So gut wie aussichtslos ins Rückspiel gestartet, dreht der FC Liverpool das Halbfinale der Champions League noch und erreicht das Endspiel. Favorit FC Barcelona und sein Star Lionel Messi erleben ein bitteres Déjà-vu.
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Unglaublich, unfassbar, unerklärlich - ein Fußballspiel wie das Rückspiel im Champions-League-Halbfinale zwischen dem FC Liverpool und dem FC Barcelona erlebt man selten. Denn eigentlich war nach der 0:3-Hinspiel-Pleite für Trainer Jürgen Klopp und Liverpool der Käse gegessen. Keine Chance, das Ding gegen Barcelona noch zu drehen, schon gar nicht, da mit Roberto Firmino und Mohamed Salah zwei Drittel des erfolgreichen Sturmtrios wegen Verletzungen passen mussten.
Zweimal Origi, zweimal Wijnaldum
Doch was dann geschah, geht in die Geschichte der unglaublichsten Fußballaufholjagden ein. Jeweils zweimal netzten Divock Origi und Georginio Wijnaldum ein und warfen Messi und Co. mit einem verdienten 4:0-Sieg aus dem Wettbewerb. "Zwölfter Mann" im roten Trikot war dabei einmal mehr die Kulisse an der Anfield Road, dem laut Trainer-Guru José Mourinho "einzigen Stadion, das Tore schießen kann". Spätestens nach Wijnaldums Doppelschlag kurz nach der Pause bebte in Liverpool die Erde, und in der Arena verstand man sein eigenes Wort nicht mehr.
Die individuelle Klasse der Spieler des FC Barcelona wurde überrollt von der Wucht und Entschlossenheit der Liverpooler. Je länger das Spiel dauerte umso weniger gelang den Katalanen. Lediglich in der halben Stunde nach der frühen LFC-Führung durch Origi strahlten sie so etwas wie Souveränität und Kontrolle aus. Nach der Pause lief nichts mehr zusammen. Die Talsohle war in der 79. Minute erreicht, als Trent Alexander-Arnold den frisch gebackenen spanischen Meister mit einer schnell ausgeführten Ecke übertölpelte und Origi das Extase-Level an der Anfield Road mit seinem Treffer zum 4:0-Endstand noch einmal zwei bis drei Stufen höher drehte. "Das ist einfach unglaublich! Es ist schwierig, das zu beschreiben", sagte der Stürmer der in der vergangenen Saison noch für Wolfsburg spielte. "Die Fans haben eine große Rolle gespielt. Ich werde von meinen Toren noch lange träumen."
Selbst Klopp wurde von der ungewöhnlichen Ecken-Variante seiner Spieler überrumpelt: "Das war eine Idee von Trent Alexander-Arnold, 20 Jahre alt. Was für ein Kerl! Die Idee ist in dem Moment entstanden", erklärte Klopp im Interview mit Sky und lachte sich beim Betrachten der Wiederholung des 4:0 fast kaputt. "Das ist unglaublich. Ich hab draußen noch gequatscht und sehe nur einen Ball ins Tor fliegen. Ich musste nachfragen, wer das Tor gemacht hat."
Bitteres Déjà-vu für Barça, dritte Chance für Klopp
Eher mit Albträumen dürften sich die Katalanen nach diesem Spiel plagen. Nach dem Abpfiff schlichen sie wie geprügelte Hunde durch den Jubel und den Lärm in die Kabine. Wie in der Vorsaison müssen sie sich vorwerfen lassen, einen sicheren Erfolg noch aus der Hand gegeben zu haben. Damals war im Viertelfinale nach einem 0:3 im Rückspiel gegen die AS Rom Schluss, obwohl Barça das Hinspiel noch klar mit 4:1 gewonnen hatte und sich im Grunde keine Sorgen mehr machen musste. Nun folgte an der Anfield Road der zweite K.o., der eigentlich nicht mehr möglich war. Im Tor des Gegners stand übrigens beide Male der Brasilianer Alisson Becker, der im vergangenen Sommer von Rom nach Liverpool wechselte.
Wie selten ein solches "Wunder" passiert, zeigt die Tatsache, dass Liverpool erst die vierte Mannschaft ist, die in der Champions League einen Drei-Tore-Rückstand nach dem Hinspiel noch drehen kann. "Meine Mannschaft hatte nach Barcelona schon das Gefühl, das noch was drin ist", sagte Klopp, der vor dem Rückspiel in der Pressekonferenz noch tief gestapelt hatte. "Ich habe ihnen vor dem Spiel gesagt: Normalerweise ist es unmöglich, aber ihr habt die Chance."
