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Politik

Was passierte wirklich bei tödlichen Protesten?

Antonio Cascais
16. Februar 2021

Nach tödlichen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizeikräften in der Diamantenregion Lunda Norte gehen die Versionen der Beteiligten weit auseinander. Nicht nur UN und EU fordern Aufklärung.

Eine Menschengruppe protestiert am Rande einer Straße
Fünf Tage nach den Vorfällen gingen in der Hauptstadt Luanda Menschen unter anderem wegen Polizeigewalt auf die StraßeBild: Osvaldo Silva/AFP/Getty Images

"Sie haben uns unsere Bodenschätze genommen, unsere Diamanten, und jetzt nehmen sie uns die Luft zum Atmen. Sie stehlen unsere Diamanten, und jetzt wollen sie uns auch noch töten!" - so ein Hilfeschrei eines Aktivisten der "Bewegung des portugiesischen Protektorats Lunda Tchokwe" (MPPLT). Sein Name ist der Deutschen Welle bekannt, auf seinen Wunsch nennen wir ihn Júlio C.

Júlios Heimat ist die abgelegene, ostangolanische Region Lunda Norte, die per Auto einen Tagestrip entfernt von der Hauptstadt Luanda an der Grenze zur kongolesischen Kasai-Provinz liegt. Im Interview mit der DW erläutert Júlio: "Hier herrscht ein Klima des Terrors, seitdem wir es am 30. Januar gewagt haben, eine Demonstration für bessere Lebensbedingungen zu organisieren."

Die Organisation von Júlio C. fordert eine Loslösung der Lunda-Region von Angola. Es gibt in der Gegend große Diamantenvorkommen. Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch berichten regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen in der Region.

Die Bevölkerung werde seit Jahrzehnten ihrer Rechte beraubt, meint Júlio C. Weite Gebiete der Region seien von den Diamantengesellschaften, die allesamt von mächtigen Leuten in der Hauptstadt und im Ausland kontrolliert würden, konfisziert worden. Die alteingesessene Bevölkerung, die zum Tchokwé-Volk gehöre, werde daran gehindert, in den Konzessionsgebieten zu siedeln, Straßen und Brücken zu benutzen, Landwirtschaft zu betreiben oder in den Flüssen zu fischen, berichtet Júlio.

"Deshalb unser Protest, der am 30. Januar früh morgens in der Kleinstadt Cafunfo, stattfand." Es sei eine friedliche Demonstration gewesen, doch sie sei von der Polizei brutal unterdrückt worden. "Mit Schusswaffen", berichtet Júlio C. Viele Teilnehmer seien erschossen worden.

Angola ist reich an Diamanten - deren Ausbeutung schürt Konflikte Bild: Luke Dray/Getty Images

In den Folgetagen habe die Polizei regelrecht Jagd auf mutmaßliche MPPLT-Anhänger und sonstige Aktivisten gemacht und mehrere Zivilisten erschossen. Die Leichen seien in Massengräbern verscharrt worden. Es habe auch viele Verhaftungen gegeben, berichtet Júlio. Er selbst stehe auf einer schwarzen Liste der angolanischen Sicherheitskräfte. Viele Bewohner der Gegend seien in letzter Zeit verschwunden. Soldaten hätten die Gegend abgeriegelt, um internationale Beobachter und oppositionelle Politiker an der Einreise in die Provinz zu hindern.

Regierung schlägt beschwichtigende Töne an

Die offizielle Version der Geschehnisse vom 30. Januar hört sich ganz anders an: Die Demonstranten seien bewaffnet gewesen und hätten die Polizeistation angegriffen, heißt es seitens der angolanischen Regierung. Die Polizei habe sich verteidigen müssen. Unglücklicherweise sei die Lage eskaliert. Insgesamt sechs Todesopfer seien zu beklagen. Um eine Eskalation der Lage zu verhindern, habe man sich zu "stärkeren Sicherheitsmaßnahmen in der Gegend von Cafunfo" entschieden, hieß es eine Woche nach den Zusammenstößen vom angolanischen Innenministerium.

