1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kriminalität

Geständnis im Missbrauchsfall von Staufen

11. Juni 2018

Christian L. ist angeklagt, einen heute neun Jahre alten Jungen vergewaltigt und ihn zusammen mit der Mutter über das Darknet an andere Pädophile verkauft zu haben. Auch die Mutter will noch aussagen.

Christian L. wird in den Gerichtssaal in Freiburg geführt (Foto: picture-alliance/dpa/P. Seeger)
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Im Hauptprozess um den Missbrauchsfall von Staufen hat der Stiefvater des Tatopfers ein weitgehendes Geständnis abgelegt. Die Anklage sei "bis auf ein paar Kleinigkeiten" richtig, sagte Christian L. vor dem Landgericht Freiburg. Der 39-Jährige ist angeklagt, einen mittlerweile neun Jahre alten Jungen mehrfach vergewaltigt und ihn zusammen mit der Mutter Berrin T. für Vergewaltigungen über das Darknet an andere Männer verkauft zu haben.

Fall sorgte bundesweit für Entsetzen

Der als Pädophiler einschlägig vorbestrafte L. gilt als Haupttäter in der Tatserie, die seit ihrem Bekanntwerden vor fünf Monaten bundesweit für Entsetzen sorgt. "Ich war die treibende Kraft", sagte er vor dem Freiburger Landgericht mit monotoner Stimme. Die Initiative sei immer von ihm ausgegangen. Die Mutter des Jungen habe daher ihren Sohn für die Missbrauchshandlungen zur Verfügung gestellt - aus Angst, er könnte die Beziehung beenden.

Auch Berrin T. kündigte über ihren Verteidiger eine umfassende Aussage an. Allerdings beantragte ihr Verteidiger den Ausschluss der Öffentlichkeit für diese Aussage. Eine Entscheidung steht noch aus. Dem Paar werden unter anderem schwere Vergewaltigung und Zwangsprostitution in jeweils 58 Fällen zur Last gelegt. Angeklagt sind Taten zwischen Mai 2015 bis Ende August 2017. In dem Fall gibt es insgesamt acht Tatverdächtige. Zwei der Täter wurden bereits zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, ein dritter Prozess läuft noch.

Die Mutter des Vergewaltigungsopfers wird in den Freiburger Gerichtssaal geführtBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

An Rohheit kaum zu übertreffen

Die Mutter des Opfers und ihr Lebensgefährte, beide Deutsche, gelten als die zentralen Figuren in dem Missbrauchsfall. Der 48 Jahre alten Berrin T. und ihrem Lebensgefährten wird vorgeworfen, ihr Kind mehr als zwei Jahre lang regelmäßig missbraucht und an andere Männer verkauft zu haben. In der mehr als 100 Seiten langen Anklageschrift der beiden Staatsanwältinnen Nikola Novak und Sabrina Haberstroh ist die Rede von Fesselungen, extremen Demütigungen, Beschimpfungen, Drohungen sowie körperlicher Gewalt und Vergewaltigungen.

Was Novak und Haberstroh zusammengetragen haben, ist an Rohheit kaum zu übertreffen. Ihren Partner lernte Berrin T. demnach um den Jahreswechsel 2014/2015 bei der Staufener Tafel kennen. L. war gerade erst aus dem Gefängnis gekommen, er saß wegen Kindesmissbrauchs. Dass er unter Führungsaufsicht stand und keinen Kontakt zu Kindern pflegen durfte, verheimlichte er gar nicht erst.

Staatsanwältin Nikola Nowak musste gemeinsam mit ihrer Kollegin Sabrina Haberstroh das Unfassbare vortragenBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Kunden wurden keine Grenzen gesetzt

Das Unfassbare: Berrin T. stimmte in diesem Wissen nicht nur einer Beziehung zu. Sie organisierte ihrem Partner auch ein ihr von einer Bekannten zeitweise zur Betreuung übergebenes, geistig behindertes dreijähriges Mädchen als Missbrauchsopfer. Auch Berrin T. verging sich für pädophile Videofilme an ihr. Als sich das Mädchen zunehmend auffällig verhielt, beendete die Mutter den Kontakt.

Doch zu dieser Zeit hatte schon längst das Martyrium ihres eigenen Sohnes begonnen. Zuerst verging sich der Stiefvater an ihm. Der Mann baute laut den Staatsanwältinnen eine Art "familiäre Beziehung" zu dem Kind auf, das zu ihm "Papa" sagte. Dann kam die Mutter dazu - und irgendwann kam das Paar zu der Idee, das Kind im Darknet für Geld für Vergewaltigungen zu verkaufen. Den insgesamt vier ermittelten Kunden wurden laut Anklage dabei keine Grenzen gesetzt: Analverkehr, Oralverkehr, auch Fesselungen oder Schläge - gegen Bezahlung ermöglichte das Paar perverseste Handlungen.

