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Politik

Angriff auf Danzig

Aureliusz M. Pedziwol
5. Juli 2019

Danzig (Gdańsk) war schon für die Kommunisten unbequem, jetzt ist es zum Stachel im Fleisch der regierenden PiS in Warschau geworden. Die politische Rechte beschuldigt die Danziger der Germanophilie.

Polen Danzig- Westerplatte
Denkmal für polnische Verteidiger auf der Danziger Westerplatte Bild: picture-alliance/dpa/J. Wolf

"Der Krieg Danzigs mit Polen" alarmiert die regierungsnahe polnische Wochenzeitung "Sieci" ("Netze"). Unter dem Titel ihres Aufmachers in der letzten Ausgabe, gibt sie vor darüber aufzuklären, "warum die Opposition die Tradition der Freien Stadt Danzig pflegt" und "warum es dort so wenig Sorge um das Polnische gibt”. Auf der Titelseite drei gebürtige Danziger: Der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk, der im Januar ermordete Oberbürgermeister Paweł Adamowicz und seine Nachfolgerin Aleksandra Dulkiewicz. Auch zu sehen ist eine Straßenbahn mit der Aufschrift "Danzig" (auf Deutsch!) und Fahnen mit Hakenkreuzen. Darauf die in Großbuchstaben geschriebene Frage: "Will Danzig nach Deutschland [gehen]?" Für die Autoren eine eindeutig rhetorische Frage.

Die rhetorische Frage

Der Anfang der Geschichte ist der Westerplatte gewidmet - der einstigen polnischen Exklave in der Freien Stadt Danzig, wo der Zweite Weltkrieg begann. Die Autoren werfen den Stadtvätern vor, diese für Polen so wichtige Gedenkstätte vollkommen vernachlässigt zu haben. Die wieder aufgestellten Grenzsteine der ehemaligen Freien Stadt, sowie die in deren Farben gestrichene Straßenbahn, bezeugen ihrer Meinung nach die pro-deutschen und antipolnischen Sympathien der lokalen Stadt-Regierung von Danzig. "Das ist ein zynisches Spiel. Wegen solcher Artikel [wie der in "Sieci"] bleibt immer weniger Raum für ein ruhiges, sachliches Gespräch", empört sich Jan Daniluk von der Danziger Universität.

Großvater aus der Wehrmacht

Der Text kommt einem Artilleriebeschuss direkt vor dem Gefecht im Parlament um ein Sondergesetz gleich, das dem Staat erlaubt, alle Besitzer der Grundstücke auf der Westerplatte - und die meisten gehören der Stadt - zu enteignen und die volle Kontrolle über die Halbinsel zu übernehmen. Der Gesetzesentwurf wurde am Donnerstag von der Regierungsmehrheit verabschiedet.

Deutsche Soldaten auf der Danziger Westerplatte 1939 nach der Kapitulation der Polen Bild: picture-alliance/Imagno/Votava

Eine "deutsche Karte" im innerpolnischen Streit auszuspielen ist nichts Neues. Es war das alltägliche Brot in der Volksrepublik und verlor seine Bedeutung auch im freien Polen nicht. 2005 verlor der damalige Vorsitzende der Bürgerplattform Donald Tusk die Präsidentschaftswahl, weil einer der damaligen Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) seines Rivalen Lech Kaczyński wenige Tage vor der Stichwahl gesagt hatte, "laut ernsthaften Quellen in Pommern meldete sich der Großvater von Donald Tusk freiwillig für die Wehrmacht". Dass dies nicht stimmte, erfuhren die Polen erst nach der Wahl. Auch der im Januar ermordete Bürgermeister der Stadt, Pawel Bogdan Adamowicz, wurde immer wieder bezichtigt, zum Wohle Deutschlands und zum Nachteil Polens zu handeln.

Protest gegen die Stigmatisierung

Gegen diese Form der Diskreditierung der Bewohner und Stadtväter begehrte Prof. Cezary Obracht-Prondzyński von der Danziger Universität immer wieder auf. "Wir protestieren entschieden gegen solche Praktiken!", schrieb er in einer Petition, die bis Ende Juni von fast 3.500 Menschen unterzeichnet wurde, darunter viele Wissenschafter.

Die Unterzeichner protestierten auch gegen den Versuch der Zentralbehörden mit Hilfe des inzwischen verabschiedeten Sondergesetzes "im Namen der Parteiinteressen und der eigenen Vision der Geschichte, die Grundstücke auf der Halbinsel Westerplatte zu übernehmen."

Angriff nicht von diesem Planeten

"Ich habe unterschrieben, weil ich denke, solche Angriffe sind heute völlig unangebracht. Es ist eine seltsame Rückkehr in die Zeit, die längst vorbei zu sein schien", so Prof. Krzysztof Ruchniewicz, Historiker und Direktor des Willy-Brandt-Zentrums der Breslauer Universität, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich war überzeugt, dass wir doch ein wenig weiter in der Betrachtung der Vergangenheit dieser Gebiete sind, die zum Teil des polnischen Staates nach 1945 wurden. Dass wir schon frei und ohne Komplexe darüber diskutieren können. Deshalb erschien mir dieser Angriff auf Danzig und die Danziger wie ein Angriff nicht von diesem Planeten”, erklärte er.

Unter Beschuss der regierenden PiS-Partei: Polens damaliger Premierminister Donald Tusk Bild: Reuters

Verletzung der polnischen Staatsraison

"Ich habe diesen Brief nicht unterschrieben, obwohl ich mit seinem Inhalt weitgehend einverstanden bin”, erklärt ein anderer Historiker, Prof. Piotr Madajczyk vom Institut für Politikwissenschaften der Polnischen Akademie für Wissenschaften in Warschau. Die Beschreibung des Streits um die Westerplatte empfindet er als grobe Vereinfachung. Aber das Brandmarken einer Gruppe von Menschen als Germanophile hält er für "ekelhaft und verdammenswert". "Das Problem ist, dass dies als Instrument des politischen Kampfes benutzt wird. Für mich ist es eine Verletzung der polnischen Staatsraison, weil es die Gesellschaft von innen auseinandersprengt", erklärt Madajczyk, der ansonsten "viele Dinge der aktuellen Politik" der Regierung  für richtig hält.

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