1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Kunst

Angelika Platen holt Künstler vor die Kamera

16. März 2017

Ihre Bilder sind inzwischen selbst Kunstgeschichte. Seit 50 Jahren dokumentiert die Fotografin Angelika Platen mit sehr persönlichem Blick die internationale Künstlerszene. Eine Berliner Galerie zeigte Platens Werk.

Ausstellung der Fotografin Angelika Platen in Berlin (DW/H. Mund)
Die junge, ambitionierte Fotografin 1971: Spielerische Begegnung mit Sigmar Polke Bild: Angelika Platen

Mit außergewöhnlichen Porträtfotografien zeitgenössischer Künstler hat sich Angelika Platen einen Namen gemacht. Und sehr persönliche Kontakt zu Künstlern geknüpft. Mehr als 300 Fotografien sind so entstanden - von Marina Abramovic, Blinky Palermo, Andy Warhol, Joseph Beuys, Neo Rauch, Georg Baselitz, Jonathan Meese oder auch Wolfgang Tillmans. Zwischenzeitlich leitete sie eine Kunstgalerie in Hamburg und lebte lange in Frankreich. Inzwischen wohnt und arbeitet Platen, die 1942 in Heidelberg zur Welt kam, in Berlin. Dort zeigt jetzt die Galerie Schultz ihr Werk.

DW: Berühmte Maler wie Georg Baselitz, Neo Rauch oder auch Gerhard Richter sind ja sehr heikel, wenn jemand in ihr Atelier kommt, vor allem wenn es sich um Fotografen handelt. War das damals bei Ihnen noch nicht so?

Angelika Platen: Damals war das alles einfacher. Wir waren alle jung und es gab noch nicht so viele Künstler wie heute. Und das war damals, Ende der 1960er Jahre, der Aufbruch in die neue zeitgenössische Kunst. Es war auch viel unkomplizierter, mit den Künstlern Termine zu machen. Da rief man einfach an. Ich werde nie vergessen, als ich bei Richter vor seinem Atelier an die Tür klopfte, da hing ein Zettel an der Tür: "Komme gleich wieder. Ich bin zu einem lebenswichtigen Termin schnell fort."

Die Fotografin Angelika Platen (75) in der Berliner Galerie SchultzBild: DW/H. Mund

Und was war für ihn so "lebenswichtig"?

Das hat er mir nie gesagt. (lacht) Ich war zuerst ganz erstaunt und habe mich dann einfach vor die Tür gesetzt, auf den Fußboden, und habe auf ihn gewartet. Das hat sich auch gelohnt.

Wie hat er reagiert, als er zurück kam?

Es war ihm ein bisschen unangenehm, dass er zu spät kam, aber dadurch hatte ich ein bisschen Zeit im Atelier. Das war 1971 in Düsseldorf. Ich durfte ihn dann fotografieren, er hat auch mich fotografiert. Wir haben uns gegenseitig fotografiert. Das war eine sehr schöne Begegnung.

Bei ihren Fotografien von zeitgenössischen Künstlern taucht häufiger das Spiegel-Motiv auf: Künstler oder Künstler und Fotografin im Spiegel fotografiert. Ist das ein Stilmittel von Ihnen?

Das habe ich einmal mit Sigmar Polke gemacht. Als ich bei ihm in die Wohnungstür kam, da hing genau gegenüber der Wohnungstür ein Spiegel. Und da habe ich sofort meine Kamera rausgeholt und habe uns beide im Spiegel fotografiert. Das war ein ganz heißer Sommertag. Polke hatte ein buntgeblümtes Hemd an und ich ein kurzes Oberteil, und mein nackter Bauch guckte raus. Das war ein ganz frisches In-den-Spiegel-schauen, das hat ihm gefallen.

Die wilden 60er Jahre werden heute gern als "Hippiezeit" bezeichnet. Wie war diese Umbruchzeit für Sie als junge, ambitionierte Fotografin?

Für mich war es eine Zeit der Emanzipation. Ich werde nicht vergessen, als ich in Hamburg 1966 im vornehmen Hotel Atlantic zu einem großen Empfang als Fotografin geladen war, und einen frechen pinkfarbenen Hosenanzug angezogen hatte, wurde mir der Eintritt zum Hotel verwehrt, weil ich Hosen anhatte. Wenn Sie sich das heute vorstellen! Unvorstellbar!

