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PolitikAfrika

Angola: Streit um Leichnam von Ex-Präsident

Antonio Cascais
12. Juli 2022

Sechs Wochen vor den Wahlen beansprucht Präsident João Lourenço das politische Erbe des Langzeitautokraten. Angehörige wollen jedoch den Leichnam nicht freigeben. Die Ereignisse gleichen dem Drehbuch einer Telenovela.

Angola Luanda | Öffentliche Totenwache von José Eduardo dos Santos in Luanda
Öffentliches Gedenken an Ex-Präsident dos Santos in Angolas Hauptstadt Luanda - sein Erbe wird zunehmend verklärt.Bild: Borralho Ndomba/DW

Engste Verwandte des am Freitag verstorbenen Ex-Autokraten José Eduardo dos Santos erheben schwere Vorwürfe gegen Angolas amtierenden Präsidenten João Lourenço und seine Partei MPLA: Das gegenwärtige Regime habe kein Anrecht, das politische Erbe von José Eduardo dos Santos auszuschlachten. Im Gegenteil: Es sei sogar für den Tod von José Eduardo dos Santos mit-verantwortlich, behaupten die Angehörigen, und sie versuchen mit allen Mitteln, die Überführung der Leiche nach Angola zu verhindern.

38 Jahre lang regierte José Eduardo dos Santos Angola mit harter Hand. Über all die Jahre kontrollierte er seine Partei - die ehemalige Befreiungsbewegung MPLA - aber auch den Staatsapparat, die Einnahmen aus dem Öl- und Diamantengeschäft, das Militär und nicht zuletzt seine Bürger. Freunde und Verwandte belohnte er mit Geld, Macht und Posten. Seine Gegner ließ er verfolgen und bestrafen. 2017 zog er sich aus der Politik zurück und übergab die Macht an seinen Verteidigungsminister João Lourenço, den er selbst für seine Nachfolge aussuchte, der ihm später jedoch in den Rücken fiel.

2017 noch vereint, fuhr Lourenço (r.) später eine Anti-Korruptionskampagne gegen dos Santos (r.) und seine Familie Bild: Marco Longari/AFP

Kaum war der Tod des 79-Jährigen verkündet, beeilte sich eben jener João Lourenço eine einwöchige Staatstrauer zu verhängen. Er, seine Regierung und seine Partei verneigten sich "mit großem Respekt und unendlicher Trauer vor der Lebensleistung dieses großen Staatsmanns. Dem Ex-Präsidenten von Angola, gebühre Anerkennung auf allerhöchster Ebene", hieß es in einer ersten Reaktion des Präsidenten. Lourenço ließ keinen Zweifel daran, dass seiner Regierung und seiner Partei das Recht gebühre, ein Staatsbegräbnis zu organisieren, wofür er eine zwölfköpfige Kommission einsetzte.

Schlammschlacht: Familienangehörige wollen Überführung verhindern

Doch der angolanische Staatschef machte die Rechnung ohne die Kinder des verstorbenen Ex-Präsidenten: Vor allem die zweitälteste Tochter, Tchizé dos Santos, ehemalige MPLA-Abgeordnete, Unternehmerin und derzeit Internet-Influencerin mit Wohnsitz in Großbritannien - versucht, Lourenço einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Tchizé dos Santos will nicht, dass die Leiche ihres Vaters nach Angolas transferiert wird, solange Lourenço an der Macht ist. "Das war der ausdrückliche Wunsch meines Vaters", sagt sie in einem fast 80-minütigen Statement auf Instagram. "Unser Vater war schwer enttäuscht von seinem Nachfolger. Er wollte von Lourenço nichts wissen. Er hat mir sogar gesagt, dass er es sogar vorziehen würde, wenn Oppositionsführer Adalberto Costa Júnior von der UNITA die nächste Wahl gewinnt", so Tchizé dos Santos weiter.

Seit Tagen lässt kein gutes Haar an Lourenço, den sie bezichtigt, seit seiner Machtübernahme 2017 einen Kreuzzug gegen die Familie dos Santos zu führen. 

Ihr zufolge wird sie von ihrer älteren Schwester und Unternehmerin Isabel dos Santos, die einst als reichste Frau Afrikas galt und zurzeit einen offiziellen Wohnsitz in den Niederlanden hat, und einigen Brüdern unterstützt, die sich öffentlich jedoch zurückhalten.

Ermittlungen gegen dos-Santos-Clan

Tatsächlich hat sich seit 2017 in Angola vieles geändert für die Familie dos Santos: Diejenigen Familienmitglieder, die öffentliche Positionen in Staatsunternehmen und Behörden besetzten, verloren ihre Posten. Isabel dos Santos musste die Leitung des staatlichen Ölunternehmens Sonangol aufgeben, der Sohn José Filomeno dos Santos die des staatlichen Ölfonds. 2020 verurteilte ihn ein Gericht zu fünf Jahren Haft wegen Veruntreuung.

