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PolitikUkraine

"Russland hat sie getötet": Kollegen über Vika Roschtschyna

Anja Sokolow | Lilia Rzheutska
15. Oktober 2024

Sie galt als mutig, doch das wurde ihr zum Verhängnis: Nach mehr als einem Jahr in russischer Gefangenschaft ist die ukrainische Journalistin Viktoria "Vika" Roschtschyna gestorben. Sie stand kurz vor ihrer Freilassung.

Portrait von Viktoria Roschtschyna,
Viktoria RoschtschynaBild: Stas Jurtschenko, Grati

Der Krieg war ihr Thema: Die ukrainische Journalistin Viktoria Roschtschyna begab sich seit Beginn von Russlands Invasion der Ukraine immer wieder selbst in Gefahr, um über Menschen in den besetzten Gebieten ihrer Heimat zu berichten. Ihren Mut hat sie nun mit dem Leben bezahlt: Die 27-Jährige starb nach 15 Monaten in russischer Gefangenschaft während ihrer Verlegung aus einem Gefängnis in der südrussischen Stadt Taganrog nach Moskau. Dabei war sie der Freiheit nah: Roschtschyna soll kurz vor einem Gefangenenaustausch gestanden haben.

In der Ukraine wurde ihr Tod am 10. Oktober bekannt. Der Leiter des ukrainischen Koordinationsstabes für Gefangenenbelange, Petro Jazenko, teilte dies im Fernsehen mit. Die Umstände ihres Todes seien noch unklar. Ein Vertreter des ukrainischen Verteidigungsministeriums erklärte, dass mit der Russischen Föderation bereits ein Austausch vereinbart gewesen sei. "Den letzten Informationen zufolge wurde sie in das Untersuchungsgefängnis Lefortowo gebracht, um ihre Heimkehr vorzubereiten. Sie sollte bald zu Hause sein", sagte er. Das Lefortowo-Gefängnis befindet sich in Moskau.

Die Familie der Journalistin hatte zuvor ein Schreiben vom russischen Verteidigungsministerium erhalten, wonach Roschtschyna am 19. September gestorben sei. Nur wenige Tage später, am 6. Oktober, wäre sie 28 Jahre alt geworden.

Gefangen in der "Hölle auf Erden"

Es war nicht ihre erste Gefangenschaft: Bereits im März 2022 wurde sie vom russischen Sicherheitsdienst in der südukrainischen Hafenstadt Berdjansk festgenommen und inhaftiert. Der Vorwurf lautete Spionage. Zehn Tage später wurde die junge Frau jedoch im Austausch gegen russische Soldaten wieder freigelassen und sie kehrte nach Saporischschja zurück.

Im August 2023 verschwand sie dann erneut während einer Reise in die besetzten Gebiete und sollte nie wieder nach Hause kommen. Ihre Familie verlor am 3. August den Kontakt zu ihr und fast ein Jahr lang galt Roschtschyna als verschollen. Erst im Mai 2024 bestätigte Russland offiziell ihre Festnahme und ihren Aufenthalt in der Russischen Föderation. Bis dahin war nichts über Roschtschynas Schicksal bekannt.

Das Taganroger Untersuchungsgefängnis, in dem die Journalistin zuletzt festgehalten wurde, sei ein brutaler Ort, erklärt Tetjana Katritschenko von der Medieninitiative für Menschenrechte. "Es wird als Hölle auf Erden bezeichnet. In Taganrog werden insbesondere Verteidiger des umkämpften Stahlwerks Asowstal in Mariupol festgehalten. Die Freigelassenen berichten von schrecklichen Folterungen", so Katrichenko auf Facebook. Roschtschyna sei in Taganrog mindestens von Mai bis September dieses Jahres in einer Einzelzelle festgehalten worden.

"Sie stand fest zu ihren Überzeugungen"

Unter Kollegen sorgte ihr Tod für Bestürzung und viel Anteilnahme. Laut Tetjana Kosak, Chefredakteurin des Online-Portals Graty, war Viktoria Roschtschyna "mutig" und sie "stand fest zu ihren Überzeugungen". Sie sei eine talentierte Journalistin gewesen, die noch eine große berufliche Zukunft vor sich gehabt habe. "Doch im Krieg gingen bei ihr alle Sicherungen durch, weswegen sie in ihre erste Gefangenschaft geriet", so Kosak.

