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Mord in Madrid: Wer war der Ukrainer Andrij Portnow?

26. Mai 2025

Der Ex-Politiker und Spitzenjurist wurde in Spaniens Hauptstadt auf offener Straße erschossen. Die Täter und ihre Motive sind noch unbekannt. Doch Andrij Portnow hatte sich in seinem Leben durchaus Feinde gemacht.

Andrij Portnow
Andrij PortnowBild: REUTERS

Fünf Schüsse fielen im Madrider Vorort Posuelo de Alarcón, unweit der Amerikanischen Schule. Sie trafen Andrij Portnow in den Rücken und in den Kopf. Der 51-Jährige hatte gerade seine Kinder in die angesehene Privatschule gebracht. Die Mörder entkamen unerkannt durch Madrids größten Park Casa de Campo.

Die ersten Ermittlungen der spanischen Polizei konzentrierten sich auf mögliche Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Ein politisches Motiv werde aber auch nicht ausgeschlossen, hieß es. Tatsächlich war Portnow eine schillernde politische Figur, die selbst aus den Turbulenzen der postsowjetischen Ukraine herausragte.

Andrij Portnow: ein cleverer Anwalt an der Macht

1997 zog der in Luhansk geborene Andrij Portnow in seinen frühen Zwanzigern nach Kyjiw. Seinen ersten Job fand der Jurist und Wirtschaftswissenschaftler bei der staatlichen Wertpapierkommission, einer Aufsichtsbehörde für Finanzdienstleitungen. Wenige Jahre später gründete er seine eigene Anwaltskanzlei, die auf Privatisierungs- und Investitionsgeschäfte spezialisiert war.

Andrij Portnow (rechts) zählte fünf Jahre lang zum Team von Ministerpräsidentin Julija TimoschenkoBild: Sergey Dolzhenko/dpa/picture alliance

Als Karrierejurist betrat Portnow schon bald die politische Bühne. Von 2005 bis 2010 war er Chefanwalt im Team von Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Nach den Parlamentswahlen 2006 wurde er Abgeordneter für den Block Julia Timoschenko und stieg sogar zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auf. Er war Mitverfasser einer Reihe von Gesetzen, die die Macht des damaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko einschränkten, der mit Ministerpräsidentin Timoschenko im Dauerstreit lag. Auch an der Lösung des Gaskonflikts 2008/2009 war Portnow beteiligt; die Regierung Timoschenko vereinbarte mit dem damaligen russischen Ministerpräsidenten Putin neue Gaslieferverträge, die auch von der EU positiv bewertet wurden.

Portnow wechselt die politischen Seiten

Der politische Einfluss von Andrij Portnow wuchs stetig. Als Timoschenko bei den Präsidentschaftswahlen 2010 gegen den prorussischen Viktor Janukowitsch verlor, wechselte er die Seiten. Er wurde stellvertretender Leiter in Janukowitschs Präsidialverwaltung und Leiter der Hauptabteilung für Justizreform. Als Verfasser einer neuen Strafprozessordnung, zahlreicher Änderungen der ukrainischen Verfassung und des Gesetzes über die Organisation der Justiz konnte er die Arbeit der ukrainischen Gerichte maßgeblich beeinflussen.

Damit setzte sich Portnow der Kritik aus, mit der Justizreform die Unabhängigkeit der Rechtsprechung einzuschränken und die politische Kontrolle über die Richter zu verstärken. Unter der von ihm organisierten Justiz wurde die zunehmend autoritäre Staatsführung von Janukowitsch ebenso möglich wie feindliche Unternehmensübernahmen, Bereicherung regierungsnaher Oligarchen und die Verfolgung der Opposition, einschließlich Portnows früherer Weggefährtin Julia Timoschenko.

Im Zuge der Maidan-Revolution musste Präsident Viktor Janukowitsch aus der Ukraine fliehenBild: Valery Sharifulin/TASS/dpa/picture alliance

Die Amtszeit des prorussischen Präsidenten Janukowitsch endete mit der Maidan-Revolution im Februar 2014. Portnow floh ebenso wie sein abgesetzter Staatschef nach Russland. Später lebte er in Österreich. 2018 ermittelte die ukrainische Staatsanwaltschaft wegen Landesverrats gegen Portnow. Aus abgehörten Telefongesprächen schlossen die Fahnder, dass er in die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland verwickelt war.