Gegen die beiden ältesten Töchter - Isabel und Tchizé - ermittelt die angolanische Justiz immer noch wegen Korruption und anderer Delikte. Mit unangenehmen Folgen für beide: Konten wurden in Angola und in Portugal eingefroren, Anteile an einigen Unternehmen konfisziert. Tchizé nennt die Verfahren und Ermittlungen Angolas gegen sich und gegen Mitglieder ihrer Familie eine "Hexenjagd, wie sie im Buche steht". Was Lourenços Regime veranstalte sei eine "Respektlosigkeit" gegenüber einem Mann - ihrem Vater - und seiner Familie, die sich Jahrzehnte lang für die angolanische Nation aufgeopfert habe. 

Welche Rolle spielte in den letzten Jahren Ana Paula dos Santos, die letzte Ehefrau des Ex-Präsidenten?Bild: Stephane de Sakutin/AFP/Getty Images

Mithilfe einer Startanwältin setzte die Tochter die Obduktion des Leichnams durch. Zudem läuft bei der spanischen Polizei eine Anzeige, um die Umstände des Todes genau zu klären. Dabei impliziert sie, dass die letzte Ehefrau ihres Vaters an der Verschlechterung des Gesundheitszustandes mitschuldig sei. Tchizé dos Santos behauptet, ihr Vater habe sich de facto vor über 4 Jahren von Ana Paula dos Santos getrennt. Seitdem habe diese sich mit dem Regime in Luanda angefreundet und immer wieder gegen ihren Vater Intrigen geschmiedet.

Über eine einstweilige Verfügung will Tchizé dos Santos die Überführung ihres Vaters nach Luanda dauerhaft verhindern.

Der "Vater einer ganzen Nation"

Dem Tod des Langzeitpräsidenten José Eduardo dos Santos steht kaum ein Angolaner gleichgültig gegenüber. José Ferraz, Bankangestellter und MPLA-Mitglied aus Luanda, sagt der DW, José Eduardo dos Santos, habe als "Mann des Friedens", ein Anrecht darauf, "auf angolanischem Boden, seine ewige Ruhe zu finden".

Der Kleinunternehmer Paulo Sousa sagte der DW: "José Eduardo dos Santos war der Vater einer ganzen Nation. Alle haben ein Anrecht auf sein Erbe: nicht nur seine biologischen Kinder, sondern Millionen anderer Kinder, die im Laufe seiner langen Regierungszeit groß geworden sind."

Auswirkungen auf die Wahlen in Angola?

Derzeit bereitet sich Angola auf die nächsten Parlamentswahlen am 24. August vor, die auch über die Präsidentschaft entscheiden. Die aktuelle Diskussion rund um den Tod des einstmals so verhassten Ex-Präsidenten, dessen Leistungen heute von vielen verklärt werden, könnten einen entscheidenden Einfluss auf die Wahl haben, sagen politische Beobachter.   

In mehreren Stadtteilen fanden bereits Demonstrationen, unter anderem von Straßenhändlerinnen, statt. Sie nahmen den Tod des Ex-Präsidenten zum Anlass, gegen die steigenden Lebensmittelpreise zu demonstrieren. "Als dos Santos noch im Amt war, kostete ein Sack Reis 2500 Kwanza. Heute reichen nicht mal 10.000 Kwanza aus", sagt eine der Verkäuferinnen der DW. Und dann skandieren sie: "Sie haben José Eduardo dos Santos ermordet. João Lourenço raus!"

Straßenhändlerinnen in Luanda gedenken dem verstorbenen Ex-Autokraten José Eduardo Dos SantosBild: Julio Pacheco/AFP/Getty Images

Wer kann aus dem Konflikt um die Leiche des Ex-Präsidenten politischen Gewinn ziehen? Präsident Lourenço von der MPLA oder Adalberto Costa Júnior, der Herausforderer von der Oppositionspartei UNITA?

"Das ist in der aktuellen, verworrenen Lage die Eine-Million-Dollar-Frage. Wenn es der Regierung von João Lourenço gelingt, den Leichnam des Ex-Präsidenten wirklich nach Luanda zu überführen, dann könnte Lourenço gestärkt aus diesem Konflikt hervorgehen", meint der angolanische Politologe und Mitgründer des Wahlforschungsinstituts "AngoBarometro", Orlando Ferraz. 

Vieles spreche im Augenblick für den angolanischen Präsidenten. Denn wahrscheinlich würden die spanischen Behörden seinem Wunsch nach Übergabe der Leiche an Angola früher oder später nachkommen. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern seien eng und Spanien möchte diese Beziehungen sicherlich nicht gefährden. "Die angolanische Regierungsdelegation, die sich zurzeit in Barcelona aufhält, wird sicherlich nicht mit leeren Händen nach Angola zurückkommen. Davon ist auszugehen", so Ferraz im DW-Gespräch.

Und wie verhält sich die Opposition? "Die UNITA versucht, eine gewisse Distanz zu beiden Seiten - also sowohl zu den Angehörigen, als auch zu Lourenços und der Regierung - zu wahren", sagt der Politologe. "Oppositionsführer Adalberto da Costa Júnior schaut sich das ganze Schauspiel aus der Distanz an und hofft seinerseits darauf, dass sich das MPLA-Lager gegenseitig zerfleischt, sodass seine Partei daraus bei den Wahlen am 24. August politisches Kapital schlagen kann."

Mitarbeit: Borralho Ndomba, Luanda 

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