Angriff auf das System Chávez
6. Oktober 2012 Wer sich auf Meinungsumfragen verlässt, der kommt bei der Frage, wer die venezolanischen Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober gewinnt, keinen Schritt weiter - davon ist Manuel Silva-Ferrer vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin überzeugt. "Die Meinungsumfragen sind nicht verlässlich. Sie unterscheiden sich stark voneinander, weil die Unternehmen, die sie durchführen, Teil des politischen Machtkampfes in Venezuela sind", erklärt Silva-Ferrer, der auch am Institut für Kommunikationsforschung (Ininco) der Zentralen Universität von Venezuela forscht und gerade zwei Monate in Caracas verbracht hat.
Statt die Informationen zu untersuchen, die von den Meinungsforschern bereitgestellt werden, analysiere er das Verhalten der Präsidentschaftskandidaten. Hugo Chávez, der nach vierzehn Jahren an der Macht wiedergewählt werden möchte, führe sich als potentieller Verlierer auf. "Er greift den einzigen Kandidaten der Opposition, Henrique Capriles Radonski, mit schmutzigen Mitteln an und schürt die Angst vor einem Bürgerkrieg." Somit versuche Chávez, die Wähler - vor allem die unentschlossenen - davon zu überzeugen, dass nur seine Wiederwahl dem Land Stabilität garantieren kann, so Silva-Ferrer.
Transparenz als Stabilitätsfaktor
Von der Transparenz dieser Wahlen hänge es bis zu einem gewissen Grad ab, ob der Wahltag ohne Zwischenfälle und politische Gewalt verläuft, glaubt Klaus Bodemer, der ehemalige Leiter des Instituts für Lateinamerikastudien (ILAS) in Hamburg. "Es wird schwer sein zu betrügen", lautet Bodemers Diagnose, "vorausgesetzt, die abgesandte Beobachterkommission der Union Südamerikanischer Staaten (Unasur) in Venezuela nimmt eine wachsame und neutrale Haltung ein."
"Chávez hat Mitglieder linker Parteien aus dem Ausland eingeladen, damit sie den venezolanischen Wahlprozess begleiten. Es werden weder Beobachter der Europäischen Union noch des Carter Center für Menschenrechte im Land sein", gibt Nikolaus Werz von der Universität Rostock zu bedenken. Aber das werde nur ein Problem sein, falls es zu einem massiven Wahlbetrug kommen sollte. "Davon geht nicht einmal die Opposition aus, die in allen Wahllokalen mit gut vorbereiteten Leuten vertreten sein wird", meint der Rostocker Experte für vergleichende Politik. Nach seinen Informationen soll das elektronische Wahlsystem "sehr gut sein". Falls Unregelmäßigkeiten auftreten sollten, würden diese sehr schnell bekannt werden, glaubt Werz.
Nach den Unruhen bei den Wahlkampfveranstaltungen in den letzten Wochen, bei denen unter anderem zwei Anhänger der Opposition in der Chavez-Hochburg Barinas ums Leben kamen, befürchten manche Beobachter allerdings, dass die politische Auseinandersetzung zwischen Chavisten und Antichavisten am Sonntag gewaltsam enden könnte. Nikolaus Wert von der Universität Rostock aber meint: "Einige Umfragen geben an, dass Chávez 15 Punkte Vorsprung vor Capriles Radonski hat. Sollte das Wahlergebnis so deutlich ausfallen, glaube ich nicht, dass es zu politisch motivierter Gewalt kommen wird."
Zwar werden die Streitkräfte und so genannten Bolivarianischen Milizen des Präsidenten von den Oppositionsanhängern argwöhnisch beobachtet, doch an einen Staatsstreich glaubt Lateinamerikaexperte auch Klaus Bodemer nicht. "Es könnte sein, dass die Prätorianergarde des Präsidenten, die sehr zahlreich ist, spontan auf eine eventuelle Niederlage Chávez bei den Wahlen reagiert. Aber es ist unwahrscheinlich, dass es zu einem Militärputsch kommt", sagt Bodemer.
Manuel Silva-Ferrer vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin gibt sich ebenfalls gelassen. Er glaubt nicht, dass es in Venezuela zu sozialen Unruhen kommen wird. Dieses Szenario sei nicht das Ergebnis einer objektiven Analyse der gegenwärtigen Situation Venezuelas, sondern Teil der Strategie der Chávez-Partei PSUV. Die "Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas" wolle die Unentschlossenen einschüchtern. "Bei diesen Wahlen werden zwei bis fünf Prozent der Stimmen über den Ausgang entscheiden", schätzt Silva-Ferrer. Und dabei könnten sogar die Stimmen der etwa 1300 Venezolaner in Deutschland eine Rolle spielen, von denen die meisten in Frankfurt am Main, Berlin und Hamburg leben.