Rache an Janukowitsch-Nachfolger Poroschenko

Die ukrainischen Ermittlungen wurden nach anderthalb Jahren ohne Anklage eingestellt. Ein neuer politischer Umbruch ermöglichte Andrij Portnow die Rückkehr in die Ukraine - kurz vor der Amtseinführung des heutigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj 2019.

Portnow war schon zuvor als scharfer Kritiker des Janukowitsch-Nachfolgers und nun abgewählten Präsidenten Petro Poroschenko aufgetreten. Jetzt überschwemmte er das staatliche Ermittlungsbüro mit Dutzenden Vorwürfen über angebliche Verbrechen, die Poroschenko als Präsident der Ukraine begangen haben sollte. Die Beschuldigungen reichten von der Einmischung in den Prozess der Richterwahl bis hin zur Ausrufung des Kriegsrechts während des Konflikts mit Russland in der Straße von Kertsch im November 2018. Damals beschoss und enterte die russische Küstenwache drei Schiffe der ukrainischen Marine.

Petro Poroschenko verlor das Präsidentenamt in der Ukraine an Wolodymyr SelenskyjBild: Johannes Simon/Getty Images

Portnow: vom Selenskyj-Unterstützer zum Russland-Freund?

Tatsächlich leitete das staatliche Ermittlungsbüro mehrere Untersuchungen ein, und von Zeit zu Zeit tauchten Ermittlungsergebnisse in Portnows Telegram-Kanal auf. Dies nährte den Verdacht, dass der ehemalige Janukowitsch-Mitarbeiter enge Kontakte zu Selenskyjs Regierung pflegte. Zum inneren Kreis des Präsidenten zählten der Leiter der Verwaltung, Stabschef Andrij Bohdan, sowie dessen Stellvertreter Oleh Tatarov und Andrij Smirnov. Mit allen dreien war Portnow gut bekannt.

Allmählich begann Portnows Einfluss auf die Strafverfolgungsbehörden und die Präsidialverwaltung jedoch zu schwinden. Medialer Druck und öffentliche Proteste trugen ihren Teil dazu bei.

Zunehmend wurde der Jurist in prorussischen Medien aktiv, trat als regelmäßiger Gast in den Formaten des moskaufreundlichen Oligarchen Viktor Medwedtschuk auf und erhielt einen Korrespondenten-Status des ebenfalls prorussischen Fernsehsenders 112.

Portnow ging dazu über, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj massiv zu kritisieren, was ihn endgültig von der amtierenden Regierung entfremdete. Kritiker warfen ihm vor, prorussische Narrative zu verbreiten.

Über Russland nach Madrid ins Exil

Im Juni 2022 kehrte Portnow der Ukraine zum zweiten Mal den Rücken. Er reiste zuerst nach Russland und erklärte, er wolle seine minderjährigen Kinder vor Russlands Krieg gegen die Ukraine in Sicherheit bringen. Anschließend ließ er sich in der spanischen Hauptstadt Madrid nieder.

Portnow wurde auf offener Straße in Madrid getötet: Polizei und Forensiker am TatortBild: Nacho Doce/REUTERS

Derweil setzte ihn die Nationale Antikorruptionsbehörde der Ukraine auf eine Liste von mutmaßlichen Staatsverrätern. Portnow, der sich seit Kriegsbeginn nicht mehr öffentlich geäußert hatte, reagierte auf seine übliche Weise und überzog Kritiker und Medien mit einer Reihe von Klagen.

Im Januar 2025 schließlich versicherte Premierminister Denys Schmyhal, dass keine ukrainische Behörde irgendwelche Vorwürfe gegen Portnow erheben würde.

Adaption aus dem Russischen: Darius Cierpialkowski
Mitarbeit: Rolf Breuch

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