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Andrij Melnyk - ein Botschafter mit Außenwirkung

6. April 2022

Er ist ein Diplomat, der undiplomatisch deutlich wird. Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin, verändert offenbar die deutsche Politik. Der Bundespräsident muss sich erklären.

Dr Andrij Melnyk Botschafter der Ukraine
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk in BerlinBild: Susanne Huebner/imago Images

Auch wenn man langjährige Beobachter der deutschen Politik fragt: Eine Autorität wie Andrij Melnyk hatte bislang kein Diplomat in der Bundesrepublik Deutschland. Der Botschafter der Ukraine in Berlin ist für die einen eine hoch geachtete politische Person, für andere ein Störenfried.

Gelegentlich arbeiten sich Hinterbänkler oder unbekannte Regionalpolitiker aus einzelnen Parteien in den sozialen Netzwerken an dem 46-Jährigen ab. Doch auch Kritiker verstehen die Deutlichkeit seiner Worte angesichts der Leiden seines Volkes im russischen Angriffskrieg.

Seine wiederholte scharfe Kritik an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sorgte nun wohl für eine äußerst ungewöhnliche öffentliche Klarstellung des Staatsoberhaupts und das Eingeständnis politischer Fehler. "Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben", sagte Steinmeier.

Schröders Mann für die Außenpolitik 

Der heute 66-jährige Steinmeier war von 1999 bis 2005 unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder Kanzleramtsminister, unter dessen Nachfolgerin Angela Merkel von 2005 bis 2009 sowie 2013 bis 2017 Bundesaußenminister.

2016: Der russische Präsident Wladimir Putin empfängt Außenminister Frank-Walter Steinmeier im KremlBild: Mikhail Metzel/Tass/dpa/picture alliance

Kein Sozialdemokrat in der Geschichte der Bundesrepublik hatte außenpolitisch solches Gewicht. Und dabei war er beeinflusst, ja geprägt von Schröder, der bis heute nicht auf Distanz zum russischen Präsidenten Wladimir Putin geht und gut dotierte Spitzenpositionen in russischen Unternehmen innehat. Steinmeier sprach, wie die deutsche Politik insgesamt, oft mit der russischen Seite.

"Feingefühl ist für Steinmeier ein Fremdwort, zumindest in Bezug auf die Ukraine", sagte Melnyk in einem Interview dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag": "Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle."

Das war deutlich. Undiplomatisch deutlich. Und saß. Wohl jedes wichtigere deutsche Medium transportierte am Wochenende die Äußerung des Botschafters, der fließend Deutsch spricht und mit deutscher Politik gut vertraut ist.

Berliner Erfahrungen mit anderen Diplomaten

Einen Botschafter mit einer solchen Außenwirkung hatte die Bundesrepublik bislang wohl nie. Als 1968 im "Prager Frühling" sowjetische Panzer die Hoffnung auf Reformen in der Tschechoslowakei zerstörten, gab es in Bonn noch keinen Repräsentanten des leidenden Landes. Erst 1973 begannen die diplomatischen Beziehungen.

Gut 20 Jahre später war der ruhige israelische Botschafter Benjamin Navon Ansprechpartner mancher deutscher Politiker, als irakische Scud-Raketen - mit Hilfe der deutschen Wirtschaft verbessert - in Tel Aviv niedergingen und Angst und Tod brachten. Navon blieb öffentlich zurückhaltend.

Richard Grenell dagegen, der Vertreter von US-Präsident Donald Trump im politischen Berlin zwischen 2018 und 2020, agierte durchaus laut und jenseits aller diplomatischen Gepflogenheiten. Indes: Er wurde belächelt oder gefürchtet, aber kaum respektiert.

Kiews Mann der klaren Worte

Mit Melnyk ist es anders. Wohl jeder hat Verständnis für die Schärfe eines Botschafters, dessen Landsleute brutalste tödliche Angriffe erleben und auf Hilfe hoffen. Seine Kritik gilt - auch im "Tagesspiegel" - nicht allein Steinmeier. Und nicht nur deutschen Politikerinnen und Politikern. "Dieser Krieg stellt alles auf den Prüfstand, unsere ganze Weltordnung. Das System hat versagt: UNO, OSZE, Rotes Kreuz, wo sind sie alle, um das Morden von Zivilisten zu stoppen?", fragt der Botschafter im Interview.

