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Politik

Angespannte Stimmung vor Brexit-Gerichtsverhandlung

Samira Shackle glh
4. Dezember 2016

Erneut spaltet eine Frage Großbritannien: Muss das britische Parlament einem Brexit zustimmen? Das prüft nun der oberste Gerichtshof. Aus London berichtet Samira Shackle.

Großbritannien Brexit-Proteste
Proteste für einen EU-Austritt vor dem britischen Parlament Ende NovemberBild: REUTERS/T. Melville

Wenn es um den Brexit geht, kochen die Gefühle in Großbritanniens politisch angespannten Zeiten derzeit sowieso schon schnell hoch. Der Beginn der viertägigen Verhandlung vor dem obersten Gerichtshof am Montag lässt die Gemüter erneut erhitzen.

Nachdem ein Londoner Gericht schon Anfang November entschieden hatte, dass die Regierung um Premierministerin Theresa May nicht ohne die Zustimmung der Parlamentarier über den Austritt Großbritanniens aus der EU entscheiden darf, geht es nun in die nächste Runde. Die Regierung hat das Urteil angefochten und nun entscheiden alle elf Richter des obersten Gerichtshofs erneut über die Frage.

"Normalerweise müssen neue Erkenntnisse oder Zeugenaussagen vorliegen, damit wir eine andere Entscheidung des Londoner Gerichts erwarten können", sagt Matthew Cole. Er ist Dozent für Geschichte an der Birmingham Universität. In diesem Fall sei das anders, so Cole: "Das Gericht wird einfach nur schauen, ob das Beweismaterial, das bereits bei der vorherigen Verhandlung vorlag, richtig interpretiert wurde."

Nachdem die Entscheidung des Referendums bekannt war, demonstrierten viele Briten für den Verbleib in der EUBild: Getty Images/AFP/J. Tallis

Findet der Brexit statt oder nicht?

In Großbritannien wird die Verhandlung von vielen als Entscheidung darüber gesehen, ob der sogenannte Brexit weiter vorangetrieben wird oder nicht. Und das, obwohl sich die Mehrheit der Abgeordneten bereits dafür ausgesprochen hat, im Falle einer parlamentarischen Abstimmung für den Austritt zu stimmen. Doch die Regierung befürchtet, dass der Prozess durch mögliche Gesetzesänderungsvorschläge des Parlaments immer weiter hinausgezögert werden könnte.

Es gehe bei der Gerichtsverhandlung jedoch nicht nur um die Frage "Brexit - ja oder nein", so Oliver Patel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Institut des University Colleges in London. "Es geht darum, ob die Regierung das Recht hat, ihre Macht dazu zu nutzen, vorherige Entscheidungen des Parlaments zu untergraben", sagt Patel. Er geht davon aus, dass der oberste Gerichtshof nicht von der Entscheidung des Londoner Gerichts abweichen wird. Und er sagt: "Ich denke die Richter werden der Regierung nicht Recht geben - allein schon um potentiell autoritäre Regierungen in der Zukunft in Schach halten zu können."

Verfassungsrechtliche Fragen 

Großbritannien hat keine geschriebene Verfassung. Sie beruht auf Gesetzen und richterlichen Entscheidungen sowie Statuten und Regelungen. In dem Gesetz, das das Brexit-Referendum ermöglichte, war festgehalten, dass das Ergebnis der Volksbefragung nicht bindend sein würde, sondern lediglich einen beratenden Charakter haben dürfe. Denn ansonsten hätte das Referendum ein Gesetz aus dem Jahr 1972 gekippt, welches über den EU-Beitritt Großbritanniens entschied. 

"Unsere Verfassungsexperten betrachten die parlamentarische Souveränität als hohes Gut in unserem Gesetzgebungsprozess", sagt Geschichtsdozent Matthew Cole. "Wir sind in die EU eingetreten auf Basis einer parlamentarischen Entscheidung, eines Statuts. Also kann nur ein darauffolgendes Statut oder eine Resolution des Parlaments ebendiese Entscheidung wieder aufheben." Auch Cole betont, dass man sich an das Ergebnis von Referenden nicht halten müsse. "Das Parlament kann auch entscheiden, es zu ignorieren oder die Umsetzung hinauszuzögern", das habe das Londoner Gericht Anfang November lediglich noch einmal bestätigt, sagt Matthew Cole.

Medien: "Richter sind Feinde des Volkes"

Die Entscheidung des Londoner Gerichts hat viel Kritik der Medien nach sich gezogen. Das einflussreiche Boulevardblatt "The Daily Mail" bezeichnete die Richter als "Feinde des Volkes" und das konservative Blatt "The Daily Telegraph" titelte nach der Entscheidung: "Die Richter gegen das Volk". Ähnliche Meinungen ziehen sich durch das gesamte Spektrum der Boulevardpresse.

Die Titelblätter einiger britischer Medien: "Feinde des Volkes", "Die Richter gegen das Volk", "Wir müssen raus aus der EU"Bild: picture-alliance/AP Photo/T. Ireland

Das nun anstehende Verfahren sei auch ein Test, wie unabhängig vom öffentlichen Druck die Richter entscheiden könnten, sagt Matthew Cole von der Birmingham Universität. Zur Prozesseröffnung am Montag werden zahlreiche Proteste von Brexit-Befürwortern und Gegnern erwartet. "Die britische Justiz ist bekannt dafür, dass sie sich von sowas nicht beeinflussen lässt." Trotzdem sei die Aufmerksamkeit für diesen Einzelfall doch außergewöhnlich hoch, sagt Cole.

Die britische Justiz wird von den Briten eigentlich für ihre Unabhängigkeit respektiert und ist beliebt. Die Spannungen rund um die Brexit-Entscheidung stellen das Verhältnis vieler Briten zu ihrer Justiz nun auf die Probe. "Die Judikative ist eine wichtige Säule der britischen Demokratie und es wäre sehr alarmierend, wenn der öffentliche Respekt und das Vertrauen sich verschlechtern würden", sagt Oliver Patel. Jetzt richteten sich alle Augen auf die Regierung und wie diese auf die im Januar anstehende Entscheidung reagieren wird, so Patel. "Wenn die Regierung verliert, wäre es das Beste, sie respektiere die Entscheidung des Gerichts, um seine Unabhängigkeit und seine Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten." Im Idealfall würde die Regierung sogar etwaige Attacken von Seiten der Medien verurteilen, so der Politikexperte.

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