Für die Frauen heute klingt das, als wäre es 100 Jahre her. Wie haben Sie diese Zeit in der Künstlerszene damals erlebt?

Es war der Beginn meiner eigenen Emanzipation, als ich ab 1968 in die Künstlerateliers ging, zu Kunstmessen und Ausstellungen. Zum Beispiel habe ich in Eindhoven die ersten Fotos von Joseph Beuys gemacht, das war schon ein Aufbruch.

Dass eine Frau damals die Freiheit hatte, einfach allein zu solchen Ereignissen hinzugehen und zu fotografieren, war schon ungewöhnlich. Damals waren nie viele Fotografinnen unterwegs. Sie waren eher eine Ausnahmeerscheinung.

Öffentlich war Joseph Beuys nur mit Hut zu sehen, hier auf der documenta 1982 vor seiner Skulptur "7000 Eichen" Bild: picture-alliance/akg-images/N. Stauss

Wie ist so jemand wie der Künstler Joseph Beuys - immerhin vor seiner Künstlerzeit Kriegsteilnehmer und Stukaflieger im 2. Weltkrieg - mit ihnen als junger emanzipierter Frau umgegangen?

Ich habe ja sehr viele Arbeiten von ihm fotografiert. Als er in Hamburg eine Ausstellung hatte, habe ich seine gesamten Vitrinen durchfotografiert. Und er stand daneben, arbeitete noch an den Vitrinen und hat mich einfach fotografieren lassen. Dann gab es mal eine kleine Pause und wir sind nach draußen gegangen - das war zwischen Kunstverein und Kunsthalle - und da stand draußen eine riesige Rodin-Skulptur "Die Bürger von Calais".

Beuys war ziemlich müde und hatte wie immer seinen Hut auf und schaute in den Himmel - mit einem blütenweißen Hemd, und das war wirklich ein glücklicher Schnappschuss. Er war sichtlich am überlegen, wie er weiter machen wollte. Er hatte auch keine Zigarette in der Hand und war angespannt. Man sieht richtig, wie er denkt.

War Beuys damals schon ein Star? Oder war er, Anfang der 1970er Jahre, als Sie ihn fotografierten, noch auf der Suche nach seiner künstlerischen Position?

Er war allein deswegen ein Star, weil er in der berühmten Sammlung Ströher [der Unternehmer und Kunstmäzen Karl Ströher trug eine der umfangreichsten Sammlungen deutscher Kunst nach 1945 zusammen, Anm. d. Red.] stark vertreten war. Aber die anderen Künstler in der Hamburger Ausstellung waren viel größere Stars: Andy Warhol, der auch dort vertreten war, war viel prominenter. Beuys ist dann doch erst später zum größeren Künstler-Star geworden.

Das zerfurchte Gesicht von Beuys zu fotografieren, das vom Kriegseinsatz gezeichnet war, war bestimmt eine Herausforderung - wie haben Sie das erlebt?

Ich schaue den Künstlern als Menschen ins Gesicht, weil ich versuche mir die Gesichtszüge vorzustellen, wie sie später auf meinem Foto aussehen. Ich konzentriere mich ganz stark darauf, dass der Künstler auch richtig und gut aussieht. Dass es nicht ein Schreckensbildnis wird, sondern ein schönes Bild. Das ist für mich ganz wichtig.

Ich habe auch Fotos von ihm gemacht ohne Hut. Da hängen ihm die strähnigen Haare über die Stirn. Aber diese Fotos habe ich nur selten veröffentlicht. Mit dem Hut sah er einfach phantastisch aus. Das war Beuys!

Ausnahmesituation: Konzeptkünstler Christian Boltanski in seinem AtelierBild: Angelika Platen

Sie bevorzugen immer noch die Schwarz-Weiß-Fotografie - inzwischen natürlich digital fotografiert, aber manchmal auch analog/digital umkopiert. Warum gehört das zu Ihrer bevorzugten Arbeitsweise?

Da ist einfach die Phantasie mehr gefragt. Als ich Gerhard Richter in den 1970er Jahren fotografierte, und er saß im Atelier auf diesem wunderschönen Stuhl vor seinem Bild und schaute mit ganz hellblauen Augen in die Weite, da war die Farbigkeit einfach in den Grautönen da. Diese wasserblauen Augen kann man auf dem Schwarz-Weiß-Foto klar erkennen.

Das Interview führte Heike Mund.