Klopp steht damit zum dritten Mal in seiner Trainerkarriere im Finale der Königsklasse. 2013 verlor er mit Borussia Dortmund gegen den FC Bayern. Im vergangenen Jahr unterlag er mit den Reds gegen Real Madrid. Darf er im dritten Anlauf nun endlich den begehrten Henkelpott in die Höhe stemmen? So wie seine Mannschaft gegen Barcelona aufgedreht hat, ist das gar nicht mal so unwahrscheinlich - auch dann, wenn im Stadion von Atletico Madrid der "zwölfte Mann" möglicherweise nicht ganz so laut sein wird wie zu Hause in Anfield.
"Das haut dich ja um", sagte Klopp nach dem Spiel, immer noch ein wenig ergriffen vom gerade Erlebten. "Gänsehaut! Das ist sehr, sehr speziell, und ich bin sehr dankbar, dass ich da dabei sein durfte."
Die größten Aufholjagden im Europapokal
Dreimal in Folge schreibt Barcelona Champions-League-Geschichte - einmal mit eigener Aufholjagd, zweimal als tragischer Verlierer. Geschichten von tief gefallenen Königlichen, "Euro-Eddy" und auferstandenen Toten.
Bild: Reuters/Action Images/M. Childs
Eine Lektion an der portugiesischen Küste
Beim Schweizer Drittligisten FC La Chaux-de-Fonds erinnert man sich gerne an die erstklassigen 60er Jahre. Nur das Duell im Pokal der Pokalsieger 1961/62 gegen den portugiesischen Verein Leixões SC ist ein düsteres Kapitel. Nach einem 6:2 daheim folgte im Rückspiel eine Lektion: Mit 5:0 gewann Leixões und FC-Keeper Leo Eichmann (rechts, hier in einem Spiel gegen den FC Zürich) war machtlos.
Bild: picture-allianc/dpa/KEYSTONE
Kein "dolce vita" für die Roma-Stars
Am 1. Oktober 1980 schrieb der FC Carl Zeiss Jena Europapokal-Geschichte. Im Hinspiel bei der AS Rom war man noch mit 0:3 baden gegangen. Doch im Jenaer "Paradies" sorgten dann Krause, Lindemann und zweimal Bielau für die Treffer zum 4:0-Heimsieg und damit für den Einzug in die zweite Runde. "Darauf sind wir sicherlich nicht zu Unrecht stolz", resümierte der damalige Trainer Hans Meyer (Foto).
Bild: Imago/Camera 4
Als der "Betze" noch eine Festung war
Heute kickt man in der Pfalz nur noch drittklassig. Das war in den 80ern anders. Im März 1982 drehte der FCK gegen Real Madrid den Spieß im UEFA-Cup-Viertelfinale noch um. Nach einem 1:3 in Madrid fertigten die "Roten Teufel" die Königlichen um Ulli Stielike (3.v.l.) mit 5:0 ab. Madrid sah dreimal Rot, und auf den Rängen wurde gesungen: "Zieht den Spaniern die Badehosen aus!"
Bild: picture-alliance/Jörg Schmitt
Königlich gekontert
Nicht nur in Barcelona, auch in Madrid sollte man sich seiner Sache nie zu sicher sein: Ein Dezembertag im Jahr 1985: Borussia Mönchengladbach reist mit einem sensationellen 5:1-Hinspielsieg zu Real und scheidet in der dritten Runde des UEFA-Pokals 1985/86 doch noch aus. Denn sowohl Valdano als auch Santillana erzielen einen Doppelpack und bringen Real Madrid so exakt das benötigte Resultat: 4:0.
Bild: picture-alliance/EFE/EFE
Das "Wunder von der Grotenburg"
Uerdingen? Nie gehört? Bayer 05 Uerdingen (nach dem Rückzug des Sponsors Bayer heute KFC Uerdingen) war in den 80er und 90er Jahren Bundesligist und holte 1985 sogar den DFB-Pokal. Im Europapokal der Pokalsieger unterlagen sie 1986 bei Dynamo Dresden mit 0:2, schossen sich aber mit 7:3 im Rückspiel in der Grotenburg-Kampfbahn ins Halbfinale. Rudi Bommer (Foto) war dabei ein Schlüsselspieler.
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"Euro-Eddy" und der große Coup
Auch der Karlsruher SC lebt vom Glanz vergangener Tage. Besonders gern erinnert man sich an die Nacht des 2. Novembers 1993: Nach einer klaren 1:3-Pleite beim favorisierten FC Valencia schien das KSC-Aus schon besiegelt. Doch das Team von Kult-Trainer Winnie Schäfer überrannte die Spanier im Rückspiel förmlich. Allen voran Edgar "Euro-Eddy" Schmidt, der viermal traf und beim 7:0 zum Helden wurde.
