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Politik

Bosnien braucht mehr Empathie

Stefan Schwarz
20. November 2020

Die Kriegsgefahr auf dem Westbalkan kann von der Bundeskanzlerin und dem gewählten US-Präsidenten abgewendet werden. Merkel und Biden sollten dazu Empathie mit Analytik und dem Willen zur Reform von Dayton verbinden.

Deutschland Westbalkan-Gipfel
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Staatschef der Westbalkanstaaten auf der Westbalkan-Konferenz im April 2019Bild: Hrvatska Vlada

Bei Angela Merkel hat der Krieg in Bosnien - hilflos und fassungslos und wütend, wie er alle machte - einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Immer wieder fordert sie "mehr Empathie" für Bosnien, und den Balkan. Im September sprach sie öffentlich von der "schlimmen Lage" in Bosnien.

Mehrfach hat die die Kanzlerin versucht, gordische Knoten auf dem Balkan zu lösen, ohne Erfolg.

Warum gelingt das seit über 25 Jahren in Bosnien nicht? Wer, oder besser: was blockiert jeden Fortschritt? Was treibt die Menschen in die Resignation und aus dem Land?

Ein Grund: Europa, auch Deutschland, stellt sich nicht der Ursache, für die Lage in Bosnien – und eigenen Fehlern.

Ursache für die Lage in Bosnien ist nicht vor allem, dass etwa zu viel Nationalismus das Land lähmt; das ist Propaganda. Das eigentliche Problem ist internationale Akzeptanz von Kriegsverbrechern und Kriminellen. Und deren Lebensversicherung – das Dayton-Abkommen.

Nach wie vor eine Ikone im serbisch dominiertem Teil Bosniens: Ratko Mladić, im Krieg Militärchef der bosnischen Serben, wurde 2017 wegen Völkermords zu lebenslanger Haft verurteiltBild: picture-alliance/dpa/D. Vejnovic

Schon beim Referendum 1992, bei dem ich als internationaler Beobachter erstmals in Bosnien war, wurden Bosnier von Extremisten bedroht, damit sie nicht abstimmen. Nach über 90 Prozent Zustimmung für die Unabhängigkeit griffen die Extremisten zur Gewalt. Milizionäre des Kriegsverbrechers Karadžić hielten uns Internationale im "Holiday Inn" in Sarajevo als politische Geiseln.

Erst massiver Druck der USA auf den mächtigsten der Kriegsverbrecher, Slobodan Milošević, führte zur Evakuierung der "Internationalen". Die Bosnier wurden Opfer des schlimmsten Krieges in Europa nach dem 2. Weltkrieg. Karadžić hatte einem der Internationalen ein "Blutbad" angekündigt hatte.

Slobodan Milošević, langjähriger Präsident Serbiens, starb 2006 vor dem Abschluss seines Verfahrens vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal, so dass es zu keinem Urteil kamBild: Milos Bicanski/dpa/picture-alliance

Die NATO hat Bosnien davor bewahrt, von der Landkarte ausradiert zu werden. Aggression und Genozid - nicht nur 1995 in Srebrenica, sondern schon 1992 in Prijedor, auch in Foča und vielen anderen Städten und Dörfern Bosniens - wurden spät, für Hunderttausende zu spät, gestoppt.

In Dayton wurde 1995 zwar der Krieg beendet - aber um den schlimmen Preis, Kriegsverbrechern einen Teil des Landes zu überlassen. Falsche Rücksicht auf Milošević, damals schon Kriegsverbrecher und Präsident Serbiens, führte zum brutalsten Abkommen des 20. Jahrhunderts in Europa. Völkermörder und Kriegsverbrecher erhielten als "Preis" die Hälfte des Landes. Nie war im 20. Jahrhundert Genozid und Zerstörung höher belohnt worden. Akzeptanz für Aggression und Genozid - das galt nach Hitler aus politischen, auch moralischen Gründen als völlig undenkbar. Bis zum Dayton-Abkommen.

