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Anders essen

20. Januar 2011

Wir müssen unsere Ernährungsgewohnheiten ändern. Nicht erst durch den aktuellen Dioxin-Skandal wird in Deutschland über Tierzucht und Lebensmittelqualität diskutiert. Mehrere Bücher entlarven die Misstände.

Ein Teller voller Obst und Gemüse (Foto: Bilderbox)
Bild: Bilderbox

Das Thema, das seit dem Beginn des neuen Jahres die Schlagzeilen beherrscht, lautet Dioxin. Futtermittelpanscher hatten – verbotenerweise - technische Fette in ihre Produkte gemischt. Die Tiere haben die Mischung gefressen, so gelangte das Dioxin in Eiern, Putenschnitzeln und Schweinebraten zunächst in die Kühltheken der Supermärkte und anschließend auf unserem Teller. Das ist zwar das Ergebnis einer verbrecherischen Tat einzelner, doch der Fehler liegt im System, sagen Kritiker der Lebensmittelindustrie. "Anders essen" so lautet ihre Forderung an die Gesellschaft.

Der nächste Skandal kommt bestimmt

Erkenntnisse eines Selbstversuchs

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind zu Weihnachten, sondern auch ein Lebensmittelskandal in die Schlagzeilen. Dioxin, Rinderwahn, Gammelfleisch, um nur die spektakulärsten zu nennen. All das kannte auch die Schriftstellerin Karen Duve, genoss jedoch weiterhin ohne große Bedenken das backofenfertig zubereitete Hähnchen aus der Aluschale. Doch dann bekam sie eine neue Mitbewohnerin und durch sie ein schlechtes Gewissen. Denn die fragte bohrend: "Wie kannst Du dieses Qualfleisch kaufen". Karen Duve ist bereit zum Selbstversuch.

Je zwei Monate ernährte sie sich im vergangenen Jahr biologisch, vegetarisch, vegan, also ganz ohne tierische Produkte und sogar frutarisch. Eine Lebensweise, bei der nur Produkte verzehrt werden dürfen, die von der Natur abgestoßen werden, wie Obst, Nüsse, Beeren und Bohnen. Ihren Selbstversuch und viele Gedanken über unsere Vorstellungen von Ernährung und "normaler Lebensweise" hat Duve in einem Buch zusammengefasst, das kürzlich erschienen ist. "Anständig essen" heißt es und ist sicher keine Werbung für eine der getesteten Ernährungsweisen. Denn am Ende des Selbstversuches steht, dass Duve durchaus noch Fleisch ist, allerdings deutlich weniger und wenn, nur noch Bio. Eine Haltung, die sie mit vielen Menschen teilt, die die heutige Massentierhaltung ablehnen. Auch wenn der Titel es nahe legt, Duves Buch ist kein Pamphlet einer Weltverbesserin. Eher beschreibt sie, warum es so schwer ist, unvernünftige Gewohnheiten abzulegen.

Fleischgenuss schadet der Umwelt

Ein Plädoyer für den FleischverzichtBild: Kiepenheuer & Witsch

Konsequenter, allerdings auch ohne moralischen Zeigefinger, ist da der US-amerikanische Bestseller-Autor Jonathan Safran Foer. Nachdem er sich ausführlich mit industriellen Zuchtbetrieben beschäftigt hatte, wurde er zum überzeugten Vegetarier. Sein Buch "Tiere essen" hatte im vergangenen Jahr in den USA wie in Deutschland eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Sinn und Unsinn von Fleischgenuss angestoßen. Foer beschreibt ausführlich die Brutalität von Tierzucht und Schlachtung. Er argumentiert aber nicht nur moralisch, er weist auch daraufhin, dass durch die Massenproduktion von Tieren ein Großteil der von Menschen verursachten Treibhausgase erzeugt wird. Anders gesagt, Fleisch essen in der heutigen Form und Menge ist eindeutig umweltschädlich.

Etikettenschwindel

Alles, was man nicht über das Essen wissen möchte

Derartig sensibilisiert für das Thema Ernährung, wundert es nicht, dass auch das Buch von Thilo Bode, Gründer der Verbraucherorganisation "foodwatch", in Deutschland ein Renner wurde. Im vergangenen Herbst erschien "Die Essensfälscher – Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen" und hielt sich wochenlang auf den Bestsellerlisten. Bode entlarvt das angeblich gesunde Essen, "Omas Rezepturen" und "Fitness-Kost".

Überall findet er abstumpfende Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und viel zu viel Zucker. Schinken, der aus zusammengepressten Resten besteht und als Formfleisch verkauft wird, Analogkäse, der mit echtem Käse nur noch den Namen gemeinsam hat. Bode präsentiert ein umfangreiches kulinarisches Gruselkabinett.

Die Suppe lügt schon lange

Künstliche Aromen & Co.

Aber so beeindruckend die Enthüllungen im Einzelnen sind, so überwältigend die Summe der beschriebenen Details ist, mit denen Verbraucher hinters Licht geführt werden, vollkommen neu ist das meiste nicht. Auf Geschmacksverstärker und künstliche Aromen hat schon vor mehr als zehn Jahren Hans-Ulrich Grimm in seinem Buch "Die Suppe lügt" hingewiesen. Doch damals haben das nur wenige hören wollen. Auch das Argument, vegetarisch könne man sich nicht vollwertig ernähren, haben Mediziner schon lange widerlegt. Und ebenso ist längst klar, was für die Umwelt am besten wäre und für die Gesundheit der meisten Menschen: deutlich weniger Fleisch essen, die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen erhalten und mehr regionale Produkte verwenden.

Wenn alte Weisheiten langsam wirken

Der Erfolg der Bücher von Duve, Safran Foer und Bode könnte nun bedeuten, dass die Gesellschaft inzwischen bereit ist, diese Erkenntnisse anzunehmen und umzusetzen. Und der jüngste Lebensmittelskandal könnte bewirken, dass auch die Politik das Nötige unternimmt, um die Weichen für eine vernünftigere Lebensmittelversorgung fern von Massentierhaltung und Nahrungsmittel-Mogelpackungen zu stellen. Um das Idealbild komplett zu machen, müsste man nur noch die allgegenwärtigen Fernsehköche integrieren. Sie könnten zeigen, dass "anders essen" keineswegs bedeutet, auf Genuss verzichten zu müssen. Man muss nur ein paar alte Gewohnheiten aufgeben und vor allem kulinarische Fantasie entwickeln.

Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Conny Paul

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