Bild: picture-alliance/GES/Augenklick
Bremer Torrausch
32.000 Zuschauer hatten sich mehrheitlich nach einer gespielten Stunde im Champions-League-Spiel Werder Bremen gegen RSC Anderlecht in Gedanken wohl schon mit dem vorzeitigen Heimweg befasst. Denn Werder lag 0:3 zurück. Dann drehte der SVW auf und überrannte die Belgier: 5:3 hieß es am Ende - auch dank des überragenden Neuseeländers Wynton Rufer, der zwei Tore erzielte und eins vorbereitete.
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Das Trauma des FC Bayern
Die Spieler des FC Bayern verstanden die Fußball-Welt nicht mehr: Im Champions-League-Finale im Mai 1999 in Barcelona führten die Münchener gegen Manchester United nach 90 Minuten mit 1:0 und mussten eigentlich nur noch die Nachspielzeit überstehen. Doch dann das: Zwei Ecken, zwei Tore, United gewinnt 2:1. "Es war eine bittere Pille", beschrieb Mario Basler die bayerische Gefühlswelt treffend.
Bild: Imago
Die rote Wiederauferstehung
Ähnlich schlimm wie den Bayern erging es im Mai 2005 dem AC Mailand: 3:0 führten die Italiener im Finale in Istanbul gegen den FC Liverpool, der wehrlos und bereits klinisch tot wirkte. Doch dann glichen die "Reds" innerhalb von 15 Minuten aus. Im Elfmeterschießen setzten sich die Liverpooler mit 3:2 durch, auch der Deutsche Dietmar Hamann versenkte seinen Elfer. Der Rest war Jubel und Party.
Bild: picture-alliance/M. Ulmer
David erlegt Goliath
Es ist die klassische David-gegen-Goliath-Geschichte und sie endet, wie sie enden muss: Der große AC Mailand macht im Hinspiel mit dem kleinen spanischen Deportivo de La Coruña kurzen Prozess: 4:1. Doch im Rückspiel des CL-Viertelfinales 2003/04 kämpfen die Norspanier, ringen taktisch diszipliniert den italienischen Riesen mit 4:0 nieder - und sind sensationell weiter.
Bild: picture-alliance/dpa/empics/T. Marshall
Vier Minuten, die alles drehen
In Zahlen ist diese Aufholjagd nicht besonders beeindruckend: Borussia Dortmund spielte im Champions-League-Viertelfinale beim FC Malaga 0:0. Im Rückspiel dann ein 3:2. Aber was für eines: In der Nachspielzeit führte Malaga mit 2:1. Vier Minuten und zwei BVB-Tore später tobte ein Jubel-Orkan durch das Dortmunder Stadion. Und Siegtorschütze Felipe Santana (l.) war nicht mehr zu halten.
Bild: picture alliance/Pressefoto Baumann
Abgeschriebene leben länger
Der FC Barcelona wurde bereits beerdigt. Nach dem 0:4 bei Paris Saint Germain schien bereits im Champions-League-Achtelfinale Schluss zu sein für das Star-Ensemble aus Katalonien. Doch dank eines Blitzstarts führt der FCB bald 3:0. Dann der Schock: Gegentreffer durch Cavani. In den Schlussminuten gelingen tatsächlich noch drei Tore und Barcelona schreibt mit seinem 6:1-Erfolg Geschichte.
Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Morenatti
Das Wunder von Rom
Wieder Barca: Das schon sicher geglaubte Champions-League-Halbfinale entgleitet dem FC Barcelona nach einem 4:1-Hinspiel-Sieg im eigenen Stadion beim Underdog AS Rom auf nicht für möglich gehaltene Art und Weise: Das Starensemble um Lionel Messi liegt in der italienischen Hauptstadt früh mit 0:1 zurück und verliert tatsächlich mit 0:3 - Trainer Ernesto Valverde kann sein Schicksal nicht fassen.
Barca-Tragik zum dritten Mal in Folge - wieder mit dem schlechteren Ende für Spaniens Meister, der beim "Wunder von Anfield" wie im Vorjahr einen Drei-Tore-Vorsprung verspielt. Dieses Mal gegen Liverpool gar ohne einen Gegentreffer aus dem Hinspiel im Camp Nou. Doch das nicht für möglich gehaltene machen Origi und Wijnaldum (Foto) mit je zwei Toren möglich - ein Spiel für die Geschichtsbücher.
Bild: Reuters/P. Noble
Ein Spiel ist erst vorbei...
...wenn es vorbei ist. Diese Lektion musste Ajax auf schmerzhafte Weise lernen. Im Halbfinal-Rückspiel gegen Tottenham deutet lange alles auf den Finaleinzug der Niederländer hin: Nach einem 1:0-Auswärtssieg in London führt Ajax im eigenen Stadion mit 2:0, doch Tottenham dreht das Ding noch: In der 96. Minute fällt das entscheidende Tor durch Lucas Moura - 3:2 für die Spurs.