Mutter beruhigte das Kind - und legte Fesseln bereit

Die Rolle der Mutter war dabei laut Anklage vielschichtig. Sie war oft an Tatorten anwesend, um beruhigend auf das Kind einzuwirken. Sie legte Fesseln bereit oder verging sich selbst an ihrem Kind. Dazu baute sie Druck auf ihren Sohn auf - wenn er nicht mitmache, komme er ins Heim, war eine ihrer häufigsten Drohungen.

Ihre mütterlichen Schutzinstinkte scheint T. verloren zu haben. Anders ihr Kind, das sein Urvertrauen offenbar lange behielt. Staatsanwältin Novak zitiert dazu Äußerungen aus einem der Vergewaltigungsvideos. "Sie weiß Bescheid, sie hat aber eigentlich nichts damit zu tun", sagt der Junge da zu einem der Täter über seine Mutter. Tatsächlich brachte Berrin T. ihren Jungen aber bis zum Schluss persönlich zu Vergewaltigungen - bis sie im September nach einem anonymen Tipp festgenommen werden konnte. Ihr Sohn befindet sich seitdem in Betreuung - er versuche, sein Trauma zu verarbeiten, heißt es von den Ermittlern.

Das Gebäude des Langerichts Freiburg Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Vielzahl der Taten wurde gefilmt

Die Schwere und Vielzahl der Verbrechen sowie die Rolle der Mutter machen diesen Fall außergewöhnlich. Behörden und Justiz stehen in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, den Jungen nicht geschützt zu haben - obwohl sie von der Beziehung der Mutter zu dem wegen schweren Kindesmissbrauchs vorbestraften Mann wussten. 

Eine Vielzahl der Taten wurde gefilmt - sowohl die, die das Paar beging, als auch die, die die Freier an dem sich laut Anklage "massiv ekelnden" und völlig wehrlosen Kind vollzogen. Die Aufnahmen dienen in diesem und den anderen Verfahren als Beweismittel. Außerdem führten die bisherigen Aussagen des 39-Jährigen auch zur Festnahme von Männern, denen das Kind zum Vergewaltigen überlassen worden war. "Ich erhoffe mir, auch wenn es vielleicht unrealistisch ist, von der angeklagten Kindsmutter vielleicht mal eine Erklärung zur Motivation", sagte die Vertreterin der Nebenklage, Rechtsanwältin Katja Ravat. Sie vertritt in dem Prozess den missbrauchten Jungen. Ziel von Anklage und Nebenklage sei neben langjährigen Haftstrafen eine anschließende Sicherungsverwahrung, vor allem für den wegen schwerer Kindesmisshandlung vorbestraften Lebensgefährten der Mutter.

Weiterer Prozess in Karlsruhe

Zeitgleich begann vor dem Karlsruher Landgericht der Prozess gegen einen 44-Jährigen aus Schleswig-Holstein: Er soll im sogenannten Darknet beim Lebensgefährten der Mutter angefragt haben, ob er den Jungen sexuell missbrauchen und danach töten dürfe. Weil der 39-Jährige das ablehnte, soll der einschlägig Vorbestrafte aus Schleswig-Holstein gefragt haben, ob man alternativ nicht ein anderes Kind gemeinsam entführen könne, um es sexuell zu missbrauchen und anschließend zu töten. "Der Angeklagte war zur Tötung fest entschlossen", sagte die Staatsanwältin zum Prozessauftakt. Sie hat ihn wegen Sichbereiterklärens zum Mord, zum sexuellen Missbrauch von Kindern und zur Vergewaltigung sowie wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften angeklagt und zieht eine Sicherungsverwahrung in Betracht.

Weil der Verdächtige die Festnahme der Mutter und des Lebensgefährten nicht mitbekam, geriet er beim erneuten Kontaktversuch im Darknet im Herbst 2017 in eine Falle der Polizei: Ein verdeckter Ermittler gab sich als Freund der Mutter aus. Unter dessen Decknamen "geiler Daddy" lockte er den 44-Jährigen nach Karlsruhe. Beim Treffen in einem Schnellrestaurant hatte er 500 Euro und die Utensilien für die geplante Vergewaltigung des Jungen dabei, unter anderem zwei Paar Handschellen und Klebeband zum Knebeln. In diesem Verfahren wurde die Öffentlichkeit teilweise ausgeschlossen. Die Verteidigung hatte dies beantragt, weil der Angeklagte persönliche Dinge wie sein Sexualleben erläutern wolle.

sti/rb (afp, dpa)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen