In Berlin hat die Kohlekommission getagt, doch wie sieht es eigentlich bei denjenigen aus, die von der Braunkohle leben? Oder ihre Zukunft darauf bauen? Gero Rueter hat mit Betroffenen im Rheinischen Revier gesprochen.
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"Die Stimmung ist für uns beängstigend", sagt die junge Industriemechanikerin Miriam Goebbels (oben im Bild). Vor zehn Jahren hat die 26-jährige ihre Ausbildung beim Energiekonzern RWE gemacht; jetzt repariert sie Braunkohlebagger und Förderanlagen.
"Was passiert in der Zukunft? Wie geht es weiter? Kann man sich etwas aufbauen, ein Häuschen leisten, eine Familie gründen? Diese Fragen stehen bei uns im Raum", erzählt sie der DW. Wut über den geplanten Kohleausstieg empfindet sie nicht. "Der Klimaschutz ist ja etwas Wichtiges", sagt sie.
Die Industriemechanikerin vertraut auf die sogenannte Kohlekommission, die Anfang Februar ihre Ergebnisse zum Kohleausstieg und Strukturwandel vorlegen will. "Ich denke, da sitzen sehr kompetente Menschen." Sie vertraut auch darauf, dass die betroffenen Arbeitnehmer in der Braunkohleindustrie bei einem vorzeitigen Ausstieg nicht vergessen werden und es einen gesunden Weg für alle Beteiligten gibt.
Einen ganz schnellen Ausstieg aus der Braunkohle werde es allerdings ihrer Meinung nach ohnehin nicht geben. Noch brauche man den Braunkohlestrom. Und dann müssten die Tagebaugruben noch gut hinterlassen werden. "Also erstmal dauert es noch, bis ich mir was suchen muss", sagt sie. Und sie sei flexibel genug, um später auch in einer anderen Branche zu arbeiten. "Dafür bilden wir uns weiter."
Doch sie kennt auch andere Meinungen von ihren Kollegen. "Es sind viele, die sehen das ganz anders, die malen sich wirklich Horrorszenarien aus, wie es weitergehen wird. Aber ich denke, zu viel Bauchweh bringt einem selber nicht viel."
Wieso wird nur auf Kohle geschaut, kritisieren Kohlevertreter
Die Welt muss schnellstmöglich aus den fossilen Energien aussteigen, damit die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, warnt der Weltklimarat.
Grundsätzlich stimmt dem auch Claus Kuhnke zu. Der 62-jährige Ingenieur arbeitete lange bei RWE, ist Direktor der Rheinischen Braunkohlenbergschule und einer der Geschäftsführer des Vereins der deutschen Braunkohleindustrie (DEBRIV). RWE ist einer der vier Energieriesen in Deutschland; rund die Hälfte der Braunkohle in Deutschland wird von RWE abgebaut.
Der geplante Kohleausstieg "ist eigentlich ständig präsent, egal ob in der Nachbarschaft, im beruflichen Umfeld. Das dominiert uns hier tatsächlich massiv", beschreibt Kuhnke die Situation gegenüber der DW.
An der Rheinischen Braunkohlenbergschule werden jedes Jahr noch insgesamt rund 40 Ingenieure und Techniker pro Jahr für ganz Deutschland ausgebildet.
Dem Lobbyisten fällt es schwer, sich einen schnellen Braunkohleausstieg vorzustellen.
Er ärgert sich darüber, dass andere Länder den CO2-Aussstoß sogar noch erhöhen wollen und dass in Deutschland in anderen Bereichen beim Klimaschutz nichts passiert.
"Ich frage mich, warum nicht radikale Maßnahmen in den anderen Sektoren eingeleitet werden. Wir könnten über Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr nachdenken - auf Landstraßen 60, auf Autobahnen 80 - und würden ebenfalls enorme Mengen Sprit sparen. Aber bei den radikalen Schritten zeigt man lediglich auf die Kohle", kritisiert er.
Kuhnke und Mitgeschäftsführer Uwe Maaßen plädieren für einen CO2-Preis als zentrales Instrument für den Klimaschutz. "CO2 braucht einen Preis, der zumindest auf Ebene der G-20-Länder einheitlich sein muss", sagt Volkswirt Maaßen.
Über die Kosten, die durch das CO2 aus der Kohlekraft entstehen, wollen die Verbandsvertreter lieber nicht sprechen und weisen die aktuellen Daten vom Umweltbundesamt als "Unfug" zurück.
Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes verursachen die Braunkohlekraftwerke im Rheinland Umweltschäden von über 100 Millionen Euro pro Tag.
Kohleausstieg als Chance?
"Wir stehen alle gemeinsam in der Verantwortung für unsere nachfolgenden Generationen", sagt Bürgermeister Georg Gelhausen (CDU) von der Gemeinde Merzenich am Tagebau Hambach.
Mit RWE habe die kleine Gemeinde über Jahrzehnte gut zusammengearbeitet. Rund hundert Familien lebten direkt vom Tagebau. Jetzt gehe es um einen schnelleren Ausstieg.
