Merkel bricht Lanze für den Diesel
8. März 2017Angela Merkel ist pünktlich. Zwei Minuten vor 14 Uhr betritt sie den großen Anhörungssaal in einem der Bundestagsgebäude und dreht erst einmal eine Runde, um den Vorsitzenden, aber auch den einen oder anderen Abgeordneten im Abgas-Untersuchungsausschuss persönlich und mit Handschlag zu begrüßen. Verfolgt von zahllosen Kameraobjektiven und den neugierigen Blicken derer, die eine Etage höher auf den Besucherrängen Platz genommen haben. Die Ausschuss-Sitzung ist öffentlich. Jeder Bürger kann, wenn er sich zuvor angemeldet hat, als Zuschauer dabei sein.
Die Bundeskanzlerin ist die voraussichtlich letzte Zeugin in dem Gremium, das sich seit einem guten halben Jahr mit dem VW-Abgas-Skandal, seiner Vorgeschichte und seinen Folgen beschäftigt. Wusste die Bundesregierung, dass deutsche Dieselfahrzeuge auf der Straße deutlich mehr Stickoxide ausstoßen, als im Testbestrieb? Wann erfuhr die Regierung, dass Volkswagen eine Manipulationssoftware einsetzte, um den Ausstoß von Stickoxiden während des Tests zu senken? Was hat sie unternommen, um Bevölkerung und Umwelt vor den giftigen Emissionen zu schützen?
Vorwürfe laufen ins Nichts
68 Sachverständige und Zeugen, darunter Motorexperten, Vertreter des Kraftfahrt-Bundesamtes, des Umweltbundesamtes, von Umweltverbänden, aus der Automobilindustrie, sowie vier aktive und zwei ehemalige Bundesminister hat der Ausschuss bereits vernommen. Abschließend soll nun Angela Merkel schildern, wie sie sich in dem Dreieck zwischen Autoindustrie, Schadstoffausstoß und Emissionsschutz bewegt hat.
Die Kanzlerin wirkt aufgeräumt. Sachlich und unaufgeregt beantwortet sie die Fragen, die abwechselnd von einem Vertreter der Linksfraktion, der Grünen, der Union und der SPD gestellt werden. In Bedrängnis gerät sie dabei nie. Von der Manipulation der Diesel-Abgaswerte, die am 19. September 2015 in den USA publik wurde, will Merkel erst aus der Presse und von ihrem Verkehrsminister Alexander Dobrindt erfahren haben. "Ich kann mich an den Verlauf des Wochenendes nicht genau erinnern, aber wenn man das Radio eingeschaltet hat, gab es kein anderes Thema."
Die Auto-Kanzlerin
War Merkel tatsächlich ahnungslos? Der ehemalige VW-Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch behauptet, seine damaligen Aufsichtsratskollegen bereits im Frühjahr 2015 über den Manipulationsverdacht informiert zu haben. Merkel trifft sich regelmäßig mit den Vorstandschefs deutscher Autobauer. Bei VW war das zu dem Zeitpunkt Martin Winterkorn. Er war es auch, der sich unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den VW-Konzern an die Kanzlerin wandte und am 22. September mit ihr telefonierte. Sie habe "darauf hingewiesen, dass das ein Vorgang ist, der für das Bild der Automobilindustrie ein sehr bedauerlicher Vorfall ist", erinnert sich Merkel. Winterkorn habe ihr versichert, dass die "Vorgänge mit aller Macht" aufgeklärt würden.
Die politischen Aufräumarbeiten überließ die Kanzlerin ihrem Verkehrsminister. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe habe Dobrindt sie informiert, dass er in seinem Ministerium eine Untersuchungskommission einrichten werde. "Ich habe ihn ermuntert, alles zu tun, um die Dinge ans Tageslicht zu bringen, soweit sie nicht schon bekannt sind." Ob das nicht angesichts der industriepolitischen Dimension eigentlich Chefsache gewesen sei, wird Merkel vom grünen Abgeordneten Oliver Krischer gefragt? "Das ist mein Verständnis von Ressortverantwortlichkeit", antwortet Merkel, außerdem habe sie es für gut befunden, dass Dobrindt sich verantwortlich gefühlt habe. "Wir hatten ja nichts von uns aus zu verbergen, das war nicht unser Problem."
Haben alle weggesehen?
Von einem Skandal will Merkel auch gar nicht reden, sie spricht lieber von einem "Vorkommnis". Als Krischer irritiert nachfragt, korrigiert sich Merkel. "Es war ein Fehlverhalten. Von VW und anderen." Den Oppositionspolitiker empört das. "Wir haben hier eine Bundeskanzlerin erlebt, die versucht hat, das ganze Thema Abgasskadal und Dieselgate in einer, wie ich finde, unverantwortlichen Art und Weise zu bagatellisieren", sagt er nach der Ausschusssitzung.
Der Vorsitzende Herbert Behrens geht noch einen Schritt weiter. "Wenn sie Vorgänge von dieser Dimension nicht gewusst haben will, dann deutet das auf jeden Fall darauf hin, dass es einen Fehler im System gibt", sagt der linke Politiker, der von organisiertem Wegschauen spricht. Das empört die Kanzlerin. "Das weise ich zurück." Man müsse sich aber klar sein, dass es einen Zielkonflikt zwischen dem Ausstoß von CO2 und Stickoxiden gebe. "Ich habe mich von dem Moment an, als ich 1994 Umweltministern wurde, damit beschäftigt, wie man CO2- Emissionen einsparen kann. Da hieß es immer, kauf dir einen Diesel."
Lanze für den Diesel
Sie könne verstehen, dass die Käufer von Diesel-Fahrzeugen jetzt verunsichert seien. "Deswegen haben wir auch eine Verantwortung für politische Kontinuität." Man könne jetzt nicht einfach einen ganzen Bereich "für nicht mehr sinnvoll" erklären. "Ich bemühe mich schon, da hängen ja auch viele Arbeitsplätze dran." Abschaltvorrichtungen dürfe es natürlich nicht geben. "Das muss total beseitigt werden." Beim Fahren auf der Straße müssten Normen eingehalten werden. "Ich habe den Eindruck, aus der gebotenen Ferne meiner Position als Bundeskanzlerin, dass man sich an diese angenähert hat."
Im Gegensatz zu den Oppositionspolitikern ist der CSU-Politiker Ulrich Lange nach den zwei Stunden mit der Kanzlerin zufrieden. "Souverän und überzeugend" sei Angela Merkel gewesen, deren Aussage noch einmal gezeigt habe, dass die Bundesregierung gut, schlüssig und abgestimmt reagiert habe. Auf nationaler Ebene seien Konsequenzen aus dem Abgas-Skandal eingeleitet, nur auf europäischer Ebene müsse die Gesetzgebung noch verschärft werden. Auch die SPD-Politikerin Kirsten Lühmann kann am Auftritt der Kanzlerin nichts Negatives ausmachen. Sie habe sich "sehr profunde" mit dem Ausschuss ausgetauscht. Die Politik müsse sich nun fragen, welche Konsequenzen noch zu ziehen seien, "dass solche Skandale nicht wieder passieren".