Die Schicksalsgenossinnen
21. November 2019Angela Merkels Anfangsjahre als Spitzenpolitikerin waren alles andere als leicht: Frau und dann noch aus der früheren DDR, kinderlos, Protestantin dazu. Sie war das Anti-Programm zur westdeutschen, katholisch geprägten, männlichen CDU. Auch ihr Habitus, ihr Sprach- und Kleidungsstil waren Anfang der Nullerjahre Grund für Ressentiments.
Ihr größter Gegner: der sogenannte Anden-Pakt, eine Art Geheimbund konservativer Männer aus CDU und CSU. Sie sei nur eine vorübergehende Erscheinung, war der Tenor vieler Kommentare über Merkel. Damals mit dabei: Friedrich Merz - in der ersten Phase seiner bundespolitischen Karriere.
Kein leichter Start
Eigentlich wollte Merkel schon 2002 Kanzlerin werden. Sie ließ dann aber Edmund Stoiber aus Bayern den Vortritt. Damals hieß es, der Anden-Pakt habe Merkel zu verhindern gewusst. CDU/CSU verloren die Wahl - Merkel aber hatte nicht verloren.
Ganz im Gegenteil, sie baute ihre Macht aus. Noch im selben Jahr beanspruchte sie als CDU-Vorsitzende auch den Vorsitz der Bundestagsfraktion. Der bisherige Vorsitzende - Friedrich Merz - musste weichen. Er zog sich später aus der Politik zurück. Merz blieb nicht der einzige "Anden-Pakt-Mann", der sich gegen Merkel geschlagen geben musste.
Umfragewerte von damals zeigen, dass eine Merkel-Skepsis auch außerhalb der Partei bestand. Trotz ihres Aufstiegs waren viele Menschen - wie im Deutschland-Trend von Infratest-Dimap festgehalten - nur mittelmäßig zufrieden mit Merkels Arbeit.
Noch im Oktober 2005, also kurz vor Beginn ihrer Kanzlerschaft, lag Merkel laut ZDF-Politikbarometer auf Platz vier - zwei Plätze hinter Friedrich Merz. Das Meinungsklima änderte sich nur langsam. Während ihrer Kanzlerschaft ging es mit der Popularität auf und ab. Vor allem im ersten Jahr ihrer Kanzlerschaft rauschten die Werte nach unten.
Doch während der ersten Kanzlerjahre gelang es Merkel, aus ihrer unscheinbaren Erscheinung eine Stärke zu machen. Sie sei authentisch und ungekünstelt, lobten vor allem jüngere Anhänger. Mit diesem Image gewann sie Vertrauen und dann Wahlen. "Sie kennen mich!" warb sie nach acht Jahren Kanzlerschaft auf den Wahlplakaten 2013. Mehr musste Merkel gar nicht mehr sagen. Sie wurde zum dritten Mal gewählt.
"Typ Merkel"
Nun ist der Übergang von Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer, AKK genannt, eingeläutet. Seit dem CDU-Parteitag im Dezember 2018 ist AKK neue CDU-Parteivorsitzende - und bekam viele Vorschusslorbeeren. Merkel wird zur nächsten Bundestagswahl - spätestens 2021 - nicht mehr antreten. Normalerweise gilt: Parteivorsitz und Kanzleramt liegen in einer Hand. Demnach liefe alles auf eine Kanzlerin AKK hinaus.
Kramp-Karrenbauer ist in manchen Dingen Merkel sehr ähnlich. Wenn sie einen Raum betritt, macht sie es leise. Sie fällt weder durch extravagante Kleidung, noch durch laute Gesten auf, da ist sie ganz "Typ Merkel". AKK tritt genauso bodenständig auf.
Ähnlich klingen auch manche kritischen Kommentare über sie. Ihr fehle die spezielle Aura, die Ausstrahlung, die manche von einer Führungsfigur erwarten. Manche in der CDU bezeichnen sie abschätzig als "Landrätin aus dem Saarland". Einst diente auch bei Merkel die Herkunft - aus der DDR - als Basis für Hohn und Spott. Doch ihre Karriere zeigt: Manchmal täuschen sich die Kritiker.
Allerdings lief das Jahr 2019 für die 57-jährige Kramp-Karrenbauer bislang alles andere als gut. Ihre Zustimmungswerte im Deutschland-Trend sanken von 46 auf 18 Prozent. Beim Politiker-Ranking stürzte sie auf den vorletzten Platz. Ihr mediales Image ist schlecht: Sie sage entweder zu wenig oder zu viel, lasse Führung vermissen oder sei zu forsch, finden Kritiker.
Rückkehr eines Merkel-Opfers
Inzwischen hat AKK Konkurrenz bekommen - von vier Männern. Sie sind zwar nicht - wie damals gegen Merkel - in einem Pakt vereint. Aber: Es sind wieder alles Männer. Ihr schärfster Konkurrent ist altbekannt. Es ist Merkels früherer Gegner Friedrich Merz. Nach erfolgreichen Jahren in der privaten Finanzwirtschaft hofft er auf ein politisches Comeback.
Doch die erste Runde im neuen Macht-Duell hat er bereits verloren. Im Dezember 2018 wählte der Parteitag, wenn auch knapp, AKK und nicht ihn zur neuen Vorsitzenden. Nun, rund ein Jahr später, positioniert sich Merz als "besserer" Kanzlerkandidat. Die jetzige Regierung arbeite "grottenschlecht", kritisierte er kürzlich. Für den kommenden Parteitag hat er eine programmatische Rede angekündigt. In Umfragen liegt Merz weit vor AKK.
Darauf zu setzen, dass die Partei und die Wähler auch dieses Mal geduldig - wie mit Angela Merkel - den Weg mitgehen, wäre wohl ein fataler Fehler. Die Zeiten haben sich geändert. Auch Deutschland wurde von einer populistischen, neo-autoritären Welle erfasst. Das politische Klima ist anders geworden. Wie das Comeback von Merz zeigt, scheinen wieder stärker Personen gefragt zu sein, die mit Reden, Rhetorik und Auftreten einen Saal oder Wähler auch situativ überzeugen können. Ist der Typ Merkel noch zeitgemäß?
Eindeutige Antworten darauf gibt es nicht. Denn trotz aller Debatten rangiert Merkel im Politiker-Ranking noch immer unangefochten auf dem Spitzenplatz.