Der Landrat vom Rhein-Erft-Kreis, Michael Kreuzberg (CDU), sitzt in der von Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufenen Kohlekommission. Er will mit Hilfe von Bund und EU das Revier zu einer Modellregion umgestalten und spricht von "Europas größter Transformation." Dabei soll verstärkt auf erneuerbare Energien gesetzt werden.
"Ich bin optimistisch. Wir sind bereit, das Blatt jetzt zu wenden", sagt Antje Grothus, die für die vom Tagebau betroffenen Bürger in der Kohlekommission sitzt. "Wie das gelingen kann, haben wir beim Steinkohleausstieg gesehen", sagt Grothus. Sie sagt, ihr sei wichtig, dass der soziale Friede in der Region "wieder hergestellt wird und wir uns mit Würde von der Braunkohle verabschieden können."
Das Ende des Steinkohlenbergbaus
Nach mehr als 150 Jahren wird die industrielle Förderung von Steinkohle in Deutschland eingestellt. An diesem Freitag wurde auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop zum letzten Mal "schwarzes Gold" gefördert.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Die letzte Schicht
Das wird ein wehmütiges Weihnachtsfest für die Menschen in Bottrop und vor allem für die letzten Steinkohlekumpel und ihre Familien: Drei Tage vor Heiligabend wird der Steinkohlebergbau auf der Zeche Prosper-Haniel, der letzten Zeche Deutschlands, eingestellt. Im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird die letzte Lore mit "schwarzem Gold" ans Tageslicht gebracht.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Seidel
Der Tetraeder
Nicht weit entfernt von Prosper-Haniel steht der Tetraeder, wie ihn jeder im Ruhrgebiet nennt. Die "dreieckige Pyramide" steht auf einer Abraumhalde und bietet einen weiten Ausblick über das nordwestliche Ruhrgebiet. Abraum ist übrigens das mit der Kohle geförderte Material, das nicht gebraucht wird - taubes Gestein sagt der Bergmann dazu.
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Schwarzes Gold
Die Kohle wurde zunächst ebenfalls "über Tage" gelagert - wie hier vor dem Föderturm von Prosper-Haniel. In der Regel wurde sie mit der Eisenbahn zum nächstgelegenen Hafen gebracht. Von Binnenkähnen auf Seeschiffe umgeladen, wurde ein großer Teil davon nach Übersee verschifft. Deutsche Steinkohle war, so lange sie nicht zu teuer war, wegen ihrer Qualität weltweit gefragt.
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Stolz und Zusammenhalt
Die Arbeit im Pütt (der Kohlegrube) war nicht nur gut bezahlt, die Bergleute genossen auch hohes Ansehen. Ihre schmutzige, anstrengende und gefährliche Arbeit schweißte die Bergleute zusammen. Bis in die heutigen Tage nennen alle Kumpel, auch diese hier von der Bottroper Zeche Prosper-Haniel, den Zusammenhalt und die Kameradschaft als einen Grund für ihren Berufsstolz.
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Arbeiten und Wohnen
Die Zechenbetreiber errichteten in unmittelbarer Nähe der Gruben Siedlungshäuser für die Bergleute. Im Garten hielten diese oft Hühner und Schweine, und für einen Brieftaubenschlag fand sich auch ein Plätzchen. Inzwischen sind die Siedlungshäuser sehr beliebt. Werden beide Haushälften zu einer Wohnung zusammengelegt, bieten sie viel Platz und ein Garten in der Stadt ist ja auch nicht zu verachten.
Bild: picture-alliance/dpa/Schulte
Integration vor der Kohle
In den Zechen arbeiteten nicht nur Deutsche: Es ist sehr wahrscheinlich, dass einige dieser Bergleute (das Bild stammt aus den 1880er Jahren) aus Polen stammen. Es gab viel zu tun und Arbeiter waren gesucht. Die polnischen Bergleute und ihre Nachkommen gehören seit rund 150 Jahren zum Leben im Revier. Alltäglich gewordene Namen wie Kuzorra und Libuda, Niepieklo, Koslowski und Urban zeugen davon.
Bild: picture-alliance/IMAGNO/Austri
Und nach der Schicht: Ins Stadion!
Das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde über Tage vor allem beim Fußball gefördert. Hier wird der Schalker Willi Koslowski am Torschuss gehindert. Das Spiel fand in der Gelsenkirchener Glückaufkampfbahn statt. Die Stadien sind heute größer, die Spieler verdienen mehr - aber die Identifikation mit den Kickern ist ungebrochen. Fußball und Kohle gehören im Ruhrgebiet auch heute noch eng zusammen.
Bild: picture-alliance/dpa
Kumpel aus Anatolien
Nach dem letzten Krieg waren zu den Kollegen aus Schlesien und Masuren viele sogenannte Gastarbeiter aus Südeuropa und aus der Türkei gekommen. Diese hier sind gerade angekommen und wissen noch nicht, was sie erwartet. Die meisten waren gekommen und sind geblieben. Das merkt man im Alltag: Vornamen wie Mehmet und Mustafa hört man im Ruhrpott an jeder Ecke.