"Vika war eine der schwierigsten Journalistinnen, mit denen ich je gearbeitet habe. Manchmal war sie unerträglich. Jede Korrektur nahm sie persönlich. Aber egal, was passierte, Vika blieb sich als Journalistin treu. Man konnte sie nicht aufhalten, wenn sie sich etwas vorgenommen hatte. Russland hat sie getötet, egal was man jetzt dort sagt", schreibt Jewhen Buderazkyj, stellvertretender Chefredakteur der Online-Zeitung "Ukrajinska Prawda".

Kein Lebenszeichen in 15 Monaten Haft

"Wir sind zutiefst schockiert über Viktoria Roschtschynas Tod und trauern mit ihren Angehörigen", erklärt Anja Osterhaus von "Reporter ohne Grenzen". "Während der gesamten 15 Monate, in denen die Journalistin in Haft saß, haben sich die russischen Behörden nicht zu Gründen oder Vorwürfen geäußert. Trotz wiederholter Versuche von Reporter ohne Grenzen und Roschtschynas Angehörigen gab es kein Lebenszeichen", so Osterhaus. Der Organisation sind 19 ukrainische Journalisten bekannt, die sich in russischer Haft befinden.

Oksana Romanjuk, Leiterin des ukrainischen Instituts für Masseninformation, spricht hingegen von 30 ukrainischen Journalisten in russischer Gefangenschaft. "Wo bleibt der Austausch, die internationale Gemeinschaft?", fragt sie in einem Post auf Facebook.

Demonstration in Gedenken an Viktoria Roschtschyna in KiewBild: Igor Burdyga/DW

Roschtschyna stand noch ganz am Anfang ihrer Karriere. Sie war erst gut sechs Jahre als Journalistin tätig. Zu ihren Auftraggebern gehörten die "Ukrajinska Prawda" und die Nachrichtenseiten "Nowosti Donbassa" und "Censor.net". Außerdem arbeitete sie für die Sender "Radio Free Europe" und "Hromadske". Sie galt als kritische und entschlossene Journalistin. Im Jahr 2022 verlieh ihr die International Women's Media Foundation den "Courage in Journalism Award" für ihre Berichterstattung über die russische Invasion in der Ukraine seit 2022.

Schweigeminute im Parlament

Betroffenheit über den Tod von Viktoria Roschtschyna herrscht auch in der ukrainischen Politik. So begann das ukrainische Parlament seine Sitzung am 11. Oktober mit einer Schweigeminute und Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "schweren Schlag". In einem Post auf Telegram erinnerte er zudem an die vielen anderen Journalisten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und ganz normalen Menschen, die sich noch in russischer Gefangenschaft befinden. Selenskyj wies darauf hin, dass deren Rückkehr Hauptthema während des Treffens mit Papst Franziskus gewesen sei.

Der Generalstaatsanwalt der Ukraine hat im Fall Roschtschyna ein Strafverfahren wegen Mordes eingeleitet und die Europäische Union fordert eine sofortige und unabhängige Untersuchung des Falls. "Die EU ist über die Berichte vom Tod der ukrainischen freiberuflichen Journalistin Viktoria Roschtschyna während ihrer rechtswidrigen willkürlichen russischen Inhaftierung entsetzt", so der Sprecher für Außen- und Sicherheitspolitik, Peter Stano. Über Schikanen, Einschüchterungen und Gewalt seitens Russlands gegen Journalisten und Medienschaffende, die über die Ereignisse im Kriegsgebiet und an der Front berichten, sei die EU zutiefst besorgt.

"Wir verurteilen aufs Schärfste die Tötungen, körperlichen Angriffe, willkürlichen Verhaftungen, Online- und Offline-Einschüchterungen, Belästigungen und Überwachungen, denen Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs zuweilen ausgesetzt sind", erklärt Stano weiter. Es dürfe keine Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen von Journalisten geben.

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