27. Februar 2022: Botschafter Andrij Melnyk auf der Gästetribüne des BundestagesBild: imago images/Chris Emil Janßen

Wenn er sich gegenüber Journalisten äußert, kritisiert er auch die meisten Akteure der aktuellen Bundesregierung. Er wirft ihnen vor, die Lage der Ukraine und die Vorgeschichte der russischen Aggression nicht richtig eingeschätzt zu haben. In der Ukraine vergisst man nicht, dass Angela Merkel, Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021, sich einst gegen eine Aufnahme des Landes in das westliche Verteidigungsbündnis NATO ausgesprochen hatte.

Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag den Ort Butscha besuchte, in dem offensichtlich Massaker an Zivilisten stattgefunden haben, lud er Ex-Kanzlerin Merkel ein, sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen. Das zeigt mindestens so sehr wie Melnyks Steinmeier-Kritik, wie tief verletzt die ukrainische Führung durch den deutschen Kurs der vergangenen Jahre ist.

4. April 2022: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in ButschaBild: Ronaldo Schemidt/AFP/Getty Images

Wie kommen die Äußerungen Melnyks in Berlin an? Am Montag, als das Interview mit der Kritik an Steinmeier schon mehr als 24 Stunden bekannt war, wies ein Sprecher der Bundesregierung die Kritik am Bundespräsidenten zurück - "bei allem Verständnis" für die dramatische Lage des Landes.

"Als Botschafter exzellent"

"Ich gehöre nicht zu denen, die den ukrainischen Botschafter kritisieren", sagt der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt. Melnyk vertrete "sein Land exzellent". Es sei in einer Situation, "die man sich kaum vorstellen kann".

Aber CSU-Mann Dobrindt stimmt nicht in die Kritik ein, die Steinmeiers Agieren als Außenminister in der Koalition mit CDU und CSU gilt. Die deutsche Politik habe damals "bewusst gehandelt, um Frieden in Europa zu sichern". Die wirtschaftliche Verflechtung mit Russland, um die es damals gegangen sei, habe das politische Ziel gehabt, durch wirtschaftlichen Handel einen politischen Wandel zu erreichen. Ein Ziel, das jetzt "durch Putin zerstört" worden sei.

5. April 2022: Bundespräsident Steinmeier erklärt sich im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Am Montag waren keine Fernsehkameras zugelassen, als Steinmeier sich vor Journalisten äußerte, "Fehler" einräumte, vom Scheitern einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur mit Russland und einer "bitteren Bilanz" sprach. Am Dienstag ging er mit solchen Worten vor die Kamera, er stand - ein ungewöhnliches Format für ihn - im "Morgenmagazin" des ZDF Rede und Antwort.

Steinmeier und das Scheitern

Es werde unter Putin "keine Rückkehr zur Normalität geben", sagte der Bundespräsident. Der russische Präsident habe sich zu einem "eingebunkerten Kriegstreiber" entwickelt. Die von ihm selbst mit vertretene Politik des Ausgleichs habe nicht zum Erfolg geführt. "Das wirklich Traurige ist, dass wir in vielen Punkten gescheitert sind", so Steinmeier. Er fügte hinzu: "Die Warnungen von unseren osteuropäischen Partnern hätten wir ernster nehmen müssen."

Werden Steinmeier und Melnyk bald unter vier Augen miteinander reden? Der Botschafter reagierte jedenfalls in einem "Deutschlandfunk"-Interview auf Steinmeiers Fehler-Eingeständnis. Und er legte nach: "Für uns ist wichtig, dass jetzt diesen Aussagen Taten folgen, und diese Taten fehlen."

Für den 11. April ist jedenfalls ein Besuch des Botschafters in Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, fest vereinbart. Dann warten, wie Steinmeiers Sprecherin der Deutschen Welle sagte, die neue Chefin des Bundespräsidialamtes, Dörte Dinger, und der leitende außenpolitische Berater des Staatsoberhaupts, Wolfgang Silbermann, zum Gespräch. Ob Steinmeier zu der Zeit auch im Haus ist und dann vielleicht mal anklopft, ist noch nicht bekannt.

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