Radovan Karadžić, 1992-96 Präsident der bosnischen "Republika Srpska", wurde 2019 vom internationalen Kriegsverbrechertribunal zu lebenslanger Haft verurteiltBild: Getty Images/AFP/P. Dejong

Weil nicht nur viele Diplomaten das Land ohne jede Empathie, umso mehr aber mit Arroganz und Ignoranz betrachten, wurde Bosnien zynisch aufgeteilt. Selbst deutsche Diplomaten wie Ischinger und Steiner beteiligten sich erstmals seit Hitler wieder an der Aufteilung eines Landes.

Die Kriegsverbrecher erhielten die Kontrolle über die Hälfte des Landes - und mit der Dayton-Verfassung einen Hebel zur Blockade ganz Bosniens.

Kein Land der Erde hat drei Präsidenten. In keinem Land in Europa können Entscheidungen derart blockiert werden. Richard Holbrooke, Sohn einer vor den Nazis geflohenen jüdischen Deutschen, verhandelte ein Abkommen, dass im Ergebnis Juden von der Führung des Landes ausschließt. 1992 wollte ein tolerantes Bosnien 500 Jahre Ankunft der verfolgten Juden in Sarajevo feiern. 1995 folgte die Perversion durch den Dayton-Vertrag.

US-Chefunterhändler Richard Holbrooke (Mitte, in Zivilkleidung) verhandelte vor 25 Jahren das Dayton-AbkommenBild: Radoslav Grujic/dpa/epa/picture-alliance

Dayton hat aus Bosnien, einem Land mit wunderbaren Menschen, ein hoffnungsloses Land gemacht.

Die Republika Srpska wird von korrupten Kriegsverbrechern und deren Anhängern kontrolliert. Die Föderation wird beherrscht von korrupten Führungscliquen. In allen Teilen Bosniens leiden die Menschen unter diesen korrupten Eliten. Die Wahlen vom November 2020 geben allerdings Hoffnung, dass es besser werden kann.

Die Lebensversicherung der Kriminellen bleibt der Dayton-Vertrag. Der Hohe Beauftragte Valentin Inzko, der mit den "Bonn Powers" Reformen erzwingen könnte, ist zum feigen politischen Eunuchen verkommen. Täglich beweist er seine Impotenz und Irrelvanz.

Valentin Inzko, seit 2009 Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und HerzegowinaBild: Marina Martinovic/DW

Bosnien kann sich, wegen Dayton, nicht alleine von Kriegsverbrechern und Korrupten befreien. Bosnien muss zuerst von Dayton befreit werden, um sich befreien zu können: Bosnien muss von Daytonistan wieder zu Bosnien-Herzegowina werden.

Das geht nicht ohne die, die aus Bosnien erst Daytonistan gemacht haben.

Viele Diplomaten verstehen das nicht. Erst so wurde Dayton möglich, die Seele Bosniens schwer beschädigt, das Land amputiert. Die Operation Dayton hat Bosnien-Herzegowina als Staat gerettet, es dabei aber zum Krüppel gemacht.

Joe Biden, gewählter Präsident der USABild: Leah Millis/REUTERS

Das kann und muss man ändern. Angela Merkel trägt hier große Verantwortung. Die Bundeskanzlerin ist die mächtigste Frau der Welt. Mit dem neuen US-Präsidenten Biden hat sie einen Partner, der Bosnien und den Balkan exzellent kennt. Die Kriegsgefahr in diesem Teil Europas kann von Merkel und Biden dauerhaft abgewendet werden.

Merkel und Biden sollten dazu Empathie mit Analytik und dem Willen zur Reform von Dayton verbinden. Bundeskanzlerin und Präsident können damit echten Frieden und echte Stabilität schaffen.

Bild: Privat

Stefan Schwarz ist ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages, Ehrenbürger der bosnischen Städte Sarajevo (1993) und Goražde  (2011) sowie Direktor des European Balkan Institute (EUBI).

Stefan Schwarz Ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages
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