"Wir fordern Gerechtigkeit in Cafunfo, Lunda", heißt es auf dem Plakat dieses Demonstranten in LuandaBild: Borralho Ndomba/DW

Ähnlich die Stellungnahme der Polizei: Nach Angaben eines Polizeisprechers versuchten etwa 300 Anhänger der MPPLT in eine Polizeistation einzudringen, wodurch sich die Strafverfolgungsbehörden gezwungen sahen, sich zu verteidigen, was offiziell sechs Todesfälle zur Folge gehabt habe.

Dieser Version widersprechen allerdings sämtliche angolanische Oppositionsparteien, sowie zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen: Es habe sich um eine rechtmäßig angemeldete Demonstration gehandelt. Die Demonstranten seien unbewaffnet gewesen. Die Gewalt sei nicht von ihnen ausgegangen.

Aufschrei der angolanischen Oppositionsparteien

Die Oppositionsparteien im angolanischen Parlament, allen voran die UNITA ("Nationale Union für die totale Unabhängigkeit Angolas"), entsandten inzwischen eine Parlamentarierdelegation in die Region, die jedoch tagelang massiv an ihrer Arbeit gehindert wurde, wie UNITA-Präsident Adalberto Costa Júnior kritisierte.

Dennoch gaben am 9. Februar mehrere Oppositionsabgeordnete eine gemeinsame Erklärung zum "Massaker von Cafunfo" heraus, nach der bei den Vorfällen vom 30. Januar 23 Tote und 21 Verletzte zu beklagen seien. Zehn Menschen seien verschwunden. Die Oppositionspolitiker halten es für erwiesen, dass die Polizei "wahllos auf Bürger feuerte". Einen Tag später wurde die Zahl der Opfer nach oben korrigiert: Demnach starben mindestens 28 Menschen auf "barbarische, abscheuliche und kalte" Weise. 18 weitere wurden verletzt.

Internationale Organisationen fordern "unabhängige Untersuchung"

Gut zwei Wochen nach den Konfrontationen sagte die niederländische Diplomatin Jeannette Seppen, die der EU-Vertretung in Luanda vorsteht, dass die Europäische Union die Menschenrechtslage in den angolanischen Diamantenregionen "mit Sorge" beobachte: "Wir führen bereits seit Jahren einen Dialog mit Angola zu Menschenrechtsfragen und auch jetzt wollen wir genau wissen, was in den Diamantengebieten passiert ist", sagte die EU-Diplomatin der portugiesischen Nachrichtenagentur LUSA.

Die EU-Vertretung in Angola habe den für Menschenrechte zuständigen Justizminister um ein Gespräch gebeten. Dieser Bitte sei entsprochen worden, es gebe aber noch keinen konkreten Termin, so die EU-Vertreterin.

Auch bei den Protesten in Luanda am 5. Februar schritt die Polizei ein - mit Schüssen und TränengasBild: Osvaldo Silva/AFP/Getty Images

Auch die Vereinten Nationen kündigten an, die Situation in Cafunfo genauer unter die Lupe zu nehmen: Die UN erwarten eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse vom 30. Januar in Cafunfo, schrieb die in Angola ansässige UN-Diplomatin Zahira Virani in einer am 12. Februar an die DW gesendeten Erklärung.

Justino Pinto de Andrade, Abgeordneter der zweitgrößten Oppositionspartei, CASA-CE, sagte der DW, das "Massaker von Cafunfo" sei ein "schrecklicher Vorgang". Andrade fordert eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse durch Spezialisten der UN, denen man den Zugang zu allen Gebieten und Zeugen gewähren müsse. "Es ist eine abscheuliche Tat. Und das Schlimmste ist: Die Regierung versucht das Massaker unter den Teppich zu kehren", erklärte der Oppositionspolitiker im DW-Interview.

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