Anerkennung von Palästina: Deutschlands Dilemma
5. August 2025
Am vergangenen Wochenende tauchten Videos der Hamas und des Islamischem Dschihad auf, die völlig ausgehungerte Geiseln im Gazastreifen zeigen. Die militant-islamistische Gruppen und ihre Sympathisanten hatten die Geiseln beim blutigen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 verschleppt. Strippenzieher des Anschlags war die Hamas, die von den USA, der EU, Deutschland und anderen als Terrororganisation eingestuft wird.
Nun wird berichtet, Israels Premier Benjamin Netanjahu wolle möglicherweise den gesamten Gazastreifen einnehmen. Der umstrittene Premier behauptet, er tue alles, um die verbliebenen Geiseln zu befreien. Gleichzeitig geht das Hungern und Sterben der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza weiter.
Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte sich entsetzt über die Bilder. "Die Hamas quält die Geiseln, terrorisiert Israel und benutzt die eigene Bevölkerung im Gazastreifen als Schutzschild", sagte Merz der "Bild"-Zeitung.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach auf X von einer "grenzenlosen Unmenschlichkeit" der Hamas. Er unterstrich, dass die unverzügliche Freilassung aller noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln für seine Regierung die "absolute Priorität" habe. Merz betonte gegenüber "Bild", die Hamas dürfe "in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen". Ähnlich äußerte sich Macron.
Frankreich und Deutschland nicht einig in der Palästina-Frage
In der Frage der Anerkennung eines Palästinenserstaats verfolgen Frankreich und Deutschland hingegen einen unterschiedlichen Kurs. Macron hat kürzlich angekündigt, im September im Rahmen der UN-Generaldebatte Palästina als Staat anerkennen zu wollen. Israel hatte sofort nach der Ankündigung Frankreichs diesen Schritt verurteilt. Dies belohne Terrorismus, kritisierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Das sehen viele anders. Großbritannien und Kanada wollen sich Frankreich anschließen, also insgesamt drei der einflussreichen G7-Staaten. Weitere EU-Länder haben dies ebenfalls angekündigt. Die Bundesregierung hingegen plant einen solchen Schritt vorerst nicht, sondern hält die Anerkennung eines Palästinenserstaats erst als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses für sinnvoll.
Ist Palästina ein Staat?
Drei Grundkriterien müssten erfüllt sein, damit ein Staat als solcher benannt werden könne, erklärt im Gespräch mit der DW der Völkerrechtler Aaron Dumont vom Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Uni Bochum.
Dazu gehörten erstens ein klar umrissenes Staatsgebiet, zweitens ein Staatsvolk und drittens eine Regierung, die die Staatsgewalt ausübe. "Zwei der drei Grundkriterien sind auf jeden Fall erfüllt. Schwierig ist das mit der Staatsgewalt. Da könnte man sagen, dass die noch nicht vorhanden ist für den Staat Palästina. Und deshalb noch kein Staat existiert."
Unter Völkerrechtlern ist schon die Definition für die Anerkennung eines Staates umstritten und somit auch die Frage, ob es bereits einen Staat Palästina gibt. Nahostexpertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt im DW-Interview, dass eine mögliche Anerkennung Palästinas durch weitere Staaten zunächst kaum Auswirkungen für das praktische Leben der Menschen in der Region hätte. Auch jetzt schon unterhalten einige Staaten direkte diplomatische Beziehungen zu Palästina, repräsentiert von der Palästinensische Autonomiebehörde.
Diese verwaltet das Westjordanland und Ostjerusalem. Präsident Mahmoud Abbas erklärte bereits 2013, künftig nicht mehr von der Autonomiebehörde, sondern vom Staat Palästina zu sprechen. Der 89-Jährige ist in der eigenen Bevölkerung umstritten. Die letzte Wahl liegt fast zwei Jahrzehnte zurück. Seine Fatah-Regierung erkennt den Staat Israel an.
Im Gazastreifen hingegen regiert die Hamas, die dort für Angst und Terror sorgt und Israel nicht als Staat anerkennt. Für die meisten Länder, die Palästina bereits als Staat anerkennen, ist die Hamas als Verhandlungspartner vollkommen inakzeptabel.
Schwierig ist eine Anerkennung auch, weil die Grenzen zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten nicht geklärt sind, ebenso wie der Status von Ost-Jerusalem. Israel kontrolliert de facto durch seine Besatzung große Gebiete, die eigentlich unter der Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Der internationale Gerichtshof hatte die Besatzung der Palästinensischen Gebiete - Westjordanland, Ostjerusalem und Gaza - zuletzt in einem Gutachten für illegal erklärt.
Politikwissenschaftlerin Asseburg analysiert im DW-Interview: "Die Anerkennung eines Staates Palästina würde signalisieren: Wir fordern nicht nur abstrakt eine Zwei-Staaten-Regelung, sondern wir wollen nun mit dazu beitragen, dass es einen palästinensischen Staat neben Israel gibt. Dazu müssten dann auch Maßnahmen erfolgen, um die israelische Besatzung zu beenden."
149 von insgesamt 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen erkennen Palästina schon jetzt als souveränen Staat an. Der Völkerrechtler Dumont stellt fest: "Man kann nicht sagen, es müssen so und so viele Staaten auf der Welt Palästina anerkennen, und dann wäre es ein Staat."
Eine Vollmitgliedschaft Palästinas bei den Vereinten Nationen (UN) in New York bleibt jedoch vorläufig unwahrscheinlich, wie Nahostexpertin Asseburg erklärt: "Eine Vollmitgliedschaft Palästinas in den UN würde zunächst nicht erfolgen, weil dazu ein Beschluss des UN-Sicherheitsrates notwendig wäre. Dazu bräuchte es auch die Zustimmung der USA. Die ist aber nicht zu erwarten."
Seit 2012 hat Palästina einen Beobachterstatus bei der UN-Generalversammlung, erläutert Asseburg. "Seit Palästina Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen hat, konnte es Mitglied in vielen weiteren internationalen Organisationen werden. Unter anderem beim Internationalen Strafgerichtshof." Der Beobachterstatus gilt als Vorstufe zu einer Vollmitgliedschaft bei der UN.
Deutschlands Verpflichtung gegenüber Israel
Der Druck auf die deutsche Regierung steigt, sich kritischer gegenüber Israel zu zeigen. Nach Berichten über die Absicht des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, Gaza ganz einnehmen zu wollen, fordert die Sprecherin der Oppositionspartei Die Linke, Lea Reisner: "Es braucht politischen Druck, auch gegenüber Verbündeten." Die bisherige Haltung der deutschen Koalitionsregierung gegenüber Israel bezeichnet sie als eine "Bankrotterklärung deutscher Außenpolitik".
Immer wieder wird die Anerkennung Palästinas gefordert. Doch davon ist die Bundesrepublik bisher weit entfernt. Angeführt als Grund wird von der Bundesregierung unter anderem die besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel wegen des Holocaust, des millionenfachen Mordes an Juden während der Zeit des Nationalsozialismus. Daraus folgte die selbst erklärte Staatsräson, die Bereitschaft, sich für Israels Sicherheit einzusetzen.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat den Ton gegenüber Israel zwar verschärft, er fordert einen dauerhaften Waffenstillstand in Gaza und mehr humanitäre Hilfe durch Israel für die Menschen dort. Gleichzeitig will er den engen Partner Israel nicht verärgern.
Eine Anerkennung Palästinas, so Merz, könne nur ganz am Ende eines Prozesses einer Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern stehen. Er betrachte die Anerkennung derzeit nicht "als den richtigen Schritt".