Bild: picture-alliance/dpa
Erste Zeichen
Die 1950er und 60er Jahre waren die Hochzeit des Ruhrbergbaus. Und doch konnte, wer wollte, schon die ersten Anzeichen für das bald einsetzende Zechensterben erkennen. Der Kohle, die zunächst nahe der Erdoberfläche gelegen hatte, musste man immer tiefer nachgraben - bis zu 1500 Meter tief. Das war teuer, sehr teuer. Zu teuer bald, deutsche Kohle war international immer weniger konkurrenzfähig.
Bild: picture-alliance/KPA
Namen und Vereine verschwinden
Viele Jahre lang hatten die Kohlebarone den Fußball großzügig unterstützt. Mit dem Zechensterben hörte das auf. Vereine wie Hamborn 07, SV Sodingen, Sportfreunde Katernberg oder wie hier Schwarz-Weiß Essen und Westfalia Herne verschwanden in der Bedeutungslosigkeit. Wie auch traditionsreiche Zechennamen: Präsident und Unser Fritz, Ewald, Hugo und später auch Auguste Victoria und Prosper-Haniel.
Bild: Imago/Horstmüller
Hi-Tech "vor Ort"
"Vor Ort" oder "bei der Nacht" (so nennt der Bergmann seinen Arbeitsplatz, an den nie ein Sonnenstrahl dringt) wurde es jetzt richtig laut: Zum Schmutz und der Hitze kam nun immer mehr Maschinenlärm. Die Zechenbesitzer versuchten, mit möglichst konsequenter Maschinisierung die Förderkosten gering zu halten. Letztlich vergebens, deutsche Steinkohle blieb im internationalen Vergleich zu teuer.
Bild: Deutsches Bergbau-Museum Bochum
Die Verbundenheit mit den Bergleuten
Als es dem Bergbau gut ging und auch Fußballer mit der Kohle Kohle machten, war die Verbindung von Arbeit und Sport im Ruhrgebiet eng. Das ist bis heute so geblieben. Wenn wie hier 2015 im Schalker Stadion vor dem Spiel ein Bergmannschor singt, dann sind etliche der 60.000 Zuschauer nicht nur gerührt, sondern oft auch selbst vom Niedergang des Bergbaus betroffen.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen
Trauer auch in anderen Revieren
Kohle wurde nicht nur an der Ruhr gefördert. Und auch in anderen Kohlerevieren, wie vor der Mine Duhamel an der Saar 2008, demonstrierten Bergleute für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Dieser Bergmann trägt eine Fahne mit der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Auch nicht-religiöse Knappen beten oft zur Barbara, dass sie "bei der Nacht" ein Auge auf sie habe.
Bild: AP
Umweltverschmutzung
Das Ruhrgebiet war jahrzehntelang berüchtigt für seine schlechte Luft. Besonders die Kokereien, im Bild die von Schweigern in Oberhausen, sorgten dafür, dass die frisch gewaschene Wäsche zwar trocken, aber noch auf der Leine wieder sehr dreckig wurde. Diese Folgen der Kohlewirtschaft vermisst im Revier niemand.
Bild: Getty Images/L. Schulze
Offenes Abwasserrohr
Eine andere Folge des Bergbaus wird auch ganz bestimmt niemand vermissen: Wegen der vielen Stollen und Schächte konnte man in Teilen des Ruhrgebietes keine Kanalisation installieren. Also nahm man die eigentlich recht idyllische Emscher und machte aus dem kleinen Fluss ein gigantisches, viele Kilometer langes, offenes Abflussrohr, das Tag und Nacht ganz erbärmlich stank.
Bild: Emschergenossenschaft
Bergschäden
Auch wenn der Kohlebergbau nun eingestellt wird - er wird im Leben der Menschen an Ruhr und Emscher weiter eine nicht zu übersehende Rolle spielen. Denn immer wieder tut sich die Erde auf und Häuser, Straßen oder Bahnlinien werden durch die berüchtigten Bergschäden schwer beschädigt. Sie entstehen, wenn Hohlräume unter der Erde einstürzen. Denn wo früher Kohle war, ist jetzt oft nur noch - Luft.
Bild: Imago/J. Tack
Aufgaben, die nie erledigt sein werden
In den letzten 150 Jahren ist das Ruhrgebiet um bis zu 25 (!) Meter abgesackt. Würde man die Gruben nun sich selbst überlassen, stiege das Grundwasser wieder an und verwandelte das Revier, in dem immerhin mehr als fünf Millionen Menschen leben, in einen riesigen See. Also muss das Wasser abgepumpt werden. Und zwar ständig. Deswegen spricht man an der Ruhr von "Ewigkeitslasten".
Bild: Imago/blickwinkel
Was bleibt vom Steinkohlebergbau?
Wir werden sehen, wie lange Bergmannskapellen und -chöre überleben. Die Fördertürme jedenfalls sind meistenteils abgerissen, die Abraumhalden begrünt. Viele Industriedenkmäler, und davon gibt es an der Ruhr nun wahrlich genug, wurden zu Freizeitparks umgestaltet. Beispielhaft dafür ist die Zeche Zollverein in Essen, die inzwischen sogar zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.