt Bagdad in Gefahr.

Infografik: Lage der irakischen Konfliktprovinz Anbar (Infografik: DW)
Fast 140.000 Quadratkilometer und erbitterte Kämpfe: Die irakische Provinz Anbar

Bereits seit Monaten kämpfen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) und die irakischen Regierungstruppen um Anbar - eine riesengroße, kaum besiedelte Wüsten-Provinz, aber von größter strategischer Bedeutung.

Nach irakischen Regierungsangaben scheint der IS den Kampf schon fast für sich entschieden zu haben. Denn 80 Prozent der Region sollen bereits in der Hand der Terrormiliz sein. Neben der Stadt Falludscha fielen Anfang Oktober auch die Städte Hit und Kubaisa an den IS - strategisch wichtige Orte, denn entlang dieser Städte verläuft der Hauptkorridor von Syrien über die syrisch-irakische Grenze bis nach Bagdad. Die Terrormiliz wäre damit in einer starken Ausgangslage für Angriffe auf Bagdad.

Schwache irakische Armee

"Die irakischen Truppen hatten sogar den Befehl erhalten, sich zurückzuziehen", sagt Günter Meyer vom Zentrum für Arabische Studien in Mainz. Die Armee habe daraufhin die gesamten Waffen zurückgelassen und sie kampflos dem IS überlassen. "Die irakischen Truppen sind nicht in der Lage, dem IS Widerstand zu leisten", sagt Meyer. Sie seien meist unterbezahlt und schlecht ausgebildet.

Manche wollen ihr Leben auch nicht für den Erhalt der Provinz Anbar riskieren. Ein Großteil der irakischen Armee besteht aus schiitischen Kämpfern. Die Provinz Anbar ist aber die Hochburg der Sunniten im Irak. Gegenseitige Feindseligkeiten stehen auf der Tagesordnung. Noch sind die Regierungstruppen zwar im Stande, die Staudämme in Haditha und Ramadi zu halten, aber sollten diese an den IS fallen, könnte das fatale Konsequenzen haben. "Wenn die Dämme unter die Kontrolle des IS kommen, bedeutet das, dass die Dschihadisten die Wasser- und Energieversorgung kontrollieren. Außerdem könnten sie auch die Landwirtschaft um Bagdad herum kontrollieren", sagt Meyer.

Kriegszustand: Die Provinzhauptstadt Ramadi nach einem Selbstmordanschlag auf Sicherheitskräfte Ende AugustBild: Reuters

Die Eroberung der Provinz Anbar wäre für die Islamisten auch aus zwei weiteren Gründen ein strategisch wichtiger Sieg: Diverse bedeutende Armee-Einrichtungen sind dort angesiedelt. Der bisher schon große Vorrat an Waffen und Munition des IS würde damit noch weiter aufgefüllt. Und die Islamisten würden ihrem Ziel, der Hauptstadt Bagdad, ein Stück näher kommen.

Angst vor dem Fall Bagdads

Verschiedene Milizen bekämpfen sich in AnbarBild: picture alliance/AP Photo

Deshalb hat die irakische Regierung nach Angaben der BBC ein dringendes Hilfeersuchen an die USA und ihre arabischen Verbündeten gerichtet. In Bagdad befürchtet man, dass sich die Provinz nicht mehr lange halten wird und der IS bald in die Hauptstadt vorrücken könnte. "Dann würde die Anschlagsrate in Bagdad weiter steigen. Die ohnehin schon unsichere Lage in der Hauptstadt würde sich weiter verschärfen", sagt Irak-Experte Günter Meyer. Auch der Flughafen könnte in die Hände des IS fallen.

Doch noch sind die Alliierten der Regierung in Anbar nicht zur Hilfe geeilt. Die internationale Militärallianz unter der Führung der USA fliegt zwar seit Wochen Angriffe auf Stellungen des IS in Syrien und im Irak. Aber lediglich dort im Irak, wo kurdische Peschmerga-Kämpfer Widerstand leisten, konnten sie den IS zurückdrängen. Das Vorrücken des IS in Anbar geriet zuletzt wegen der starken Aufmerksamkeit für die Kämpfe um Kobane in Syrien aus dem Blickfeld. Auch die Luftangriffe der US-geführten Militärallianz konnten den Vormarsch in Anbar nicht aufhalten. Die Terrormiliz konnte fast ungehindert ganze Städte und Dörfer einnehmen.

Noch keine Hilfe für Anbar

In der Vergangenheit gab es zwar Pläne zur Einrichtung einer Kommandozentrale in Anbar, die gemeinsam von Irakern und den USA verwaltet werden sollte. Doch bis heute ist nichts passiert. "Eigentlich war der Plan der USA, eine sunnitische Stammesmiliz, eine so genannte Sahwa, ins Leben zu rufen, die gegen den IS kämpft", sagt Günther Meyer. Man hatte vorgesehen, sunnitische Kämpfer, die damals in der Armee von Saddam Hussein gekämpft haben und sich noch nicht dem "Islamischen Staat" angeschlossen haben, zu einer Truppe zusammenzuführen.

Doch seit auch die Feinde des IS, also schiitische Milizen, Menschenrechtsverletzungen begehen, ist die Motivation sunnitischer Kämpfer nicht groß, sich so einer Sahwa anzuschließen. Schiitische Gruppen haben in den vergangenen Monaten Dutzende Sunniten entführt und ermordet - als Racheakt für die Morde der sunnitischen Terrormiliz "Islamischer Staat".

Kämpfer des IS (Archivbild)Bild: picture-alliance/AP Photo

"Indem die Regierung in Bagdad Milizen gewähren lässt, solche schrecklichen Taten routinemäßig zu begehen, billigt sie Kriegsverbrechen und fördert einen Teufelskreis von religiös motivierter Gewalt, der das Land weiter auseinanderreißt", sagt Donatella Rovera, Krisenbeauftragte der Organisation Amnesty International, die kürzlich dazu einen Bericht veröffentlichte. "Die irakische Regierung muss endlich aufhören, die Herrschaft der Milizen zu unterstützen."

Dieser Meinung ist auch Günter Meyer: "Die Racheakte müssen unterbunden und auch bestraft werden." Denn nur wenn es gelinge, das Vertrauen der Sunniten in Anbar in die Regierung zurückzugewinnen, nur dann wären diese auch bereit, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen. Und nur so könne man den Verlust der Provinz Anbar noch verhindern.

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